Sonntag, 26. September 2021

»Gestalten wir sie!«

                                                                                                         
»Wollen wir uns über die Zeiten beklagen? Nicht die Zeiten sind gut oder schlecht. Wie wir sind, so sind auch die Zeiten. Jeder schafft sich selber seine Zeit! Lebt er gut, so ist auch die Zeit gut, die ihn umgibt! Ringen wir mit der Zeit, gestalten wir sie! Und aus allen Zeiten werden heilige Zeiten.«

Aurelius Augustinus


Grafik:
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Samstag, 18. September 2021

»Wer Talent in sich birgt...«

Was darf Kunst?

Alles, so der moderne Zeitgenosse.

Dementsprechend fallen etliche der sogenannten Kunstprodukte aus. Blasphemien allenthalben. Obszönitäten als neue Regel. Scharlatanerie.

Wer wirklich wissen will, welche Verantwortung der Künstler hat, der sollte Gogol lesen. Zum Beispiel die längere Erzählung Das Bildnis (auch übersetzt als Das Portrait) aus den Petersburger Geschichten.

Gogol erzählt von einem Maler, der eines Tages, als er in einem Auftragswerk den Teufel, den »Geist der Finsternis«, porträtieren soll, das Bildnis eines Wucherers anfertigt, in dessen zwielichtiger Gestalt offensichtlich das Dämonische sein Unwesen treibt.

Zum Ernst des russischen Schriftstellers gehört, daß er im Laufe seiner Erzählung die Konsequenzen aufzeigt, die das dargestellte Dämonische in den Personen auslöst, die mit ihm in Kontakt kommen. Zunächst der Maler selbst: Sein Charakter wird durch die  Herstellung des Bildnisses affiziert derart, daß er, der bislang ehrlich und geradlinig lebte, von der Destruktionskraft des Dämonischen befallen wird.

Aber auch die wechselnden Käufer des Portraits kommen nicht ungeschoren davon. Gogol zeigt ohne jede melodramatische Überhöhung die Spur des Bösen im Leben derjenigen, die sich dem Bösen goutierend aussetzen.

Was den Maler selbst betrifft: Er versteht schließlich den Greuel seiner Tat, daß nämlich »sein Pinsel dem Teufel als Werkzeug gedient« hat, und geht in die radikale Bekehrung. Er zieht sich büßend in ein Kloster und endlich in eine Eremitage zurück und versucht auf diese Weise gutzumachen, was sein entweihter Pinsel an Unheil angerichtet hat.

Nach Jahren der Askese, des Verzichts, des Verstummens und der Reinigung ist er, auf Wunsch des Klostervorstehers, bereit, erneut den Pinsel zu ergreifen: »Jetzt bin ich bereit. So Gott will, werde ich mein Werk vollbringen.« Und das Werk, welches er wählt, ist die Geburt Christi.

Damit ist Gogols Geschichte noch nicht zu Ende.

Der Sohn des Malers, der gleichfalls Maler ist und also in die Fußstapfen seines Vaters tritt, besucht als Zwanzigjähriger seinen Vater in dessen klösterlicher Einsamkeit, um von ihm Abschied zu nehmen, bevor er auf eine Kunstreise nach Italien aufbricht. Er erwartet, einen ausgezehrten, vertrockneten Greis anzutreffen. Um so überraschter ist er, »als ich einen schönen, fast göttlichen alten Mann vor mir sah.«

Die Begegnung ist ergreifend in ihrer Schlichtheit und Größe. Der Vater spricht zu seinem Sohn über die Verantwortung des Künstlers: »Wer Talent in sich birgt«, so heißt es gleichsam testamentarisch, »dessen Seele muß reiner als alle anderen sein. Anderen wird vieles vergeben werden, ihm nicht.«

Es dürfte klar sein: Hier spricht jemand, der über die gefälligen Worte längst hinaus ist. Das Gesicht des Vaters, sein Leib, seine Augen, sein ganzes Wesen strahlen die herrliche Verantwortung aus, von der er in einfacher Festigkeit Zeugnis gibt. Leben und Kunst vereinen sich zur wunderbaren Einheit, ja, das Leben, das schöne, makellose Leben des Heiligen ist das Kunstwerk in seiner überzeugendsten Ausprägung.

Und der Vater segnet seinen Sohn und bittet diesen, das besagte Bildnis, sollte er es finden, um jeden Preis zu vernichten. Daß dies (ohne Schuld des Sohnes) vereitelt wird, spricht für die Unbestechlichkeit des gogolschen Realismus. Der Leser der Erzählung jedenfalls weiß genug. Er weiß, was Kunst darf. Und er weiß, was Kunst nicht darf.

Mittwoch, 8. September 2021

Der Tod

Wahrscheinlich würden die Meisten, wenn nicht sogar Alle, vorausgesetzt, man gibt ihnen die nötige Zeit zum Nachdenken, darin übereinstimmen, daß es nur eine brennende Frage im Leben gibt, nämlich diejenige, wie es sich mit dem Tod verhält.
                                                            
Der Tod macht uns alle gleich. Oder, in den pessimistischen Worten Schopenhauers: »Zuletzt muß er siegen: denn ihm sind wir schon durch die Geburt anheimgefallen, und er spielt nur eine Weile mit seiner Beute, bevor er sie verschlingt.«

Selbst derjenige, der dem Tod davonzulaufen versucht, entgeht ihm nicht. Der Tod wird eines Tages schneller sein und den Davonlaufenden einholen. Bekannte Erzählungen belieben dieses Motiv zu variieren, etwa indem sie von einem Geängsteten zu berichten wissen, dessen bevorstehender Tod an dem und dem Ort zu der und der Zeit angekündigt wird, und der daraufhin wähnt, dem Tod ein Schnippchen schlagen zu können, indem er sich zur angesagten Zeit an einen gänzlich anderen Ort begibt. Doch was geschieht? - Eben an diesem neuen, angeblich so sicheren Ort, erwartet ihn der Sensenmann mit der Selbstverständlichkeit dessen, der seit eh und je genau an diesem Ort auf den Todgeweihten gewartet hat.

Der Philosoph Paul Ludwig Landsberg (1901 – 1944) hat sich immer wieder mit der Todesfrage auseinandergesetzt.

Aus einer jüdischen Familie stammend, später jedoch zum katholischen Glauben konvertierend, hört er bereits in jungen Jahren solch berühmte Geistesgrößen wie Husserl und Scheler. Freiburg, Berlin und Bonn sind die Stätten seiner akademischen Laufbahn. Die Habilitationsschrift widmet er Augustinus.

Die philosophische Auseinandersetzung mit der Tatsache des Todes geht dem parallel. Seine Einführung in die philosophische Anthropologie stellt sich bereits der Grundfrage des menschlichen Daseins. Oder: Landsberg publiziert einen großen Essay unter dem Titel Die Erfahrung des Todes  (»Was bedeutet der Tod für uns Menschen? Die Frage ist unerschöpflich; es geht um das Mysterium des Menschen selbst, dem man sich mit dieser Frage von einer bestimmten Seite nähert. Jedes wahre philosophische Grundproblem enthält alle anderen in der Einheit des Geheimnisses.«) und veröffentlicht einen Aufsatz zur Thematik Das moralische Problem des Selbstmordes (seine Mutter scheidet 1938 durch Selbstmord aus dem Leben)..

Hinzukommt, daß seine Herkunft als gebürtiger Jude in der Nazidiktatur für Landsberg eine permanente existentielle Bedrohung darstellt. Er geht ins Exil, die Lehrbefugnis wird ihm entzogen, in Frankreich schließt er sich der Résistance an. 1943 fällt er aufgrund von Verrat in die Hände der Gestapo und wird in das KZ Sachsenhausen abtransportiert, wo er entkräftet vom unmenschlichen Lageralltag am 2. April 1944 stirbt.

Der Gefahr der nazistischen Verfolgung durchaus bewußt, trägt Landsberg stets eine Ampulle mit sich, die ein tödliches Gift enthält, welches er bei Bedarf sich verabreichen will, um der tödlichen nazistischen Unterdrückung zuvorzukommen.

Doch es kommt anders. Landsberg endet nicht im Selbstmord.

Mitten im Zweiten Weltkrieg, im Sommer 1942, zerstört Landsberg die tödliche Ampulle. In seinem Tagebuch schreibt er, er habe Christus gefunden, der sich ihm geoffenbart habe.

Dieses Finden ändert alles. Die Todesfrage ist endgültig beantwortet.