Samstag, 30. März 2019
Der Sieg
Donnerstag, 21. März 2019
Veritas eius
In seiner Einführung in das liturgische Jahr schreibt Dom Prosper Guéranger OSB (1805 - 1875), wie die Kirche ihre Kinder in der Fastenzeit sieht; es heißt:
»Sie sieht sie als eine große Armee, die Tag und Nacht gegen die Feinde Gottes ankämpft. Daher nennt sie am Aschermittwoch die Fastenzeit die Zeit des Kampfes der Soldaten Christi. Um neue Menschen zu werden, die würdig sind, an dem himmlischen Gesang teilzunehmen, müssen wir in der Tat erst über unsere Feinde triumphiert haben: Über den Teufel, das Fleisch und die Welt. Verbunden mit unserem Herrn, der auf dem Berg gegen den Satan und eine dreifache Versuchung erfolgreich ankämpfte, müssen wir gewappnet und wachsam sein. Um uns in unserer Siegeszuversicht zu stärken, weist uns die Kirche auf den Psalm 91 hin, den sie zu den Meßtexten des ersten Fastensonntags zählt und dem sie für das Stundengebet dieses Tages einige Verse entnimmt.« (St. Ottilien, EOS Editions, Studien zur monastischen Kultur, Bd. 8, Sankt Ottilien 2014, 112).
Psalm 91 beginnt mit den bekannten Worten: Wer im Schutz des Allerhöchsten wohnt... Es ist der Psalm, der sonntags im Nachtgebet der Kirche, der Komplet, gebetet wird. Bevor der Tag zu Ende geht, gedenkt der Beter noch einmal der schützenden Hand Gottes, die ihn vor allen Gefahren behütet, und nicht nur das, die ihm auch die sichere Vollmacht gibt, selbst auf Löwen und Drachen und Nattern zu treten.
Zu Beginn dieses großen Gebets, im fünften Vers, stehen die Worte: Schild und Schutz ist dir Seine Treue, du brauchst dich vor dem Schrecken der Nacht nicht zu fürchten.
Die Vulgata, die lateinische Übersetzung der Bibel gemäß dem heiligen Kirchenvater Hieronymus, schreibt: Scuto circumdabit te veritas eius, non timebis a timore nocturno.
Wörtlich: Mit einem Schild wird dich Seine Wahrheit umgeben, du brauchst dich vor dem nächtlichen Schrecken nicht zu fürchten.
Der Beter des Psalms weiß, daß er tagein tagaus auf einem Kampfplatz sich befindet. Nicht nur nachts, sondern auch, wie ausdrücklich festgestellt wird, am Tag und zu Mittag. Es ist die Zeit der Dämonen und der dämonischen Angriffe.
Aber der Beter weiß auch dies: Daß er behütet ist, von Gott selbst und von Gottes Boten, den Engeln. Und was diesem Wissen das felsenfeste Fundament gibt, ist das, was der fünfte Vers benennt: Seine Wahrheit.
Weil Gott der Gott der Wahrheit ist, ist der Beter, der sich auf Ihn verläßt, nicht länger in der Gefahrenzone. Denn der Schild der Wahrheit beschützt vor dem eigentlich Abgründigen, vor dem, was jeden Anschlag zu einem potentiell tödlichen macht: der Abwesenheit der Wahrheit.
Der Gefährdete braucht nichts mehr als die Wahrheit. Er muß wissen, woran kann er sich wirklich festhalten, woran orientieren, was gilt wirklich, was ist Illusion, was Zuflucht und Burg und Unterkunft? Vage Auskünfte helfen demjenigen, der von vergifteten Pfeilgeschossen umgeben ist, nicht weiter. Die Natter der Lüge wird nicht besiegt durch verharmlosende Allerweltsrhetorik. Der Soldat Christi braucht die Wahrheit. Die Wahrheit, die den Drachen zertritt. Die Wahrheit, die die Furcht nimmt, zumal nachts, wenn es finster ist und folglich die Angriffe am heimtückischsten sind.
Und daß es diese Wahrheit gibt, ist bereits Sieg. Denn für den Beter des Psalms ist es unhinterfragt, daß es die Wahrheit gibt. Der neumodische Zweifel, der heutzutage zu einer taumelnden Tugend hochgejubelt wird, wäre dem Beter von Psalm 91 ein Greuel. Seine Wahrheit wird mich bergen. Das ist ein Indikativ und also eine Wirklichkeitsaussage, keine kritische Anfrage oder Nachfrage oder Hinterfragung oder wie die modischen Attitüden lauten. Es ist schlicht und einfach die gläubige Zuversicht dessen, der betet.
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Freitag, 15. März 2019
»Herr, lehre doch mich.«
Am Aschermittwoch wird die Asche über unser Haupt gestreut oder auch das Aschenkreuz auf unsere Stirn gezeichnet, wobei der Priester die Worte spricht: Bedenke, Mensch, daß du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst.
Memento mori. Wie oft vergessen wir diese Mahnung, obgleich doch das Faktum der Sterblichkeit uns alle vereint. Hier, in der absoluten Endlichkeit (und das Eigenschaftswort absolut ist an dieser Stelle richtig plaziert), hört jede Differenz auf, gleich, ob es um die Unterschiede zwischen arm und reich, gesund und krank, angesehen oder verachtet geht. Der Tod macht alle gleich.
Wer über die Unausweichlichkeit des Todes nachsinnt, steht vor dem Geheimnis, welches in die Verzweiflung oder in das Aufbäumen oder in den letzten ekstatischen Rausch führen kann – so etwa in Mahlers Lied von der Erde, welches ein langer elegischer Abgesang an die unverfügbare und zugleich leidenschaftlich begehrte Wunderkraft der Welt ist.
Johannes Brahms hat sein memento mori komponiert. Ein deutsches Requiem ruft unser Ende in die Erinnerung. Im dritten Satz seines siebenteiligen Werkes wird die zerreißende Spannung von hilfloser Unausweichlichkeit und Suche nach rettender Erlösung schmerzlich hörbar.
Herr, lehre doch mich, so beginnt es. Es ist die Bitte an Gott, den Beter in die Schule Gottes zu nehmen. Er, Gott, der Begründer des Geheimnisses des Todes, muß den Beter unterrichten, damit dieser verstehen lernt. Denn der Mensch ist ein Unverständiger, Unbelehrbarer. Blindlings sammelt er Schätze und weiß doch nicht, wer es kriegen wird. Er ist ein Schemen, sein kurzes Leben wie ein Nichts vor dem allmächtigen Gott.
Der Ausweg aus der Unausweichlichkeit des Todes ist nicht die Kurzsichtigkeit, nicht die Illusion, nicht das Hasten und sich Betäuben, sondern, ganz im Gegenteil, die demütige Bitte an den Herrn, dem Menschen das Ziel klar vor Augen zu rücken: Herr, lehre doch mich, daß ein Ende mit mir haben muß, und daß mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muß. Der Tod ist Tod, er wird nicht bemäntelt. Aber der Tod ist ineins Ziel und damit nicht Nichts.
Damit gibt Brahms bereits zu Beginn die Richtung an. Doch Brahms wäre nicht Brahms, wenn er mühelos den Weg ins Helle weisen würde. Zum dritten Satz des Requiems und zur Ernsthaftigkeit des Komponisten Brahms gehört, daß er die Klage des sterblichen Menschen lange ertönen läßt. Denn derjenige, der diese Klage vernimmt, der den Terror des Todes vernimmt, steht vor der Versuchung, angesichts dieses Schreckens zu verzweifeln. Was bleibt, wenn der Tod scheinbar Alles nimmt?
In den Worten der Komposition, welche Worte dem Psalm 84 entnommen sind: Herr, wes soll ich mich trösten?
Und man muß den hämmernden Schrei dieser zermürbenden Frage hören und die im Schrei mitschwingende Angst des Verhallenden, mit anderen Worten die Befürchtung, der Schrei könnte ins Leere gehen und also ohne Antwort bleiben – all diese Beklemmungen, die Brahms in ihrer ganzen Bedrückung hörbar macht - , um sodann, geboren aus der tiefsten Not, anzukommen bei der Antwort der Güte: Ich hoffe auf Dich. Die gerechten Seelen sind in Gottes Hand und keine Qual rühret sie an.
Die gerechten Seelen. Das ist keine kitschige Vertröstung eines deus ex machina, sondern die Antwort des biblischen Beters. Und zu dieser Antwort gehört, daß sie keiner platten paradiesischen Allerweltsstimmung das Wort redet, sondern im Nüchternen verbleibt. Denn die Rede ist von den gerechten Seelen. Der Gerechte ist, laut biblischer Auskunft, derjenige, der siebenmal am Tag fällt. Aber der Gerechte bleibt nicht am Boden liegen, sondern er steht auf, seine Sünde vermag ihn nicht zu halten (Spr 24,16). Darum wartet seiner die Erfüllung.
Was aber ist mit den ungerechten Seelen? Über sie heißt es im selben Buch der Sprichwörter, daß die Gottlosen im Unglück versinken.
Brahms gedenkt der gerechten Seelen. Er komponiert die Hoffnung. Und die Hoffnung, auch dies biblischer Befund, läßt nicht zugrunde gehen (Römerbrief 5,5). Doch zur Hoffnung gehört, sie zu ergreifen – im Herrn. Darum heißt es im letzten Satz des Requiems mit den Worten der Offenbarung des Johannes: Selig sind die Toten, die in dem Herren sterben, von nun an.
In dem Herren!
Grafik: Photo by Ahna Ziegler on Unsplash
Freitag, 8. März 2019
»Kein Künstler ist jemals morbid.«
Ein gut aussehender Zwanzigjähriger wird von einem Maler portraitiert. Als das Bild schließlich fertig ist, ist der Portraitierte von der dargestellten eigenen Schönheit wie berauscht. Warum, so fragt er sich, wird er altern, das Portrait jedoch in unverminderter Makellosigkeit bestehen bleiben. Ist das nicht ungerecht?
Und angesichts dieses Portraits verkauft er in einem Akt entsetzlicher Verblendung seine Seele: Das Portrait soll altern, während er selbst, Dorian Gray, der ewige Adonis bleibt.
Der Roman erzählt den Fortgang und Ausgang dieses bösen Tauschs. Denn tatsächlich altert das Bild, während der Portraitierte seine Jugendlichkeit wahrt.
Und mehr noch. Während Gray zunehmend in Lastern versinkt und schließlich den Maler ermordet, zeigt das Portrait unerbittlich den Verfall des Dargestellten, dessen Verruchtheit und Lasterhaftigkeit. Bis schließlich, am Ende des Abstiegs, Gray, angeekelt von seiner mörderischen Unzucht, sich besinnt, den Beginn einer Bekehrung erprobt und in einem Anfall rasender Aufwallung sein Portrait zu vernichten sucht, dabei jedoch sich selbst tödlich trifft – er stirbt, während das Portrait überlebt.
Und erst jetzt, im Finale, ist Dorian Gray Dorian Gray. Nicht länger der junggebliebene Narziß, sondern der am Boden Liegende, der Tote und Verweste, der mit allen entsetzlichen Schwären einer mißhandelten Seele Gezeichnete, der offenbare Sünder.
Hat also Oscar Wilde, der Verfasser dieser schaurigen Story, eine Moritat geschrieben?
Das Bildnis des Dorian Gray hat alle Zutaten einer Moritat. Und wenn Wilde der große Künstler gewesen wäre, für den ihn manche halten mögen, hätte es tatsächlich eine große Moritat werden können. Aber herausgekommen ist ein fadenscheiniger Zwitter, kein Vollendetes. Und das liegt an Wilde selbst.
Denn das eigentlich Abgründige an seinem Roman ist die Gestalt des Lords Henry Wotton. Wotton ist der Verführer des jungen Gray. Und Verführer meint hier Verführung im schrecklichsten Sinnes des Wortes. Er ist derjenige, der seinen Schützling, dessen anfängliche Reinheit Wilde des öfteren betont, mit giftigen Sottisen und zynischen Spitzfindigkeiten unausgesetzt becirct, bis der von ihm Hypnotisierte der Pestilenz des dekadenten Lebemannes erliegt.
Und diese Kapitulation des Jüngeren wird dadurch erleichtert, daß die reiche Gesellschaftsschicht, in der sich Wotton und Gray bewegen, die ätzenden, haarsträubenden Pretiosen des Dandys Wotton bestaunen und beklatschen. Je abstruser dessen Theorien, desto willfähriger machen sie unter den gelangweilten Snobs der viktorianischen High Society die Runden.
Am Ende liegen Leichen am Boden. Ein Ermordeter, zwei Selbstmorde, ganz zu schweigen von den seelisch Ruinierten. Und was macht Wilde?
Wilde läßt seinen verdorbenen Helden untergehen und dessen Portrait überleben. Cave: Die Kunst, auf sie kommt es an, das ästhetische Credo ist unantastbar. Aus dem Ausbund des Schaurigen geht das reine Portrait hervor.
Eben damit leistet Wilde seinem Roman den Bärendienst. Denn große Kunst hätte unweigerlich den zur Rechenschaft gezogen, den das Urteil treffen muß – den depravierten Lord. Doch diesen läßt Wilde ungeschoren davonkommen. Damit verrät er die wahre Kunst. Denn jede große Kunst ist, da sie den wahren Gesetzen des Lebens und nicht den künstlichen Paradiesen des fin de siècle folgt, per se moralisch. An Dickens hätte Wilde dies ablesen können.
Das wahrhaft Ungeheure des Romans ist folglich diese Tatsache: Das Scheusal geht leer aus. Ohne Strafe. Ohne Ächtung. Ohne die kleinste Blessur. Und das liegt darin, daß Wilde in die destruktive Raffinesse seines Lords verliebt ist. Er legt dem Verführer ein genüßliches Paradox nach dem anderen in den Mund, und der Leser spürt hinter Wotton den selbstgefälligen agent provocateur Wilde. Wo es geraten gewesen wäre, sich von Wotton zu distanzieren, um die Gewichte von Gut und Böse eindeutig zu markieren, verwischt Wilde die Grenzen und gefällt sich - auf Kosten der Integrität der Kunst - im glitzernden Rausch der leeren gesellschaftlichen Capricen.
Gray ist Opfer beider – von Wotton und von Wilde. Die Unentschiedenheit Wildes, sein Liebäugeln mit der Schlange der Verführung, läßt ihn über seinen jugendlichen Helden - der von einem Buch, welches Wotton ihm aushändigt, endgültig zersetzt wird – sagen: »Das Buch, das Dorian vergiftet oder vervollkommnet (...)« (so in einem Brief Wildes an R. Payne).
Wie bitte? Vergiften oder vervollkommnen? Was nun? Hier gibt es nur ein entweder/oder. Tertium non datur. Wer beides in einem Atemzug nennt, der liefert Gray ans Messer, das aber heißt, der verleiht dem morbiden Lord und seinem perfiden falschen Glanz den Nimbus des genialen spiritus rector.
Poor Wilde. »Kein Künstler ist jemals morbid«, heißt es in einem der vorangestellten Motti des Romans. Es wäre schön gewesen, wenn sich Wilde an diese Maxime gehalten hätte.
Freitag, 1. März 2019
Gordische Knoten
Einstein soll dies gesagt haben.
Was gemeint ist, ist klar. Wer die Probleme richtig anschaut und analysiert, wer die korrekte, langwierige Diagnose stellt, der hat im Grunde das Problem gelöst.
Lang ist‘s her, daß Einstein dies feststellte. Unsere Zeit entscheidet sich anders. Nicht die korrekten, zeitaufwendigen Diagnosen sind gefragt, sondern die schnellen, am besten rasend schnellen Lösungen, die – man ahnt es bereits – keine Lösungen sind, weil sie nur schnell, aber wenig erleuchtet sind.
Dieser Wahn des Schnellen hält mittlerweile auch Einzug in das religiöse Leben. Das Spirituelle soll gefälligst ebenso schnell gehen. Spirituell und schnell, das reimt sich sogar. Na bravo!
Leider, oder Gott sei Dank, ist aber das Geistige kein Fast-Food-Produkt. Gut Ding will Weile haben. Und wer sein Leben ins Reine bringen will, der muß sich Zeit nehmen und darf Mühen nicht scheuen. Er muß die rechte Diagnose stellen. Und dazu gehört, daß er zuallererst einmal recht hinschaut, Bequemlichkeiten ablegt, Nebensächliches wegschafft, die Details ordnet, die Zusammenhänge wahrzunehmen beginnt, Unliebsames nicht verdrängt, sondern ins Licht hebt und bei Bedarf auf einen weisen Ratgeber hört.
Und dieses langsame, geduldige Vorgehen ist bereits Beginn der heilsamen Lösung. Nicht umsonst heißt es im Lukasevangelium (in der Vulgata-Fassung): In patientia vestra possidebitis animas vestras – wörtlich: In eurer Geduld werdet ihr eure Seelen besitzen (21,19).
In der Geduld, nicht in der Raserei.
Man wird entgegenhalten: Aber selbst im Evangelium gibt es doch die schnellen Heilungen. Sofort ist eine Vokabel, die bei den neutestamentlichen Heilungsberichten öfters vorkommt.
Das stimmt. Doch die Spontanheilungen sind nicht die Regel, sondern die Ausnahme, und diese Ausnahme hilft uns, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Denn wie oft wollen wir aufgeben, wenn die Heilung nicht so schnell eintritt, wie wir es gerne hätten. Dann kann es sein, daß wir versucht sind zu kapitulieren. Spontane, sofortige Heilungen, von Jesus gewirkt, zeigen uns sodann im unwiderstehlichen Licht der Tageshelle, daß das Ziel keine Illusion ist, sondern Wirklichkeit. Doch diese Wirklichkeit negiert nicht den ordentlichen Weg, den Weg, welcher der langsame ist.
Und schließlich: Auch der langsam Voranschreitende wird die Erfahrung der Schnelle machen, die Erfahrung der Überraschung. Auch das drückt ja Einstein aus.
Grafiken: Photo by Jake Oates on Unsplash