Samstag, 30. November 2019

Advent II

Was hat Daniel in der Löwengrube mit dem Advent zu tun?

Daniel, der Prophet, der ins babylonische Exil verschleppt ist, weigert sich dort, zu einem anderen Gott als dem einzig rechtmäßigen zu beten. Daraufhin klagen ihn die eifersüchtigen Hofschranzen beim König Darius an und fordern seine Hinrichtung - er soll in die Löwengrube geworfen werden.

Der König, der Daniel zugetan ist, will ihn retten, doch er vermag sich den mörderischen Einflüsterungen seiner Entourage nicht zu widersetzen und willigt schließlich in das Todesurteil ein.

Der britische Maler Briton Rivière (1840 – 1920) stellt die biblische Szene, die im Buch Daniel 6,17ff berichtet wird, in dramatischen Gegensätzen dar. Dort die fletschenden, zum Sprung bereiten ausgehungerten Löwen, hier der aufrechtstehende, gefesselte Gefangene. Während die Raubtiere in hellgelben Farben das Bild dominieren, steht die Hauptperson Daniel, schwarz gewandet, am rechten Rand des Tableaus.

In Anlehnung an das Diktum des weisen Laotse: Wahre Worte sind nicht schön, schöne Worte sind nicht wahr, ließe sich angesichts der obigen Darstellung die Behauptung wagen: Augenscheinliches ist nicht wahr, Wahres ist nicht augenscheinlich.

Das Laute, Reißerische, Blutrünstige und brutal ins Auge Springende, die scheinbare Löwenübermacht, das, was die Szene grell beherrscht, ist in Wahrheit das Gefesselte. Der geknebelte Mann dagegen, im priesterlichen Gewand der Asche und Noblesse und Zurückgenommenheit, ist der Stille, der Freie, der tatsächliche Sieger.

Was das mit dem Advent zu tun hat?

Sagen wir es so: Der Advent will uns einüben in das andere Sehen, das tiefe Sehen, das neue Sehen, damit dann, wenn in der Verborgenheit der tiefsten Nacht – der Mitternacht – das ewige Wort vom Thron steigt, unsere Sinne derart geschult sind, daß wir den Augenschein hinter uns lassen und wahrzunehmen vermögen, wer in der Krippe liegt.

Nochmals anders gesagt: Wenn wir derart in der Nacht zu schauen lernen, dann sind wir auf dem besten Weg, Glaubende zu werden. 

Grafik: wikicommons


Freitag, 22. November 2019

Omnia ad maiorem Dei gloriam

Illusionen und Vorurteile haben es an sich, zäh zu sein.

Große Werke, so meinen wohl etliche, bedürfen zu ihrer Entstehung optimaler Bedingungen. Und dann imaginiert die Phantasie die idyllischen, angeblich notwendigen Bedingungen. Vielleicht ein netter abgelegener Ort – am besten ein Kurort, warum nicht Aflenz - , ein schmuckes Häuschen inklusive, ein schattiger Apfelbaum zum Luftholen, eine Studierstube mit den angemessenen Annehmlichkeiten und die güldene Feder zum Notieren der Inspirationen.

Die Wirklichkeit ist freilich eine andere. Eine ganz andere. (Es sei denn, man ist Thomas Mann mit seinen obligaten Villen).

Anton Bruckner zum Beispiel.

Sein Leben ist gut dokumentiert. Würde die bourgeoise Illusion recht behalten, dann dürfte dem österreichischen Komponisten nichts gelungen sein, da seine Biographie der bürgerlichen Idylle gänzlich zuwiderläuft.

Gehässigkeiten, Scheitern, Unbilden, Überlastung, Kabalen, Neid, Intrigen reihen sich in seiner Vita. Für die snobistische Wiener Schickeria, die sich notorisch für etwas Besseres hält, war der tumbe Tor aus Oberösterreich das gefundene Fressen. Anekdoten zirkulierten, die dessen ungeschlachtes Naturell karikierten. Seine Devotheit und sein bäurisches Äußeres wurden landauf landab ins Lächerliche gezogen, seine katholische Frömmigkeit mitleidig belächelt.

Der damalige tonangebende Wiener Musikkritiker ließ in der reifen Schaffensphase des Komponisten keine Gelegenheit vorübergehen, um den überragenden Tonsetzer niederzumachen. Musikkollegen, die es hätten besser wissen müssen, etwa Brahms, mokierten sich gleichfalls über das Genie, welches ein Trottel war. Die dritte Symphonie wurde ein kompletter Reinfall. Die Wiener Philharmoniker streikten. Das Publikum lief davon. Die siebte Symphonie, die Bruckner schließlich die Anerkennung verschaffte, die ihm, hätte man die Ohren aufgetan und die Häme ad acta gelegt, längst gebührte, wurde – was mehr sagt als tausend Worte - nicht in seinem Wohnort Wien uraufgeführt, sondern in Leipzig.

Selbst die nahestehenden Freunde verstanden oft genug nicht die Größe dessen, der neben ihnen im Wirtshaus saß. Darum erdreisteten sich wohlmeinende Musikanten, in die Werke des Genies hineinzupfuschen. Instrumentationen wurden willkürlich geändert, Retuschen und Streichungen vorgenommen und dem Komponisten Änderungen dringendst nahegelegt.

Wen wundert‘s, daß bei all den unverschämten Widrigkeiten, mit denen man dem Komponisten zusetzte, der Komponist selbst an Nervenkrisen, Grübeleien und der Zählkrankheit litt.

Und doch. Und doch.

Eben dieser Anton Bruckner, der Zermürbte und Gequälte und Geprügelte, schreibt die herrliche dritte Symphonie und die herrliche vierte Symphonie und die unfaßbare fünfte Symphonie und die strahlende Sechste und die himmlisch fließende Siebente und die monumentale Achte und die einsam aufragende neunte Symphonie.

Wer Bruckner entdeckt, hat einen Schatz für‘s Leben entdeckt. Eine Insel ist zum Aushalten, wenn im Koffer die Werke Bruckners dabei sind. Celibidache, einer der großen Brucknerdirigenten, meinte: »Daß es Bruckner gegeben hat, ist für mich das größte Geschenk Gottes.« Das ist naturgemäß eine Übertreibung, aber Liebhaber dürfen das.

Die letzte Ruhe fand Anton Bruckner nicht in Wien, sondern im Linzer Stift St. Florian. Dort, unterhalb der Orgel, steht sein Sarkophag. Und eingraviert in den Sockel des Sarkophags findet sich die Schlußzeile des Te Deum als Inschrift: Non confundar in aeternum (In Ewigkeit werde ich nicht zuschanden).

Da Bruckner seine letzte Symphonie nicht beenden konnte, verfügte er, daß das Te Deum gleichsam als vierter Satz im Anschluß an die Neunte, die bezeichnenderweise Dem Lieben Gott gewidmet ist, zur Aufführung zu bringen sei.

Die letzte Symphonie und das Te Deum: Während jene im pianissimo verhauchend ausklingt, jubelt dieses fortissimo in finaler Gewißheit. Beides ist Bruckner: Die grenzenlose Kleinheit und der majestätische Gipfel. Denn Bruckners Musik der Sehnsucht schafft das Unmögliche, das, was den Großen gegeben ist, und was etwa die Grabinschrift des heiligen Ignatius von Loyola zum Ausdruck bringt: Non coerceri maximo, contineri tamen a minimo divinum est (in der Übersetzung Hugo Rahners: Nicht begrenzt werden vom Größten und dennoch einbeschlossen sein vom Geringsten, das ist göttlich).


Freitag, 15. November 2019

Verbergt nicht


»Verbergt nicht Eure Feigheit unter dem Mantel der Klugheit.«

Aus dem III. Flugblatt der Weißen Rose



Grafik: Mahnmal Weiße Rose, München, wikicommons, by Adam Jones, Ph.D.

Freitag, 8. November 2019

Die konkrete Verantwortung

»Konkrete Verantwortung kann es nur geben, wenn sie zugleich von anderen Verantwortlichkeiten dispensiert (…) Wenn wir alle unsere Handlungen messen müßten an dem, was universell für alle das Beste ist, dann könnten wir überhaupt nicht handeln.«

Robert Spaemann, von dem dieses Diktum stammt, liefert in dem späten Interviewband Über Gott und die Welt zugleich ein konkretes Beispiel, um das Gemeinte zu verdeutlichen:

»Die Nationalsozialisten stellten einen Polizisten vor die sadistische Alternative, eigenhändig ein zwölfjähriges jüdisches Mädchen zu erschießen oder in Kauf zu nehmen, daß zehn andere Juden erschossen würden. Der Polizist schoß. Er glaubte, die Verantwortung zu haben für den Tod der anderen, wenn er nicht geschossen hätte. Anschließend landete er in der Psychiatrie. Nein, er hätte diese Verantwortung nicht gehabt. Er hatte in diesem Augenblick nur die Verantwortung für das Kind.«

In Shusako Endos berühmtem Roman Schweigen, 2016 von Martin Scorsese verfilmt, kommt es am Ende zu folgender Zuspitzung: Der Priester Sebastiao Rodrigues, Jesuit, ist zur Zeit der Christenverfolgung im Japan des 17. Jahrhunderts in Gefangenschaft. Mitgefangene von ihm werden grausamst gefoltert. Das Angebot, welches ihm schließlich von den Exekutoren wie von einem seiner Mitbrüder, der seit Jahren abgefallen ist, gemacht wird: Wenn er, Sebastiao, gleichfalls dem christlichen Glauben abschwört und dies derart bezeugt, daß er gotteslästerlich mit seinen Füßen auf ein Jesusbild tritt, werden seine Mitgefangenen begnadigt.

Sebastiao willigt am Ende ein und tritt auf das Jesusbild.

Mal abgesehen von den verqueren theologischen Deutungen Endos (die im übrigen von vielen seiner christlichen Landsleute vehement kritisiert wurden): Hatte Rodrigues die Verantwortung für die gefolterten Christen? - Ja. Hatte er damit die Verpflichtung, das perverse Angebot der Peiniger anzunehmen? - Nein.

Denn die konkrete erste Verpflichtung des Paters ist, der widerlichen Erpressung zu widerstehen und sich nicht umzubringen. Denn das sadistische Angebot der Folterer läuft genau darauf hinaus: Rodrigues tötet sich, um auf diese Weise das Leben der Anderen zu retten.

Dies ist keine Metapher. Im Abspann des Romans wird in knappen Sätzen der faktische Selbstmord des jungen Jesuiten registriert: Er ist nicht länger Priester, die Frau eines Verstorbenen wird ihm zugeführt, an seinem Lebensende wird er buddhistisch eingeäschert. Mit anderen Worten: Der Priester Sebastiao Rodrigues hat sich durch die Übernahme einer falschen Verantwortung und dem damit einhergehenden Verrat an seiner gottgegebenen Berufung tatsächlich ausgelöscht. Aber geistiger Selbstmord ist keine Hingabe.

Hingabe ist: Sebastiao macht den Häschern freiwillig das Angebot, stellvertretend für die Mitgefangenen in den Tod zu gehen. Sie sollen ihn in die Foltergrube hängen und die Anderen frei lassen.

Wenn die Folterer auf diese Hingabe nicht eingehen und die Mitgefangenen dennoch töten, dann ist dies ihre Entscheidung. Der Pater hat sein Äußerstes getan. Nicht er tötet, die Anderen töten. Für die perverse Logik der Folterer ist er nicht verantwortlich.

Samstag, 2. November 2019

Allerseelen 2019



Recordare Iesu pie,
Quod sum causa tuae viae:
Ne me perdas illa die.
Quaerens me, sedisti lassus:
Redemisti crucem passus:
Tantus labor non sit cassus.
Iuste iudex ultionis,
Donum fac remissionis,
Ante diem rationis.
Ingemisco, tamquam reus:
Culpa rubet vultus meus:
Supplicanti parce Deus.
Qui Mariam absolvisti,
Et latronem exaudisti,
Mihi quoque spem dedisti.
Preces meae non sunt dignae:
Sed tu bonus fac benigne,
Ne perenni cremer igne.
Inter oves locum praesta,
Et ab haedis me sequestra,
Statuens in parte dextra.

Übersetzung

Milder Jesus, wollst erwägen,
Dass Du kamest meinetwegen,
Schleudre mir nicht Fluch entgegen.
Bist mich suchend müd gegangen,
Mir zum Heil am Kreuz gehangen,
Mög dies Mühn zum Ziel gelangen.
Richter Du gerechter Rache,
Nachsicht üb in meiner Sache
Eh ich zum Gericht erwache.
Seufzend steh ich schuldbefangen,
Schamrot glühen meine Wangen,
Lass mein Bitten Gnad erlangen.
Hast vergeben einst Marien,
Hast dem Schächer dann verziehen,
Hast auch Hoffnung mir verliehen.
Wenig gilt vor Dir mein Flehen;
Doch aus Gnade lass geschehen,
Dass ich mög der Höll entgehen.
Bei den Schafen gib mir Weide,
Von der Böcke Schar mich scheide,
Stell mich auf die rechte Seite.