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Samstag, 9. Oktober 2021

Fides et ratio

Gewiß gehört zu jeder großen wissenschaftlichen Leistung ein Geist, der demütig ist. 

Der Stolze vermag zwar auch zu erkennen, aber nur bis zu einem gewissen Grad, denn aufgrund seines Hochmuts, der laut der bekannten Redensart vor dem Fall kommt, wird er über kurz oder lang fehlgeleitet werden, sei es in seinen Axiomen, sei es in seinen Hypothesen, sei es in seinen Schlußfolgerungen. Diese Dynamik der Abwegigkeit ist dem Stolz inhärent, noch dann, wenn der Keim des Stolzes zu Beginn nur dem geschulten Auge sichtbar sein mag.

Der Vater der modernen Zytogenetik, Jérôme Lejeune, Entdecker des überzähligen 47. Chromosoms bei der Trisomie 21 Erkrankung, war sich zeit seines Lebens dieser Zusammenhänge bewußt, nicht zuletzt deswegen, weil er in die Schule des Evangeliums ging, welches den Hörer und Täter des Wortes auf Schritt und Tritt in die Wahrheit und in die Demut einführt.

Stellvertretend für etliche andere, vergleichbare Texte Lejeunes mag der folgende stehen: Eine kurze Meditation zum Evangelium der Heimsuchung (siehe Lukasevangelium 1, 39-56). Derjenige, der hier meditiert, ist beides: Christ und Forscher, ohne eine Seite seiner Existenz gegen die andere auszuspielen. Vielmehr befruchten sich beide, denn beide – die Wissenschaft und der Glaube – sind zwei Lichtquellen, derart, daß das Licht der Offenbarung das natürliche Licht der Vernunft ordnet, klärt und hinführt zu den Tiefen/Höhen der Schöpfung, die dem bloß menschlichen Blick im Trüben bleiben.

Lejeune schreibt:

»Lesen Sie erneut die Heimsuchungsszene. Welches Alter hatte der kleine Prophet, der im Schoß Elisabeths hüpfte, als Maria kam, die ihrerseits Unseren Herrn in sich trug? Sechs Monate in utero (…) Und wie alt war die menschliche Gestalt Jesu damals? Der heilige Lukas sagt es nicht, sondern stellt lediglich fest, daß die Jungfrau auf die Ankündigung des Engels hin sich eilends zu ihrer Cousine auf den Weg macht: Maria festinavit (…)
Zur Zeit der Heimsuchung war die menschliche Gestalt Jesu also unglaublich jung, nur ein paar Tage alt, vielleicht eine Woche... und doch jubelte Johannes, der kleine Prophet, der erst sechs Monate Ältere, bei seiner Ankunft! Wenn die Ärzte unserer Tage dieses Evangelium lesen würden, würden sie von Herzen verstehen, daß die Wissenschaft sie nicht täuscht, wenn diese sie, aufgrund der Vernunft, nötigt, die Tatsache anzuerkennen, daß das Sein bei der Empfängnis beginnt. Ebenso wie die Weisen und wie jeder Mensch, so haben auch die Ärzte alles in der Schule Jesu zu lernen.«

 

Grafik: wikicommons     

Freitag, 11. Mai 2018

Loslassen III


Er war berühmt. Er war der Entdecker der Chromosomenanomalie, die unter dem Namen Trisomie 21 bekannt wurde. Er hatte etliche wissenschaftliche Auszeichnungen erhalten, unter anderem die weltweit bedeutendste Auszeichnung im Bereich der Genetik. Er war der erste Präsident der von Johannes Paul II. gestifteten Päpstlichen Akademie für das Leben. Und er war ein Geächteter.

Denn der weltberühmte Genetiker und Pädiater Jérȏme Lejeune ließ sich nicht korrumpieren von Ruhm, Erfolg, wissenschaftlicher Karriere und medizinischem Prestige. Was ihn auszeichnete, war seine uneingeschränkte Liebe zum Leben, und das schloß die Liebe zu den Ungeborenen, den Behinderten, den Ausgestoßenen ein, die er zärtlich meine Kleinen nannte.

Lejeune weigerte sich, Pränataldiagnosen durchzuführen, deren Ziel eine Abtreibung war. In etlichen Stellungnahmen vor Wissenschaftlern und ebenso vor politischen oder juristischen Gremien trat er unmißverständlich für den vollständigen Schutz des Lebens ein, das, wie er anhand seiner Forschungen nachwies, nicht irgendwann beginnt, sondern bei der Empfängnis, so daß der Mensch stets, in welchem Stadium auch immer, Mensch ist.

Bei all seiner ausgedehnten Forschungsarbeit vergaß Lejeune dabei nie den eigentlichen Schwerpunkt seiner Arbeit: Die Begegnung mit seinen Patienten am Krankenbett, das persönliche Gespräch, die Zuwendung zum Gegenüber, die Sorgfalt jedem Einzelnen gegenüber, denn dieser Einzelne war der je Einzelne, kein Fall, sondern die unschätzbare, nicht auswechselbare Person.

Er hätte es leichter haben können. Er hätte sich, wie man so sagt, arrangieren können mit dem Zeitgeist, welcher mehr und mehr der Ungeist der medizinischen Machbarkeit wurde, der Geringschätzung des Lebens, der Abtreibung, der Embryonenvernichtung, der Experimente am Menschen. Er hätte auch reich werden können, dotiert, vermögend. Er hätte den Nobelpreis erhalten können, denn er war der Kandidat für diese Auszeichnung.

Aber Jérȏme Lejeune wählte den integren Weg. Seine Tochter berichtet über ihren Vater:

»Hier ist ein Mann, der sich aufgrund seiner ärztlichen Überzeugungen den Trends der Zeit verweigerte und eben deshalb von der Gesellschaft geschnitten wurde, von Freunden fallen gelassen, gedemütigt, von der Presse gekreuzigt, an seiner Forschungsarbeit durch Budgetkürzungen gehindert wurde. Hier ist ein Mann, den manche kleinkriegen wollten, für andere war er ein Mann, für den es sich nicht lohnte, den eigenen Ruf zu kompromittieren; und für wieder andere war er ein inkompetenter Extremist.«

Eine seiner Mitarbeiterinnen stellt Lejeune das folgende Zeugnis aus:
»Was mich betrifft, so bestand die wertvollste seiner Leistungen in dem Wandel, den er in mir bewirkte. Als ich in Frankreich ankam, lebte ich ein Leben, das zwischen Glauben und Vernunft aufgeteilt war. Von Montag bis Samstag, so dachte ich, ziehe ich für meine wissenschaftlichen Aufgaben meinen weißen Arztkittel an; am Sonntag ziehe ich sodann den weißen Kittel aus, ziehe mein Kruzifix an und komme meinen religiösen Verpflichtungen nach. Professor Lejeune bekehrte mich gründlich, indem er mir klar machte, daß man den weißen Kittel und das Kreuz tragen kann, und zwar gleichzeitig. Mit anderen Worten: Man kann sowohl mit den Flügeln des Glaubens wie mit den Flügeln der Vernunft fliegen.«

Johannes Paul II., befreundet mit Lejeune, schrieb in seinem Nachruf auf den Freund: »Er war bereit, zum Zeichen des Widerspruchs zu werden, ohne sich um den Druck seitens der freizügigen Gesellschaft zu kümmern oder um die Verfemung, der er ausgesetzt war.«

Nach einer wissenschaftlichen Konferenz in San Francisco, bei der er mit einem renommierten Preis ausgezeichnet worden war, hatte Lejeune in seiner anschließenden Festrede sein ärztliches Credo dargelegt Am Abend desselben Tages schrieb er an seine Frau: »Heute Nachmittag habe ich meinen Nobelpreis verloren.« Denn auch den Nobelpreis galt es loszulassen.

Jérȏme Lejeune: Familienvater. Kinderarzt. Genetiker. Christ. Er stirbt am 3. April 1994. Es ist der Ostersonntag.

Grafik: Fondation Jérȏme Lejeune