Samstag, 17. Juli 2021

Hl. Giuseppe Moscati III

Der Dienst

Es mag erstaunen, wenn man in einem Tagebucheintrag Moscatis, adressiert an die »Jungfrau Maria«, liest: »Das Leben ist jetzt für mich eine Pflicht. Du vereinst meine wenigen Kräfte, um sie für meine Mission umzuwandeln. Allzu sehr hat mich die Nichtigkeit der Dinge, vielleicht der Ehrgeiz, stärker an Wissen und Geist erscheinen lassen, als ich wirklich bin.«

 

Es ist das Geheimnis des Dienstes. Seine Überlegung, bei den Jesuiten einzutreten, scheitert. Man rät ihm, seine Aufgaben in der Welt fortzusetzen. Und er versteht mehr und mehr seine Sendung. Nicht er, Moscati, ist der große Arbeiter, sondern der Herr, der sich seiner bedient, um zu den Menschen, zumal den Leidenden, zu kommen. 

Moscati bezieht seine Kraft vor dem Tabernakel, im Knien. Bevor er seine Patienten untersucht, macht er sich der Gegenwart Gottes bewußt. Kranke, zumal solche, denen eine Operation bevorsteht, ermutigt er, die Sakramente zu empfangen. Manche Kranke vermag er wundersam zu diagnostizieren und zu kurieren, ohne sie auch nur von Auge zu Auge gesehen zu haben.

Sein Beichtvater ist P. Pio, der stigmatisierte Kapuzinerpater, der Jahre später mehr und mehr berühmt werden wird. Wenn es die Umstände erlauben, ministriert Moscati beim heiligen Meßopfer. Seine Liebe zur Muttergottes ist bleibend, sie beginnt in früher Kindheit. Es ist das Hochfest der Muttergottes, der 8. Dezember, Tag der ohne Erbsünde empfangenen Gottesmutter Maria, an dem er die Erste Heilige Kommunion empfängt. Der Rosenkranz ist sein ständiger Begleiter, in einer Kirche, vor dem Bild der Muttergottes, legt er in jungen Jahren sein Keuschheitsgelübde ab, das Angelusgebet strukturiert wie selbstverständlich seinen Tagesablauf, der schließlich rund um die Uhr ein ausgefüllter ist. 

Visiten (in Notfällen auch nachts), Operationen, Untersuchungen, Besprechungen, Vorlesungen, Forschungsarbeit, wissenschaftliche Publikationstätigkeit, Erledigung von Verwaltungsaufgaben, zudem die Patientenbetreuung in der Privatpraxis zuhause. Oft genug geschieht es, daß er die mittellosen Patienten ohne Honorar behandelt. Oder es kommt vor, daß er einen Patienten mit einem Kuvert nach Hause schickt, und in dem Umschlag ist das Rezept und ein 50-Lire-Geldschein, um das Rezept einzulösen.

Er ist der Arzt, der sich hingibt, ohne zu murren, ohne sich wichtig zu machen. Denn er liebt seinen Beruf, er weiß um das hohe Ethos des Arztes, er wird nicht müde, seinen Studenten die Schönheit der medizinischen Mission zu vermitteln und sie anzuspornen, Ärzte zu sein, die ihrer großen Verantwortung bewußt sind. Er ist Mitglied der Königlichen Akademie der Chirurgischen Medizin und Leiter mehrerer Hospitäler. In seinem Laboratorium forscht er unermüdlich, er gehört zu den Pionieren der Insulin-Forschung und der modernen Biochemie. Aber er weiß zugleich um die Begrenztheit jeder menschlichen Kenntnis und daß es eitel ist, der Wissenschaft einen unfehlbaren, absoluten Rang zu geben, der ihr per definitionem nicht zusteht.

In einem Brief vom 4. September 1921 heißt es: »Bedenken Sie, daß Sie mit dem Beruf des Arztes eine große Sendung auf sich genommen haben. Harren Sie darin aus, mit Gott im Herzen, mit den Lehren Ihres Vaters und Ihrer Mutter vor Augen, mit Liebe und Mitgefühl für die Verlassenen, mit Glaube und Begeisterung, taub für Lobsprüche, unbeugsam gegenüber dem Neid, zum Guten bereit.«

Zwei Jahre später schreibt er demselben Adressaten: »Ja, was können wir Ärzte denn eigentlich? Sehr wenig! Und darum wollen wir der Seele helfen, wenn wir dem Körper nicht helfen können.«


Grafik: Die Reliefs zeigen die dreifache Tätigkeit Moscatis, links der Professor mit den Studenten, rechts als Arzt im Spital und in der Mitte der Heilige, erleuchtet durch die hl. Eucharistie. sacerdos-viennensis.blogspot.com


Samstag, 3. Juli 2021

Hl. Giuseppe Moscati II

Die Medizin

Wie es überhaupt dazu kommt, daß Moscati, der als siebtes von neun Kindern aus einer angesehenen Juristenfamilie stammt, nicht gleichfalls die juristische Laufbahn einschlägt, sondern die Medizin als sein Fach wählt, entzieht sich genauer Kenntnis. Einer seiner Biographen verzeichnet eine frühe Reminiszenz Moscatis; da heißt es: »Als Knabe schaute ich mit Interesse auf das Krankenhaus der Unheilbaren, auf das mein Vater mich von der Terrasse unseres Hauses hingewiesen hatte. Der Anblick gab mir Empfindungen des Mitleids ein mit dem namenlosen Leid, das in jenen Mauern gelindert wurde. Eine heilsame Verwirrung erfaßte mich, und ich fing an, an die Hinfälligkeit aller Dinge zu denken, und die Illusionen vergingen, so wie die Blüten von den Orangenbäumen fallen.«

Und die Illusionen vergingen … Moscati ist dreizehn, vierzehn Jahre alt, Gymnasiast in Neapel, als ihm die Hinfälligkeit der Dinge in der eigenen Familie drastisch vor Augen geführt wird.

Einer seiner Brüder, Alberto, der, zehn Jahre älter als Giuseppe, neunzehnjährig zum Artillerieleutnant in der Militärakademie zu Turin avanciert ist, kehrt 1893 zu seiner Familie nach Neapel zurück. Er ist schwerkrank. Was ist passiert? Bei einer Militärparade stürzt der versierte Reiter Alberto von seinem Pferd und schlägt mit dem Kopf auf dem Boden auf. Danach ist er für immer gezeichnet. Der Sturz hat schwere Hirntraumata ausgelöst, die trotz etlicher Kuren und Therapien nicht heilen. Alberto, der ein Jahr lang seinen Zustand vor der Familie geheim hält und auf Heilung hofft, muß schließlich 1893 krankheitsbedingt seinen Militärdienst aufgeben und nach Hause zurückkehren. Er ist Invalide, schwere, epileptische Anfälle und Krämpfe beeinträchtigen ihn sein Leben lang.

Giuseppe, der jüngere Bruder, sitzt oft bei Alberto, nimmt wahr, wie viel Pflege der Kranke braucht, erkennt die körperlichen und seelischen Bedürfnisse seines Bruders. 

Vier Jahre später, 1897, immatrikuliert er sich an der Fakultät in Neapel im Fach Medizin. Nur zwei Monate später, im Dezember desselben Jahres, stirbt plötzlich sein Vater im Alter von 61 Jahren. Der Tod des Familienoberhauptes, der noch die Sterbesakramente empfangen kann, ist für alle ein Schlag. Giuseppe, dies geht aus seinen Aufzeichnungen hervor, hat seinen Vater sehr verehrt. Oftmals begleitet er den angesehenen Juristen zur heiligen Messe. Das väterliche Vorbild ist für das Leben des Sohnes prägend. Der Vater strahlt aus in der Familie - durch seine Güte, seine Autorität, seine durch und durch unprätentiöse, starke, gefestigte Frömmigkeit. Und Giuseppe eifert diesem Vorbild nach.

1903 wird er zum Doktor med. promoviert. Seine Leistungen sind hervorragend, und dies wird so bleiben. In den etwas mehr als zwanzig verbleibenden Jahren bis zu seinem Tod wird er in der wissenschaftlichen Welt als medizinischer Experte bekannt und anerkannt. 1911 erhält er den Doktortitel in physiologischer Chemie. Etliche Publikationen tragen seinen Namen, »seine Forschungen über Art und Wirkung des Glykogens«, so einer seiner Biographen, »erregten Aufsehen in der Fachwelt.« 

Doch trotz seiner fachärztlichen Reputation und seiner späteren Professoren- und Dozententätigkeit, die eine lukrative Karriere, Ruhm und Prestige geradezu nahelegen, wählt Moscati den Weg der Einfachheit und des unauffälligen Dienstes bei den Kranken. Er bleibt exakt dort, wohin sein früher, kindlicher Blick einst gerichtet war: In Santa Maria del Popolo, im Spital der Unheilbaren.

Und er ist von Anfang an der Arzt, der im leidenden Patienten mehr wahrnimmt als den Bettlägerigen, den Kranken, den nicht mehr Funktionierenden. Da Moscati, bevor er seinen Dienst aufnimmt, sich angewöhnt, die Morgenmesse zu besuchen und die heilige Kommunion zu empfangen, ist die Arbeit im Spital eine verwandelte. Im Patienten begegnet ihm das Antlitz des leidenden Christus, und dies nicht als fromme Phrase dahergesagt, sondern als tatsächliche nackte Erfahrung. Es ist das, was Mutter Teresa, Jahrzehnte später, immer wieder betonen wird: Daß das Brot des Lebens, welches der Gläubige in der heiligen Kommunion empfängt, derselbe Leib ist, den man berührt, wenn man den Leib des Kranken, des Aussätzigen, des Armen berührt.

Und Giuseppe Moscati berührt die Armen, auch unter Lebensgefahr. Als im April 1906 der Vesuv ausbricht und die Dorfbevölkerung an den Abhängen des Berges akut gefährdet sind, begibt sich Moscati freiwillig in die Gefahrenzone, um der heimgesuchten Bevölkerung beizustehen. Er ist es, der unter Einsatz des eigenen Lebens dafür sorgt, daß in der Kleinstadt Torre del Greco, die nur wenige Kilometer entfernt vom Krater liegt, Alte und Kranke aus dem städtischen Hospital evakuiert werden. Es gelingt ihm, alle Patienten ins rettende Freie zu bringen; danach stürzt das Spitalsgebäude unter dem Aschenregen und dem Lavagestein ein. Als er zwei Tage danach den Generaldirektor des Spitalswesens in einem Brief ersucht, den ehrenamtlichen Helfern eine Belohnung zukommen zu lassen, bittet er im selben Brief: „Ich bitte Sie, erwähnen Sie meinen Namen nicht.“

Fünf Jahre später, als in Neapel eine furchtbare Choleraepidemie ausbricht, ist Moscati wiederum zur Stelle und schont sich nicht. Er geht in die Elendsquartiere, hilft selbstlos Tag und Nacht, ordnet sanitäre Rettungsmaßnahmen an, koordiniert die Hilfetrupps. 

Im Ersten Weltkrieg meldet er sich zum Einsatz, wird aber abgelehnt. Dies veranlaßt ihn, ein Spital für die Verwundeten des Krieges zu eröffnen, in dem er schätzungsweise 3000 Soldaten betreut. Dies alles in einer unspektakulären Weise, der es nicht um Sensationen und Rampenlicht geht, sondern um das Notwendige, das es zu tun gilt.

Grafik: Arbeitszimmer Moscatis. Sacerdos-viennensis.blogspot.com