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Freitag, 1. Dezember 2017

Carpe diem


Ein altbekannter Hochzeitsbrauch ist folgender:

Wenn die Neuvermählten aus dem Kirchenportal treten und in die Gesichter der Hochzeitsgäste und Gratulanten schauen, die bereits vor der Kirche auf sie warten, dann nimmt die Ehegattin irgendwann ihren Hochzeitsstrauß und wirft ihn in die Menge. Und es heißt, daß diejenige junge Frau, welche diesen Strauß auffängt, als nächste zum Traualtar treten wird.

Ein schöner Brauch. An ihn mußte ich in einem ganz anderen Zusammenhang denken. Und zwar bei einer Beerdigung. Dort wird, wenn für den betreffenden Verstorbenen und für alle Verstorbenen gebetet wird, in den Fürbitten auch desjenigen gedacht, der als nächster vor Gottes Thron treten wird. Auch hier wird eine Art Blumenstrauß überreicht, diesmal in Art einer Fürbitte, für einen anderen Hochzeitsstag, nämlich den endgültigen, da die Seele ihrem himmlischen Bräutigam Christus auf immer vermählt werden soll.

Wenn man diese beiden hohen Tage zusammendenkt, dann gewinnt man eine Vorstellung vom Realismus der Kirche. Sie geht unbeirrt durch die Zeiten und reicht einem jeden der Gläubigen die helfende Hand – dem, der Hochzeit feiert, und dem, der stirbt. Dabei ist die Ausrichtung der Kirche stets die gleiche: Sie will, daß durch die Zeiten hindurch der ihr Anvertraute die Tage seines Lebens gut lebt. Gut leben heißt mehr als satt sein und sich alles leisten können, was nun mal zum Leben dazugehört. Gut leben im Sinne der Kirche heißt, den Ernst des Lebens zu erfassen und jeden Tag sub specie aeternitatis zu leben, was meint: Im Blick der Ewigkeit.

Das ist keine Vertröstung auf das Jenseits, wie billige Christentumskritik meint. Es ist vielmehr die Blickrichtung, die dem Leben die einzig sinnvolle Tiefe oder auch Höhe verleiht, denn sie gibt jedem Tag die unausdenkbare Fülle und den unverlierbaren Ernst.

Wer an einem offenen Grab steht und auf den herabgesenkten Sarg schaut, wem sodann der Totengräber die Schaufel mit Erde in die Hand drückt, damit der Gläubige einen letzten Gruß der Erde dem Verstorbenen mit auf den Weg gibt, der weiß, daß der Realismus der Kirche zugleich radikal bis zum Äußersten und befreiend bis zur Schmerzgrenze ist.

Denn die katholische Kirche macht einem nichts vor. Du Mensch, so sagt sie ungeschönt, bist sterblich. Die nackte Wahrheit wird nicht vertuscht, sondern in die Mitte gerückt. Denn nur wer sich der Wahrheit aussetzt, darf hoffen, in die Weite zu gelangen. Der Blumenstrauß der Braut wird verwelken, aber das macht nichts. Die neue Braut, die auserwählte, die einst den Blumenstrauß ihrer Vorgängerin in Empfang nahm, tritt nach vorne und gibt heute am Altar ihr Jawort.

Doch einmal wird das letzte Jawort fällig. Für diese Bereitschaft bereitet die Kirche vor, auf daß wir, wenn es soweit ist, ein volles, kräftiges, furchtloses Ja zu sprechen vermögen. Dies geht freilich nur, wenn wir uns in der Kirche und mit der Kirche in die ars moriendi haben einüben lassen, in die Kunst des täglichen Sterbens.

Bei Hebbel heißt es in einem wunderbaren, wehmütigen Gedicht:
Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,
Sie war, als ob sie bluten könne, rot;
Da sprach ich schauernd im Vorübergehn:
So weit im Leben ist zu nah am Tod!
Ja, Leben und Tod, wie nahe. Welche untrennbaren Geschwister! Der Hochzeitsstrauß, die Schaufel Erde, die Fürbitte für den nächsten Abschiednehmenden – man könnte starr vor Staunen sein, wären sie nicht allesamt Hinweise für den anderen Tag, der nicht verwelkt: Für den jungen, den blühenden, den ewigen Tag.

Die Alten mahnten: Carpe diem! Pflücke den Tag! Es ist allerdings eine Verkürzung, wenn man dies so interpretiert, als hätten sie mit diesem Imperativ dem grenzenlosen Genuß das Wort geredet beziehungsweise dem, was man heute in die Formel preßt: Man muß alles aus dem Leben herausholen. Während die Moderne verzweifelt von einem Vergnügen ins andere taumelt, sich derart in einem Schein von Leben verbeißend, an dessen ewiges Zuhause sie nicht länger glaubt, waren die Alten klüger.

Carpe diem sagen sie. Aber das besagt mehr, viel mehr, als ein gieriger Griff wähnt. Es besagt: Schau die Rose, schau den Tod. Und pflücke das Leben, das ewige.

Grafik:    Photo by Ivan Jevtic on Unsplash

Freitag, 14. Juli 2017

Veni Sancte Spiritus


Was ist das Ziel des christlichen Lebens?

Was würden Sie antworten? Haben Sie sich schon mal die Frage gestellt?

In einem nachgerade berühmt gewordenen Gespräch mit einem Gutsbesitzer, den besagte Frage nicht in Ruhe ließ, sagt der heilige Seraphim von Sarov, daß das Ziel des christlichen Lebens darin bestehe, den Heiligen Geist zu erwerben.

Die gesamte Passage, aus der dieses Diktum stammt, lautet wie folgt:
»Man sagte Euch: Geh zur Kirche, bete zu Gott, erfülle die Gebote Gottes, tue Gutes – da hast du das Ziel des christlichen Lebens! Einige zürnten Euch sogar, daß Ihr von einer nicht gottwohlgefälligen Neugierde ergriffen wäret, und sagten: Suche nicht nach höheren Dingen über dir! Sie haben Euch nicht so geantwortet, wie sie es hätten tun sollen. Ich, der armselige Seraphim, will Euch auseinandersetzen, worin dieses Ziel nun wirklich besteht.

Gebet, Fasten, Wachen und alle anderen christlichen Werke mögen an und für sich noch so gut sein, aber das Ziel unseres Christenlebens ist nicht nur im Verrichten dieser Werke zu suchen, wiewohl sie unerläßliche Mittel sind, um dieses Ziel zu erreichen. Das wahre Ziel unseres christlichen Lebens besteht in dem Erwerben des Heiligen Geistes Gottes. Achtet wohl darauf, daß nur ein um Christi willen verrichtetes gutes Werk Früchte bringt. Alles aber, was nicht um Christi willen geschieht, wenn es auch gut ist, trägt uns keinen Lohn ein im künftigen Leben. So ist das, mein Gottesfreund!

So besteht denn in dem Erwerben eben dieses göttlichen Geistes das wahre Ziel unseres christlichen Lebens; Gebet aber, Wachen, Fasten, Almosen und andere um Christi willen getane gute Werke sind nur Mittel für die Erwerbung des Geistes Gottes.«
Vielleicht ist so mancher erstaunt über diese Antwort des Heiligen, was nicht zuletzt daran liegen mag, daß der Heilige Geist im Leben etlicher Christen zumeist ein kümmerliches, wenn nicht vergessenes Dasein führt. Der Heilige Geist – wer ist das?

Laut Auskunft Jesu selbst ist die Person und die Vollmacht des Heiligen Geistes sehr deutlich benannt: Wenn aber jener kommt, so sagt der Herr, der Geist der Wahrheit, wird Er euch in die ganze Wahrheit führen (Joh 16,13).

Da haben wir’s: Die Wahrheit. Und gar noch die ganze Wahrheit. Kann es sein, daß wir uns vor dieser ganzen Wahrheit sträuben? Etwa vor der ganzen Wahrheit unseres Lebens?

Ist es womöglich harmloser, um nicht zu sagen bequemer, ein Almosen zu verrichten, als inständig um die Gabe des Heiligen Geistes zu bitten, weil man subkutan weiß, daß es ungemütlich werden könnte, wenn unsere Bitte um den Geist tatsächlich erhört werden würde? Mit anderen Worten: Ist es uns lieber, die ganze Wahrheit nicht zu wissen, statt sie zu wissen und damit ineins aufgestört zu werden aus Gewohnheiten, die nicht die Wahrheit sind?

Die Feststellung des russischen Heiligen hat es in sich. Im Grunde geht sie Hand in Hand mit der klassischen ersten Frage des katholischen Katechismus: »Wozu sind wir auf Erden?« und der entsprechenden Antwort: »Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen, Ihm in Liebe und Treue zu dienen und so zum ewigen Leben zu gelangen.«

Zum ewigen Leben jedoch gelangt man nicht im gewohnten Schlendrian. Und wenn noch so oft leichthin geträllert oder gar postuliert wird, daß alle, alle in den Himmel kommen, so gilt doch weiterhin, daß dieser Unernst in die Schranken zu weisen ist. Denn von Faschingsliedern werden wir nicht gerettet, wenn es ernst wird, wohl aber vom Heiligen Geist; denn es ist, so ein anderes Herrenwort, genau dieser Geist, der lebendig macht (Joh 6,63). Und das ewige Leben ist die Heimat eben jener, die lebendig sind und darum das ewige Leben, welches das Leben in Fülle (Joh 10,10) ist, genießen können.

»So ist das, mein Gottesfreund!«

Grafik:    Roland Noé