Samstag, 11. Januar 2025

Die Hostie und das Zyankali

Die Entscheidung zwischen Leben und Tod kommt auf jeden zu. Es muß nicht gleich so dramatisch sein wie im folgenden Fall. Aber gewiß ist doch: Dieser Entscheidung kann sich niemand entziehen.

Jan Karski erlangt spät eine gewisse Berühmtheit.

Pole, Katholik, Diplomat ist Karski während des Zweiten Weltkriegs in einer außergewöhnlichen Mission unterwegs. Im Auftrag der polnischen Untergrundbewegung soll er, als geheimer Kurier mit ausgezeichneten Sprachkenntnissen, den Allierten von den Gräueltaten der Nazis im besetzten Polen berichten. Die Verbrechen der Nazis kennt Karski dabei als Augenzeuge, unter anderem im Warschauer Ghetto.

Bei einem seiner ersten Kurierdienste wird Karski 1940 von der Gestapo entdeckt, gefangengenommen und gefoltert. Durch einen Selbstmordversuch will er sein Leben beenden. Er wird jedoch gerettet, zumal die Gestapo in weiteren Verhören Geheimnisse aus ihm herauspressen will.

In einer atemberaubenden Aktion gelingt es dem polnischen Widerstand damals, Karski aus den Fängen der Gestapo zu befreien. Danach ist der Kurier monatelang lahmgelegt. In abgeschiedener, dörflicher Einsamkeit erholt er sich von den Torturen der Haft und wartet gleichzeitig sehnsüchtig darauf, neu eingesetzt zu werden.

Und der neue Einsatz kommt. Der neue Kurierdienst wird ihn durch Europa nach England führen, wo er mit hochrangigen politischen Repräsentanten Gespräche über das in Polen Erlebte führen wird, mit dem erschütternden Ergebnis freilich, daß man seinen Schilderungen im Grunde keinen Glauben schenkt.

Bei der Vorbereitung dieser Mission und kurz vor dem Aufbruch in die unübersehbare Gefahr, kommt es am 1. Oktober 1942 zu folgender Situation:

Nach der geheimen heiligen Messe in der Heilig-Kreuz-Kirche in Warschau, an der eine Handvoll Eingeweihter teilnimmt, erteilt der Priester den Reisesegen für Karski und bittet ihn anschließend, zum Altar zu kommen, niederzuknien und sein Hemd zu öffnen. Pater Edmund Krauze, so der Name des Priesters, überreicht daraufhin dem Kurier in einem Medaillon die geweihte Hostie und sagt, ihm das Medaillon umhängend: »Der Leib Christi wird auf der Reise mit dir sein. Wenn dir Gefahr droht, kannst du die Hostie schlucken. Sie wird dich vor allem Übel bewahren.«

Am selben Tag bricht Karski zu seiner Mission auf. Doch da ist etwas, was ihn nicht zur Ruhe kommen läßt. Seit seiner Flucht aus der Gestapogefangenschaft und seiner neuerlichen Arbeit im Untergrund trägt er eine Zyankalikapsel mit sich für den Fall, daß er, bei einer Verhaftung, sich durch Selbstmord weiteren Verhören und Foltermaßnahmen entziehen würde. „Während er«, so zwei seiner Biographen, »mit der geweihten Hostie um den Hals durch die Stadt lief, empfand Jan die Tatsache, daß er sich gleichzeitig die Möglichkeit zum  Selbstmord – einer Todsünde – offenhielt, plötzlich als Blasphemie. Gott würde sich nicht hereinlegen lassen.«

Und was tut Karski?

Er geht zurück in seine Wohnung, entfernt die an seinem Körper angebrachte tödliche Kapsel und leert deren Inhalt ins Waschbecken. »Er würde reinen Gewissens durch Europa reisen.«

Samstag, 4. Januar 2025

Die Schneekugel

Wer kennt sie nicht – die Schneekugeln? Ihre Faszination ist ungebrochen. Manche haben früh als Kind ein Exemplar geschenkt bekommen und erinnern sich gerne an das weiße Geheimnis der Kugel. Andere werden älter, werden erwachsen, und bekommen plötzlich – zu Weihnachten – eine Schneekugel geschenkt und strahlen, wie einst, als sie Kinder waren. Denn in der Mitte der Kugel ist die Krippe zu sehen und  der Stall von Bethlehem und die heiligen Figuren.

Man könnte die Schneekugeln als Spielzeuge abtun, doch ist es nicht so, daß diese Krippe im Schnee ein Gleichnis birgt? Ein Gleichnis mancher oder etlicher Tage unseres Lebens?

Denn oft, und dazu braucht es keine stürmischen Wintertage oder schneeverhangene Dezemberstunden, kommt uns das eigene Leben wie hinter Schnee verborgen vor. Wir wissen zwar, das unser Leben geborgen ist in der Güte des Schöpfers, aber die Konturen der Güte verschwimmen in einem Schleier. Sind wir Geliebte? Tatsächlich Geliebte? Wir zweifeln nicht, aber gleichsam ein geistiger Schnee nimmt uns die klare Sicht. Wir gehen weiter, wir gehen weiter, doch erinnern wir uns schmerzlich an die Tage, an denen die Sicht klar und hell war, anders als jetzt.

 
 
Und dann senkt sich der Schnee. Und allmählich stellen sich wieder die Linien ein, die Umrisse, die Gestalten, die frohen Bilder des Lebens. Der Stern leuchtet bereits auf, und wir freuen uns an seinem Gold. Und jetzt erscheint das Dach des berühmten Stalles. Und sieh, jetzt tauchen die Menschen auf – die Mutter, der Vater und das göttliche Kind. Nichts ist verrückt. Die Menschen und Dinge haben ihren Platz im Kosmos der Kugel. Und das Glück der Kindheit war nie vergangen, es lebt weiterhin in unserer Mitte.
 
 

Samstag, 28. Januar 2023

 Die Allmacht der Liebe

Faust grübelte, was die Welt im Innersten zusammenhält. Und beim Betrachten des Johannesprologs und dessen Aussage, daß am Anfang das WORT ist, gerät der Zerrissene ins Schwanken. Was ist mit diesem Logos gemeint? Wie lautet die korrekte Übersetzung?

Die Tat, nämlich die faustische, so lautet schließlich das Credo des Getriebenen. Am Anfang ist nicht der allumfassende Sinn, die göttliche Vernunft, die Allmacht der Liebe, sondern die Tat.

Wir wissen, wie diese Interpretation endete – tödlich. Denn falsche Gedanken resultieren in falschen Taten. Es bedarf der Tragödie zweiter Teil, um den Schuldbeladenen zu läutern, auf daß er (so Goethe in den Gesprächen mit Eckermann) bei der Ewigen Liebe ankommt, bei der rettenden göttlichen Gnade.

Rund sechzig Jahre später steht ein anderer Getriebener auf der Bühne. Kein von faustischem Drang nach Wissen Verführter, sondern ein von der Eifersucht Aufgefressener. Otello glaubt dem bösen Jago und dessen hinterhältigen Machenschaften. Die Konsequenz: Er läßt sich hineintreiben in den Mord an seiner geliebten Gattin Desdemona.

Verdi macht aus diesem Drama der Verblendung - Shakespeare genial ins Musikalische übersetzend - eine große Oper. Das unausweichlich Tragische: Mord gebiert Mord. Als Otello der Star gestochen wird, als er seine tödliche Verfehlung erkennt, bricht er nicht nur zusammen, sondern folgt seiner Gattin verzweifelt selbstmörderisch in den Tod.

Und doch läßt es Verdi – und das zeigt seine ganze Meisterschaft – nicht bei diesem finalen Fiasko bewenden. Denn auch Verdi weiß, daß die Liebe, wie es im Hohenlied des Apostels Paulus heißt, alles trägt, allem standhält, denn die Liebe ist der überragende Weg (s. 1 Kor 12,31 und 13)

Darum läßt Verdi den sterbenden Otello, zu den Klängen des herzergreifenden Liebesmotivs der Oper, seiner Gattin das letzte Liebeslied singen: un bacio… un bacio ancora … un altro bacio.

Das ist kein billiger Theatertrick. Kein Rührstück à la italianità. Es ist die Verbeugung vor der Allmacht der Liebe. Das Sterben beider, Otellos und seiner Gattin, wird von Verdi eingehüllt in den Gesang der Liebe. Denn schon beim Tod Desdemonas spielt das Orchester das Liebeslied der Gatten.

Wer würde derart nicht verstehen, was jede große Kunst auf ihre Art stets neu besingt: Daß die Liebe allmächtig ist, daß die Liebe die Welt im Innersten zusammenhält, daß die Liebe niemals aufhört. Denn Gott ist die Liebe.

Freitag, 13. Januar 2023

Garabandal

»Weil meine Botschaft vom 18. Oktober (1961) weder erfüllt noch der Welt bekannt gegeben wurde, sage ich euch, daß dies die letzte ist. Zuvor hat sich der Kelch gefüllt. Jetzt läuft er über. Viele (Kardinäle, Bischöfe und) Priester gehen  den Weg des Verderbens und mit ihnen noch mehr Seelen. Man mißt der heiligen Eucharistie immer weniger Bedeutung zu.«
So, laut der Seherin Conchita, die letzte Botschaft der Muttergottes im spanischen Gebirgsdorf Garabandal. Pater Pio, Mutter Teresa, Johannes Paul II., Marthe Robin, um nur einige berühmte Personen der neueren Kirchengeschichte zu nennen, hielten die Erscheinungen in Garabandal für echt.

Nach der letzten Botschaft fragte man sich unter anderem nach der Natur der Sünden, welche den Kelch zum Überlaufen bringen, hatte doch die Muttergottes bereits in der früheren Botschaft vom Oktober gesagt, daß der Kelch sich schon fülle und daß dann, wenn die Menschen sich nicht ändern würden, »ein sehr großes Strafgericht über uns kommen« werde.

Was bringt den Kelch zum Überlaufen?

Dazu Hesemann in der neuen Monographie über Garabandal:
»(…) 1965 besuchte der … deutsche Autor und Garabandal-Experte Albrecht Weber die Seherin (Conchita) im Haus ihrer Mutter. Als beide über das Strafgericht sprachen, zögerte Conchita ein wenig, bevor sie sich traute, ihn zu fragen: Können Sie sich vorstellen, daß man die Kinder in der Mutter töten kann, ohne daß die Mutter dabei auch stirbt? - Wie kommst du darauf?, wollte der Deutsche wissen. Die heilige Jungfrau hat davon gesprochen und mich wissen lassen, daß das zum Überlaufen des Kelches führen wird, erwiderte sie erschüttert, ohne eine Idee davon zu haben, daß so etwas möglich ist (…).
Tatsächlich war das Wissen um das größte Verbrechen unserer Zeit, den Massenmord an ungeborenen Kindern, 1965 noch nicht in ihr spanisches Dorf vorgedrungen.«

Samstag, 24. Dezember 2022

Weihnachten 2022

Laudate Dominum

Laudate Dominum omnes gentes,
Laudate eum, omnes populi,
Quoniam confirmata est
Super nos misericordia eius,
Et veritas Domini manet in aeternum.

Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto,
Sicut erat in principio, et nunc, et semper
Et in saecula saeculorum.
Amen.

Lobet den Herrn, alle Völker,
lobet Ihn, alle Nationen,
denn mächtig waltet
über uns Seine Barmherzigkeit,
die Wahrheit des Herrn währt in Ewigkeit.

Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist,
wie im Anfang, so auch jetzt und alle Zeit
und in Ewigkeit.
Amen


Samstag, 17. Dezember 2022

Die Vielfalt der Fäden

Kompliziert? Unkompliziert?

Viele werden, wenn sie auf ihr Leben zu sprechen kommen, keine großen Worte machen. Es lohnt nicht. Es ist zu kompliziert. Zu unübersichtlich. Zu viele wirre Fäden. Den Sinn des Ganzen erkennt man nicht, wozu also groß darüber nachdenken?

Was bleibt, ist eine Lähmung. Und eine diffuse Sehnsucht. Nach Glück. Nach Freundschaft. Nach Liebe, auch wenn die Bilder der Liebe, die sich bei dem allzu mißbrauchten Wort flugs einstellen mögen, mehr mit Hollywood zu tun haben als mit dem realen Leben.

Tatsächlich kennt wahrscheinlich ein jeder Momente oder auch Stunden, in denen sich der Sinn des Lebens verdunkelt. Es muß nicht gleich der große Trauerfall sein oder ein Unfall oder eine vergleichbare Katastrophe. Der Eindruck des allzu Komplizierten und – gesteigert - des Sinnlosen kann einen überfallen mitten im Supermarkt, beim Stehen an der Kassa, mit dem Blick auf das Band, auf dem die Waren weitergeschoben werden.

Etwas anderes ist es freilich, wenn sich die Krise des Komplizierten und die Versuchung der Sinnlosigkeit derart ausweiten, daß sie drohen, gewöhnlich und banal zu werden. Um dem zu begegnen, muß man nicht unbedingt in die nächste Buchhandlung rennen und sich dort einen modischen Bestseller zum Thema Die Postmoderne. Depression und Dimension kaufen. Ein lauteres Wort eines Heiligen, aufmerksam aufgenommen und ordentlich meditiert, könnte schlüssig helfen. Zum Beispiel Pater Pio. Er schreibt:

»Hör gut zu…: Denk dir eine Mutter, die sitzt und stickt. Ihr kleiner Sohn sitzt auf einem niedrigen Schemel zu ihren Füßen und schaut ihr zu. Er sieht aber nur die Rückseite der Arbeit: Ein Gewirr von Knoten und Fäden. .. Er fragt: Was soll das denn werden, Mama? Ich kann nicht erkennen, was du da machst!?
Daraufhin beugt sich die Mutter zu ihrem Kind, senkt den Stickrahmen und zeigt ihm die rechte Seite der Arbeit. Jede Farbe ist nun an ihrem Platz, und die Vielfalt der Fäden formen ein harmonisches Bild.
So ist es nämlich, wir sehen nur die Rückseite der Stickerei, denn wir sitzen auf dem niedrigen Schemel.«
… denn wir sitzen auf dem niedrigen Schemel.

Doch Gott sei Dank beugt sich die liebende vorsehende Hand immer wieder zu uns nieder und zeigt uns, den Verwirrten, die rechte Seite.
                                                                                           
Grafik: Photo by Mel Poole on unsplash.com
                                                

Samstag, 5. November 2022

Gehalten

Das neue Zauberwort ist Haltung.

Eine rosarote Tageszeitung verlautbart die Haltung seit langem, nämlich als Haltungsjournalismus.

Die Werbung darf da nicht nachhinken. Wer die Milch beim Frühstück ins Müsli schüttet, tut dies selbstverständlich mit Haltung (kein Witz).

Und die Pastoral will auch dabei sein. Sie praktiziert die synodale Haltung.

Bei so viel Haltung kann man nur hoffen, daß man das Wesentliche im Blick behält: Wer Haltung sagt, sollte wissen, daß diese nicht das Erste, sondern das Zweite ist. Vorrangig zur Haltung ist das Gehaltenwerden. Nur wer gehalten ist, hat Haltung.

Und wer ist derjenige, der hält?