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Freitag, 7. April 2017

Der fünfte Zahn


Mors et vita duello, so heißt es in der dritten Strophe der ehrwürdigen, über 1000 Jahre alten Ostersequenz Victimæ paschalis laudæ: Tod und Leben lagen im Streit.

Damit ist nicht gemeint, wie ein gängiges Cliché meint, daß hier zwei gleichberechtigte Gegner sich duellierend gegenüberstanden: hier Christus, dort der Widersacher. Es gehört vielmehr zur Hybris des Widersachers, überhaupt auch nur zu wähnen, er könne Christus, das Leben, auslöschen.

Ostern zeigt, daß der Widersacher der Besiegte ist, auf immer, und daß seine Zeit, wie es die Apokalypse des heiligen Johannes nennt, nur mehr eine kurze ist: »Weh aber euch, Land und Meer! Denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen, seine Wut ist groß, weil er weiß, daß ihm nur noch eine kurze Frist bleibt« (Offb 12,12).

Man kann das Ostergeschehen vielfach zu verstehen suchen, auch in einer gleichsam medizinischen Weise. Etwa so: Christus, der wahrnimmt, wie tödlich erkrankt die Menschheit in toto ist, stellt sich zur Verfügung, um dieser Menschheit das Antidot für deren tödliche Erkrankung zu erwirken. Er läßt sich den tödlichen Biß der Schlange verabreichen, um daraufhin in Seinem Leib das Heilmittel, die göttlichen Antikörper, zu schaffen.

Der Tod kommt damit an sein Ende. Und mehr noch: Auch der tödlich verwundete Mensch wird nun der Zugang zum Leben neu eröffnet, da er in Christus teilhaben kann am göttlichen Serum.

Michelangelo hat diesen göttlichen Tausch – Christus übernimmt den Tod, damit der Mensch das Leben gewinnt – auf seine Weise dargestellt. Die Pietà (siehe letzten Beitrag) ist ineins Darstellung des toten Christus im Schoß seiner Mutter wie auch Darstellung des Mysteriums der Todesüberwindung.

Ein winziges, jahrhundertelang übersehenes Detail offenbart den unendlichen Sieg Christi. Michelangelo verleiht dem toten Christus einen fünften Schneidezahn. In der christlichen Ikonographie ist diese anatomische Anomalie Zeichen der Sünde. Die Bedeutung entschlüsselt sich danach nahezu von selbst: Sterbend bringt Christus dem Tod den Tod. Der göttliche Sohn nimmt den Tod, den überschüssigen Zahn der Sünde, in sich auf, ER verschlingt wortwörtlich die Sünde und gibt so dem Tod den endgültigen Todesstoß.
Mors et Vita duello
Conflixere mirando;
Dux vitæ mortuus
Regnat vivus.

Tod und Leben rangen
in wundersamem Zweikampf.
Der Fürst des Lebens, gestorben,
herrscht lebend.

Literatur:    Marco Bussagli, I denti di Michelangelo, 2014.

Freitag, 31. März 2017

Der Marmorstaub

Wer kennt sie nicht?

In Stein gemeißelt in neunmonatiger Arbeit von einem gerade mal Mittzwanziger: Michelangelos erste Pietà, die ihren Platz im Petersdom zu Rom gefunden hat.

Die Legende berichtet Folgendes: Eines Tages habe Michelangelo mitbekommen, wie Betrachter der Pietà dieses überragende Werk einem anderen Künstler zuschrieben. Daraufhin sei Michelangelo des Nachts in den Petersdom und habe, ausgestattet mit Laterne und Meißel, nachträglich das berühmte Schriftband gemeißelt, welches schärpengleich die Brust der Madonna ziert und mit einer Signatur den wahren Urheber des Werks angibt.

Doch die Legende berichtet noch etwas. Eine Nonne habe den nächtlich arbeitenden Michelangelo bei eben dieser Arbeit entdeckt. Die Ordensschwester sei zunächst erschrocken gewesen. Wer ist dieser Fremde in der Kapelle? Aber bald erkennt die Schwester, daß es der Künstler selbst ist, der dort, am Altar der Seitenkapelle, letzte Hand an sein Werk legt.

Die Nonne drückt dem Künstler ihre Bewunderung aus und bittet schließlich Michelangelo, etwas von dem Marmorstaub mitnehmen zu dürfen, der beim Meißeln auf den Leib des Herrn niedergerieselt ist. Michelangelo ist einverstanden. Und mehr als das. Er ist getroffen. Er gibt der Nonne von dem Staub …

Vielleicht sagen solche kleinen Geschichten mehr als riesige Abhandlungen darüber aus, was Kunst tatsächlich ist, wenn sie ihrer Aufgabe gerecht wird. Sie ist splendor veritatis, Glanz der Wahrheit. Und da die Wahrheit ineins geht mit dem Guten und dem Schönen, ist große Kunst zugleich Glanz der Schönheit und Güte. Dieser Glanz zeigt sich, noch bei nächtlichem Licht.

Die Bewunderung der Ordensschwester für die Pietà berührt. Ihr genügen letztlich ein paar Partikel Staubs. Gleichsam die künstlerischen Reliquien, in denen mikroskopisch winzig ein symbolischer Abglanz des großen Glanzes sich spiegelt.

Die sogenannten aufgeklärten Zeitgenossen mögen diese rührende Devotion belächeln. Aber da ist nichts Ridiküles. Wohl aber kommt in der Sehnsucht der Nonne die tiefe Sehnsucht des Menschen nach dem Schönen zum Ausdruck, selbst wenn diese Sehnsucht sich mit Winzigkeiten begnügen muß, diese Sehnsucht, die Jahrhunderte später Dostojewski sagen läßt, daß die Schönheit die Welt retten wird.

Die Moderne oder auch Postmoderne oder auch Postpostmoderne trumpft auf mit dem Häßlichen, das sich unverstellt als das Dominierende aufbläht, dabei meist liiert mit den Epiphänomenen des Lauten, des Obszönen und des Schrillen.

Das Schöne ist anders. Es bedarf nicht der Sensation, auch nicht der Publicity oder der lauten Marketingstrategien. Es ist diskret. Es ist im Marmorstaub, der über sich hinausweist. Es ist im Werk, das über sich hinausweist. Wer es fassen kann, wird es fassen. Und jeder, der diesem Schönen begegnet, geht als ein Verwandelter weiter.

Aber zur Wahrnehmung dieses Schönen gehört, daß wir unsere Augen reinigen lassen.

Die Madonna der römischen Pietà kann uns dabei helfen. Denn die beste Schule der Reinheit ist die marianische. Diese Reinheit ist ewig jung. Darum auch ist Marias Antlitz in Michelangelos Pietà das ewig junge der Immaculata.