Samstag, 30. Juli 2022

Michael

für M. T.

 Jedes Kind ist ein Wunschkind. Sollte man meinen.

Doch wir wissen, daß die Rede vom Wunschkind heute eine ganz neue Bedeutung angenommen hat. Spätestens seit der sogenannten Legalisierung der Abtreibung wird unterteilt in Wunschkinder und keine Wunschkinder.

Ungeborene Kinder, mit anderen Worten, müssen heute bestimmte Kriterien erfüllen und nur dann sind sie Wunschkinder. Passen die Kinder nicht in das selektive Raster der Erwachsenen, so werden sie abgetrieben. Und das Raster kann unterschiedlichster Art sein: Falscher Zeitpunkt, falscher Partner, falsches Geschlecht, falsche Planung.

Und doch ist ewig gültig: Jedes Kind ist ein Wunschkind. Denn Kinder werden nicht gemacht, sondern geschenkt. Und der Geber des Geschenks ist Gott, und Gott schafft ausschließlich Wunschkinder.

Die Geschichte von Michael spricht für sich. Welch’ ein hell strahlendes Zeugnis. Welch' ein Wunder! Die Worte von Michaels Vater lassen all das moderne böse Gerede von Wunschkindern zu Staub zerfallen. 

O-Ton:

»Vor sieben Jahren hatte meine Frau einen Notfall-Kaiserschnitt bei unserem Sohn Michael, der sieben Wochen zu früh zur Welt kam. Die Reise von dieser Nacht bis heute war unglaublich. Viele Höhen und Tiefen, viel Herzschmerz und Freude, und viel Wachstum für jedes Mitglied unserer Familie.

Schon kurz nach seiner Geburt wurde uns klar, daß Michaels Anwesenheit in unserem Leben unsere ganze Welt auf den Kopf stellen würde.

Bei ihm wurde eine Krankheit diagnostiziert, die so selten ist, daß sie nicht einmal einen Namen hat, sondern lediglich eine Reihe von Buchstaben und Ziffern.

Trotz alldem würde ich kein Iota ändern wollen. Die Liebe und Freude, die dieses erstaunliche Kind unserer Familie und unseren Freunden gebracht hat, ist unermeßlich. Am beeindruckendsten ist die Tatsache, daß er noch nie ein Wort gesprochen hat.

Die Leute haben mich gefragt, ob ich mir wünschte, es gäbe eine Heilung für das, was Michael hat, und ich kann ehrlich sagen, nein. Gott hat einen Plan für jeden, und dieser Plan verläuft nicht immer in geraden Linien.

Ohne den Einfluß, die Kämpfe, die Freude und die bedingungslose Liebe, die Michael unsere Familie gelehrt hat, wüßte ich nicht, wo wir jetzt wären. Es gibt keine Zufälle in dieser Welt, und Gott liebt all seine Kinder - geborene wie ungeborene - unabhängig davon, welchen "Wert" sie nach Ansicht der modernen Gesellschaft haben.

Michael hat weit mehr bewirkt als jeder andere, den ich kenne, und er hat nie ein Wort darüber verloren.

Er hat unsere Familie näher zusammengebracht, er hat meinen Kindern erstaunliche Lektionen in Sachen Liebe und Mitgefühl erteilt. Und in der Tat, er lacht sehr viel.

Obwohl Michael noch nie ein Wort gesagt hat, hat er buchstäblich Tausenden von Menschen und Kindern geholfen und deren Leben beeindruckt.

Er ist das fröhlichste Kind, das mir je begegnet ist; sein Lachen ist ansteckend. Niemand verläßt Michael ohne ein Lächeln und ein neuerliches Gefühl der Dankbarkeit.«

Quelle: liveaction

Freitag, 22. Juli 2022

Maria Magdalena

Warum erkennt sie Ihn nicht?

Warum hält Maria Magdalena den Auferstandenen für den Gärtner?
Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wußte aber nicht, daß es Jesus war. Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen. (Joh 20,14ff)

Maria Magdalena ist die Büßerin mit dem großen Herzen. Jesus hat sie geheilt, und zwar nicht von einem Schnupfen, sondern von einer lebensbedrohlichen dämonischen Erkrankung. Sie war wortwörtlich eine Tote. Zwar noch nicht beerdigt, aber geistlich bereits tot. Und Jesus rettet sie aus dem Tod und führt sie zurück ins Leben. Ihre Dankbarkeit danach ist glühend.

Und eben sie, die Glühende, die Gerettete mit dem brennenden Herzen, erkennt den Auferstandenen nicht.

Naturgemäß haben sich geistliche Kommentatoren gefragt, warum dies so ist, und man gab mehrere Antworten. Zum Beispiel, daß Maria Magdalena nach dem Tod ihres geliebten Lebensretters geweint und geweint habe, so daß ihre Augen schließlich von all den Tränen verschleiert gewesen seien.

Oder: Maria Magdalena sei in ihrer Trauer so gefangen gewesen, daß sie gleichsam blind geworden sei.

Die Erklärungsversuche sollen hier nicht geschmäht werden, denn sie haben eine begrenzte Berechtigung. Die Betonung liegt auf begrenzt. Denn letztlich befriedigen diese Versuche nicht.

Die Deutung, die schlüssig erscheint, ist diejenige, die Ratzinger gibt, und es ist, da die Wahrheit einfach ist, die einfache Deutung: »Er (Jesus) gehört nicht mehr der sinnlich wahrnehmbaren Welt zu, sondern der Welt Gottes. So kann ihn nur sehen, wem er selbst sich zu sehen gibt."
    
Wem Er selbst sich zu sehen gibt... Mit diesen einfachen, präzisen Worten ist jeder esoterischen Vereinnahmung die klare Absage erteilt. Der Auferstandene bleibt unverfügbar. Kein noch so ausgetüfteltes esoterisches Rezept, kein Ritual, keine Beschwörungsformel und auch keine Abtötungsübung vermag den Lebendigen Gott herbeizuzwingen. Gott ist frei. Und Er schenkt Seine Offenbarung wem Er will, wie Er will und wann Er will.

Das Griechische verwendet dafür die Vokabel ophthä, »das wir im Deutschen gewöhnlich übersetzen: Er erschien; richtiger müßten wir vielleicht sagen: Er gab sich zu sehen« (Ratzinger).

Das heißt nicht, daß der Mensch gar nichts beizutragen hat zum Geschenk der Offenbarung. Sein Beitrag ist seine Sehnsucht, in den Worten des heiligen Augustinus‘: »Deine Sehnsucht ist dein Gebet.« In den Worten Ratzingers: »Und bei solchem Sehen sind auch das Herz, der Geist, die innere Offenheit des Menschen beansprucht.«

Diese innere Offenheit und Sehnsucht sollten Tag um Tag wachsen, bis der Grund der Seele dermaßen ausgehöhlt oder auch ausgebrannt ist, daß der eigene Abgrund – gemäß dem Psalmwort 42,8 (Vulgata): abyssus abyssum invocat, der Abgrund ruft nach dem Abgrund - ein einziger Schrei ist. Doch dieser Schrei zwingt nicht, ganz einfach deswegen nicht, weil er nicht zwingen kann.

Der Auferstandene sieht den Abgrund und Er sieht das Feuer im Herzen des Sehnsüchtigen. Wann Er jedoch mit Seinem unermeßlichen abgründigen Feuer den Abgrund des vor Liebe Kranken erleuchtet – das ist Sein unergründlicher Ratschluß, weswegen Paulus ekstatisch ausruft: »O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind Seine Entscheidungen, wie unerforschlich Seine Wege! (Röm 11,33)

Der Mensch freilich sollte nie daran zweifeln, daß der Lebendige Gott sein Gebet hört und erhört. Das heißt, der Mensch sollte nie daran zweifeln, daß noch die angebliche Abwesenheit des Ersehnten Abwesenheit der Liebe ist und also eine andere, reinigende, überaus helle Form der Nähe.

Und der sich ausstreckende Mensch, der Gläubige mit seiner verzehrenden Sehnsucht, sollte das Wort des Hebräerbriefs 12,29 bedenken: (…) denn unser Gott ist verzehrendes Feuer.

Grafik: Correggio, Noli me tangere. wikicommons

Samstag, 16. Juli 2022

Das Auge


Die Leuchte des Leibes ist das Auge. Wenn dein Auge gesund ist, dann wird dein ganzer Leib hell sein. Wenn aber dein Auge krank ist, dann wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht in dir Finsternis ist, wie groß muß dann die Finsternis sein!  (Mt 6,22f)
Manche werden diese Bibelstelle kennen. Sie findet sich in einer der großen Predigten Jesu, in der Bergpredigt.
                  
Zweierlei soll anhand dieser Feststellungen Jesu hier erwähnt werden.

Erstens.
Das Auge ist kein Organ unter ferner liefen, sondern ein zentrales. »Was wir im Auge haben, das prägt uns«, so ein zeitgenössischer geistlicher Autor, »da hinein werden wir verwandelt. Wir kommen, wohin wir schauen« (Heinrich Spaemann).

Das ist die heutige Formulierung dessen, was 700 Jahre zuvor ein Albert der Große folgendermaßen ausdrückte: »Wer sich mit göttlichen Dingen beschäftigt, wird nach ihrem Bild umgestaltet.«
    
Daraus leitet sich wie selbstverständlich die Frage an jeden Einzelnen ab: Was schaue ich? Was betrachte ich? Wem setze ich meine Augen aus? Welche Bilder lasse ich in mein Auge hinein? Welche Photographien, welche Videos, welche Filme, welche Computerspiele? Welche Umgestaltung will ich? Welche Verwandlung?

Zweitens.
Zur biblischen Anthropologie gehört, daß sie mit dem Heilen beginnt. Mit dem Gesunden.

Anders gesagt: Am Beginn steht die Affirmation, die Bejahung, das Einverständnis. Die Leuchte des Leibes ist das Auge. Das ist ein Indikativ. Und erst, wenn dies als das ursprüngliche Faktum geklärt ist, folgt das Zweite: Die Negation, das Kranksein: Wenn aber dein Auge krank ist, dann wird dein ganzer Leib finster sein.

Diese unumstößliche Bejahung des Anfangs ist freilich das, was der Moderne am meisten zu schaffen macht. Denn tagein tagaus wird uns eingehämmert, daß es im Grunde nur die Negation gibt, und wenn Bejahung, dann ist diese abgeleitet, das Zweite, jedenfalls nicht das Ursprüngliche. Das Dunkel gilt als das Erste. Der Schatten wird verherrlicht. Das Licht ist nur mehr, wenn überhaupt, das verkümmerte, nachgerückte Zweite.

Damit steht die Welt Kopf. Dementsprechend lautet das Schlagwort, unter welches die Postmoderne sich rubrizieren ließe, nicht länger: Alles fließt, sondern: Alles dunkelt.

Denn das kranke Auge, welches mit seiner kranken Linse die Welt betrachtet, sieht das, was es in sich selbst trägt: Die Finsternis. Und nicht nur das: Es hält diese Finsternis für die reale Welt, bis dahin, daß schließlich derjenige, dessen gerades Auge unverblendet ist, in der neuen Doktrin der Dunkelheit als der Verkehrte gebrandmarkt wird, als der Widerständige, welcher umerzogen werden muß.

Was tun?

Unbeirrt auf Den schauen, Den sie durchbohrt haben.


Grafik: Genealogie Jesu und Christus Pantokrator, Mosaik in der Südkuppel der Chora Kirche. Wikicommons.

Samstag, 2. Juli 2022

DU

Arsenij, der berühmte Wüstenvater, kommt zur Himmelstür. Er klopft an. Er wartet. Dann hört er von innen die Stimme: »Wer begehrt Einlaß?«

»Ich«, entgegnet Arsenij, »ich, der berühmte Arsenij aus der Wüste.«

»Den kennen wir nicht«, hört Arsenij die Stimme von innen. Und dann hört er: »Geh zurück in die Wüste für 5 Jahre.«

Arsenij ist verstört. Er geht zurück, oder vielmehr er wankt zurück. Er, der berühmte Arsenij.

Nach fünf Jahren steht er erneut an der Himmelspforte und klopft.

»Wer begehrt Einlaß?«

»Arsenij aus der Wüste«, antwortet Arsenij. »Der Asket.«

»Den kennen wir nicht«, tönt es von innen. »Geh zurück in die Wüste. Fünf Jahre lang.«

Was mache ich falsch? fragt sich Arsenij. Ich bete, ich faste, ich kasteie mich. Ich schlafe auf dem Boden, mein Kopfkissen ist ein Stein. Und doch muß ich wieder zurück in die Wüste.

Fünf Jahre vergehen. Es sind strenge Jahre, aber auch beglückende Jahre. Die Sonne brennt, aber sie brennt nun anders. Sie schmilzt und verzehrt und strahlt. Arsenij ist oft glücklich und wundert sich. Gestern lag vor seinem Zelteingang ein totes kleines gelbes Vögelchen,  da weinte Arsenij sehr lange. Er ist jetzt 105 Jahre alt. Er hat in den letzten Jahren so viel Sonne getrunken, daß sein Gesicht selbst zur Sonne geworden ist. An einem Freitagnachmittag, um die dritte Stunde, ist es soweit. Er steht wieder vor der berühmten Pforte und klopft und wartet. Er hat keine Angst. Warum sollte er Angst haben? Er weiß ja die Frage. Darum ist er nicht überrascht, als ihn die Stimme fragt:

»Wer begehrt Einlaß?«

O herrliche Stimme! O herrliche Frage! Arsenij muß fast weinen. Vor Glück. Er antwortet:

»DU.«

»Komm«, hört Arsenij. Nur dieses Wort: »Komm«.

Und Arsenij geht durch das geöffnete Tor.