Samstag, 29. Februar 2020
Samstag, 22. Februar 2020
Unergründlich
für B. P.
1493 malt der dreizehnjährige Albrecht Dürer sich selbst und kreiert damit, wie ein zeitgenössischer Kunstwissenschaftler bemerkt, »das wohl erste autonome Selbstbildnis der nachantiken, abendländischen Kunstgeschichte«.
1736. Pergolesi ist sechsundzwanzig, als er sein Stabat Mater komponiert. Wenige Wochen später ist er tot.
1954/55 erscheint in England ein Werk, welches seinen Verfasser weltberühmt macht: Tolkiens The Lord of the Rings (Der Herr der Ringe). Jahrelang hat Tolkien an seinem opus magnum gearbeitet. Und mit diesem Meisterwerk gründet er eine Gattung und vollendet sie zugleich.
Kann man große Kunstwerke verstehen?
Wenn wir meinen, daß Meisterwerke analysiert und filetiert werden können, bis auch der letzte Sehnenrest durchleuchtet ist, dann irren wir. Zur großen Kunst gehört geradezu ihre letzte Undurchdringlichkeit. »Ein Rätsel ist Reinentsprungenes. Auch / Der Gesang kaum darf es enthüllen« (Hölderlin).
Da wir jedoch in Zeiten leben, in der die Technik und die Naturwissenschaft nahezu täglich Triumphe feiern und die künstliche Intelligenz die Illusion weckt, daß es eines Tages möglich sei, ein stupendes artifizielles Kunstwerk zu generieren, liegt die Einbildung nahe, man könne jedes Kunstwerk derart vermessen und berechnen, daß dessen Geheimnischarakter – was nur eine Frage der Zeit sei – irgendwann hinfällig würde.
Man unterschätzt derart hybrid das, was man Inspiration nennt. Inspiration ist kein Gemachtes, sondern eine Gabe, und zwar Gabe vom Geber aller Gaben, Gott. Da Gott per definitionem der Deus ineffabilis ist, der Unergründliche, haften Seinen Geschenken gleichfalls Merkmale des unauslotbaren Ursprungs an.
Große Kunst vermag uns derart, indem sie der Inspiration gehorcht, in die Demut und das Staunen einzuüben. Ein Mozart darf, in junger Mannesblüte, den Idomeneo komponieren. Im Grunde ein unfaßbares Ereignis. Michelangelo ist gerade mal 25, als er die Pietà, die im Petersdom zu bestaunen ist, schafft. Auch dies ein veritables Wunder.
Doch es geht noch darüber hinaus. Indem der große Künstler das Unergründliche wirkt, bringt er uns die Tatsache nahe, daß der Mensch selbst, wenn wir ihn recht betrachten, unergründlich ist.
Nun mag uns den großen Maler oder Bildhauer oder Musiker oder Dichter betreffend diese Diagnose einleuchten. Aber unser Nachbar? Ist auch er unergründlich, gar ein Kunstwerk?
Durchaus. Aber wie es halt so ist mit den menschlichen Kunstwerken. Oft, allzuoft, sind sie entstellt. Und es bedarf der gründlichen Reinigung, um das verborgene Kunstwerk, die imago Dei, ans Licht zu bringen. Wenn dies glückt, dann kann man nahezu sicher sein, daß ein Ereignis der Liebe stattgefunden hat.
Grafik: wikicommons
Freitag, 14. Februar 2020
Die Engel
Die Gesetze des Geistes sind weniger kompliziert als man gemeinhin denkt. Das gilt auch für die Welt der Engel. Wo die Verehrung der echten Engel nachläßt, dort machen sich die falschen Engel der Esoterik breit.
Darum ist es um so notwendiger, sich der Hierarchie der wahren Engel zu besinnen, gerade auch, um deren Beistand im alltäglichen Kampf zu erbitten.
Schutzengel und Erzengel mögen im Bewußtsein des Katholiken noch halbwegs präsent sein. Doch die Tradition der Kirche spricht seit je von den neun Engelchören. Diese sind kein frommes ätherisches Beiwerk, sondern wesentliche Begleiter zu unserem ewigen Heil. Ein Katholik sollte sie kennen und verehrend anrufen.
1. Die Engel (angeli)
Sie beschützen uns an Seele, Körper, Geist.
2. Die Erzengel (archangeli)
Sie verleihen uns Ausdauer im Glauben und in den guten Werken.
3. Die Fürstentümer (principatus)
Sie stärken uns in der Tugend des demütigen und aufrichtigen Gehorsams.
4. Die Gewalten (potestates)
Sie rüsten uns aus im Kampf gegen die Versuchungen.
5. Die Mächte (virtutes)
Sie bewahren uns vor den Fallstricken des Teufels.
6. Die Herrschaften (dominationes)
Sie helfen uns, unsere Sinne zu beherrschen.
7. Die Throne (throni)
Sie fördern in uns den Geist der Wahrheit und der Demut.
8. Die Cherubim (cherubim)
Sie bestärken uns, auf dem Weg der christlichen Vollkommenheit unbeirrt vorwärtszugehen.
9. Die Seraphim (seraphim)
Sie entfachen in uns das Feuer der himmlischen Liebe.
Grafik: Benozzo Gozzoli, Anbetende Engel. wikicommons
Samstag, 8. Februar 2020
Ein verborgenes Leben II
Ein Maler steht auf dem Gerüst in der Kirche und malt Fresken. Er weiß, so der Maler, daß er stets den bequemen Jesus malt, den Jesus, der Bewunderer findet, aber keine Nachahmer. Doch eines Tages, so der Maler, wird er den wahren Jesus malen.
Dies eine Szene aus Terrence Malicks Film Ein verborgenes Leben. Malick ist Regisseur, kein Maler. Und doch, in seinem neuen Film unternimmt er es, das Portrait des unbequemen Jesus zu zeichnen. Wie er das macht? Indem er den radikalen Nachahmer Jesu ins Bild bringt - Franz Jägerstätter.
Drei Stunden Kino, drei Stunden, in denen Malick die Unbeirrbarkeit eines christlichen Gewissens zeigt. Drei Stunden, die deutlich machen, daß der Christ, der die Weisungen seines Meisters ernst nimmt, bereit sein muß, den Preis seines Meisters zu bezahlen.
In einer Zeit, in der das christliche Zeugnis mehr und mehr zu butterweichen Allroundformulierungen und gefälligen Zeitgeistnettigkeiten schrumpft, derart, daß man vergißt, daß Christsein und Kampfgeist Geschwister sind, ist die Konsequenz, mit der Malick den Kampf seines Helden und dessen Frau monumental ins Bild bringt, ein Memento, welches jede Verniedlichung der christlichen Botschaft souverän zur Seite wischt. Und dazu braucht er keine blutigen Hinrichtungsszenen oder modischen Schockbilder. Es genügt ihm, ein Ehepaar zu zeigen, das glaubt.
Wenn er in Großaufnahme die ineinander verschlungenen Hände von Franz und Fani zeigt, dann zeigt er zwei Hände, aber zugleich ist in Gedanken Rodins La Cathédrale da, zwei Hände, die beten, zwei Hände, an denen das Gold des Eherings leuchtet.
Wie überhaupt der Glauben in Malicks Film nicht denkbar ist ohne die schönen Bilder, die freilich keine Staffage sind, sondern das näherbringen, was man den Kosmos nennt – die Ordnung des Alls. Bei aller Mühseligkeit und Beschwer des Broterwerbs der Bauern zur Zeit Jägerstätters, die Malick nicht, wie es der Kitsch tut, unterschlägt, weitet er gleichwohl immer wieder den Blick (denn es ist der Blick der gläubigen Protagonisten) in die überwältigende kosmische Pracht der Berge, der Wasserfälle, der wogenden Felder und in die geordnete Schönheit einer Häuslichkeit, die keiner Luxusartikel bedarf, um einen einfachen, beglückenden Frieden auszustrahlen, den Franziska einmal in die Worte faßt: »And I knew, how simple life was then - Und ich wußte es, wie einfach das Leben da noch war.«
Und auch dies zeigt Malick: Die Kirche mag, warum auch immer, versagen in einzelnen Vertretern. Das ändert nichts daran, daß die Kirche bleibt. Einem billigen Abwatschen der katholischen Kirche versagt sich Malick. Das erste Bild, welches Jägerstätter zeigt, stellt ihn dar vor der einsamen Kirche, die hinter ihm aufragt. Das vorletzte Bild zeigt die nämliche kleine Dorfkirche, die auf freiem Feld vor der Kulisse der Bergwelt felsengleich die Stellung wahrt.
Und schließlich: A hidden life ist Kino als Kunst. Wann erlebt man das? Selten genug. Ein Beispiel mag ausreichen.
Als sich Franz, da er den Einberufungsbefehl erhalten hat, aufbrechen muß und sich von der Mutter, den Kindern und Fani verabschiedet, als Franz und Fani, sie im Sonntagskleid, an der Donau entlanggehen, dann am Bahnsteig stehen, wo der Zug einfährt – da unterlegt Malick die Szene mit dem Eingangschoral Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen aus Bachs Matthäuspassion. Das ist ergreifend groß. Da stimmt einfach alles.
Man hat das Kino - nach Architektur, Bildhauerei, Malerei, Musik, Poesie, Tanz - bisweilen le septième art genannt. In Terrence Malicks Ein verborgenes Leben ist diese siebte Kunst wahrzunehmen. Grandios, leidenschaftlich, verhalten, berührend!
Grafik: Facebook-Seite des Films. wikicommons
Samstag, 1. Februar 2020
Julia
Nennen wir sie Julia.
Julia hat als junge Frau große und sehr klare Vorstellungen über ihr Leben gehabt. Ein liebevoller Ehemann an ihrer Seite, viele Kinder, eine Familie, um die sie sich kümmert und die sie liebt.
Seitdem sind zwei Jahrzehnte vergangen. Heute ist Julia 44. Sie hat zwei Kinder von unterschiedlichen Vätern (einen siebzehnjährigen Sohn und eine vierzehnjährige Tochter), ein drittes Kind hat sie abgetrieben, sie ist alleinerziehend, Bürokauffrau, der liebevolle Mann an ihrer Seite, den gibt es nicht.
Wenn wir miteinander sprechen, redet fast nur sie. Sie erzählt immer wieder von ihren ehemaligen Träumen, von ihrem Scheitern, von ihrem Schiffbruch. Aber mitten in ihrem Kummer und in ihren fahrigen Bewegungen merkt man plötzlich, wie sie sich zusammenreißt und ein ruckartiges Lächeln auf ihrem Gesicht hervorzubringen versucht, denn trotz allen Schlägen, die sie eingesteckt hat, gibt sie nicht auf, sie ist die Mutter, die für ihre zwei Kinder kämpft.
Das Erstaunliche an Julias Geschichte ist, daß sie sich immer wieder, bis auf den heutigen Tag, ausbeuten läßt. Ein anderes Wort fällt mir nicht ein. Männer bestimmten in ihrem Leben, stellten Forderungen, zwangen zur Abtreibung (gegen ihren Willen), nutzten sie aus, ließen sie fallen… und schon stand der nächste Mann in der Tür, und der Mißbrauch ging weiter.
Erst nach etlichen Gesprächen begann ich zu verstehen. Denn die Frage, die sich in meinem Kopf bildete, war die immerselbe: Wieso ließ Julia, die gescheit, redegewandt, auch resolut ist, wieso ließ Julia den jahrelangen Mißbrauch über sich ergehen? Wieso wachte sie nicht nach dem ersten Desaster auf und sagte sich: Nie wieder? Warum diese zahllosen, immer gleichen Variationen des niederdrückenden Musters von Unterdrückung, Blindheit, Ausgeliefertsein?
Ich verstand erst spät. Wir saßen im Kaffeehaus. Julia erzählte wie üblich, doch diesmal teilte sie mir etwas mit, was sie bislang nicht erzählt hatte. Sie sagte, daß ihre Eltern sie hatten abtreiben wollen. Ich fragte sie, woher sie das wisse? Darauf sie: Sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater hätten ihr das gesagt. Sie erzählte dies wie eine harte Geschichte unter anderen, mit der sie in ihrem Leben halt klar kommen mußte.
Aber ich verstand plötzlich. Julia hatte es geschafft. Sie war am Leben geblieben. Die Eltern hatten, warum auch immer, sie nicht abgetrieben, wiewohl sie sie geistig sehr wohl abgetrieben hatten. Irgendetwas war dazwischengekommen, Julia wußte nicht genau, was es war. Jedenfalls dieses Etwas hatte ihr das Leben gerettet.
Doch die Wunde der Nichtgewolltseins war weiterhin da. Und diese Wunde war wie ein Loch, wie eine Amputation. Und mit diesem schrecklichen Loch ging Julia ins Leben. Und wurde ein Mädchen, und wurde eine junge Frau. Und dann tauchten die Burschen auf und die jungen Männer. Und Julia hatte, wie man so sagt, ihre Beziehungen. Und in jeder neuen Beziehung versuchte Julia, dieses schreckliche Loch in sich endlich zu schließen.
Ihr war alles recht. Für eine Umarmung war ihr kein Preis zu hoch. Sie ging so weit, daß sie sich wieder und wieder ausnutzen ließ, denn die Umarmung, so ihr verzweifelter stummer Schrei, würde endlich den furchtbaren Schmerz in ihr zum Schweigen bringen. In der Umarmung würde sie endlich wissen, daß sie lebens- und liebenswert ist. Daß sie ein Recht auf Leben hat.
Ich schaute sie an und dachte: So viele Jahre als vergebliche Versuche, eine Wunde zu heilen, die ein Abgrund ist.
Ich sagte ihr schließlich, was ich dachte. Sie erwiderte darauf nichts. Sie schwieg. Lange. Dann traten Tränen in ihre Augen.
Grafik: Photo by Aliyah Jamous on Unsplash
Julia hat als junge Frau große und sehr klare Vorstellungen über ihr Leben gehabt. Ein liebevoller Ehemann an ihrer Seite, viele Kinder, eine Familie, um die sie sich kümmert und die sie liebt.
Seitdem sind zwei Jahrzehnte vergangen. Heute ist Julia 44. Sie hat zwei Kinder von unterschiedlichen Vätern (einen siebzehnjährigen Sohn und eine vierzehnjährige Tochter), ein drittes Kind hat sie abgetrieben, sie ist alleinerziehend, Bürokauffrau, der liebevolle Mann an ihrer Seite, den gibt es nicht.
Wenn wir miteinander sprechen, redet fast nur sie. Sie erzählt immer wieder von ihren ehemaligen Träumen, von ihrem Scheitern, von ihrem Schiffbruch. Aber mitten in ihrem Kummer und in ihren fahrigen Bewegungen merkt man plötzlich, wie sie sich zusammenreißt und ein ruckartiges Lächeln auf ihrem Gesicht hervorzubringen versucht, denn trotz allen Schlägen, die sie eingesteckt hat, gibt sie nicht auf, sie ist die Mutter, die für ihre zwei Kinder kämpft.
Das Erstaunliche an Julias Geschichte ist, daß sie sich immer wieder, bis auf den heutigen Tag, ausbeuten läßt. Ein anderes Wort fällt mir nicht ein. Männer bestimmten in ihrem Leben, stellten Forderungen, zwangen zur Abtreibung (gegen ihren Willen), nutzten sie aus, ließen sie fallen… und schon stand der nächste Mann in der Tür, und der Mißbrauch ging weiter.
Erst nach etlichen Gesprächen begann ich zu verstehen. Denn die Frage, die sich in meinem Kopf bildete, war die immerselbe: Wieso ließ Julia, die gescheit, redegewandt, auch resolut ist, wieso ließ Julia den jahrelangen Mißbrauch über sich ergehen? Wieso wachte sie nicht nach dem ersten Desaster auf und sagte sich: Nie wieder? Warum diese zahllosen, immer gleichen Variationen des niederdrückenden Musters von Unterdrückung, Blindheit, Ausgeliefertsein?
Ich verstand erst spät. Wir saßen im Kaffeehaus. Julia erzählte wie üblich, doch diesmal teilte sie mir etwas mit, was sie bislang nicht erzählt hatte. Sie sagte, daß ihre Eltern sie hatten abtreiben wollen. Ich fragte sie, woher sie das wisse? Darauf sie: Sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater hätten ihr das gesagt. Sie erzählte dies wie eine harte Geschichte unter anderen, mit der sie in ihrem Leben halt klar kommen mußte.
Aber ich verstand plötzlich. Julia hatte es geschafft. Sie war am Leben geblieben. Die Eltern hatten, warum auch immer, sie nicht abgetrieben, wiewohl sie sie geistig sehr wohl abgetrieben hatten. Irgendetwas war dazwischengekommen, Julia wußte nicht genau, was es war. Jedenfalls dieses Etwas hatte ihr das Leben gerettet.
Doch die Wunde der Nichtgewolltseins war weiterhin da. Und diese Wunde war wie ein Loch, wie eine Amputation. Und mit diesem schrecklichen Loch ging Julia ins Leben. Und wurde ein Mädchen, und wurde eine junge Frau. Und dann tauchten die Burschen auf und die jungen Männer. Und Julia hatte, wie man so sagt, ihre Beziehungen. Und in jeder neuen Beziehung versuchte Julia, dieses schreckliche Loch in sich endlich zu schließen.
Ihr war alles recht. Für eine Umarmung war ihr kein Preis zu hoch. Sie ging so weit, daß sie sich wieder und wieder ausnutzen ließ, denn die Umarmung, so ihr verzweifelter stummer Schrei, würde endlich den furchtbaren Schmerz in ihr zum Schweigen bringen. In der Umarmung würde sie endlich wissen, daß sie lebens- und liebenswert ist. Daß sie ein Recht auf Leben hat.
Ich schaute sie an und dachte: So viele Jahre als vergebliche Versuche, eine Wunde zu heilen, die ein Abgrund ist.
Ich sagte ihr schließlich, was ich dachte. Sie erwiderte darauf nichts. Sie schwieg. Lange. Dann traten Tränen in ihre Augen.
Grafik: Photo by Aliyah Jamous on Unsplash
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