Es kennzeichnet den ernst zu nehmenden Künstler, daß er eine sittliche Grundhaltung in sich trägt, die er – kraft seines künstlerischen Gewissens – nicht korrumpieren läßt.
Ein Beispiel: Gustave Flauberts
Madame Bovary.
Der Roman, zunächst 1856 als gekürzter Fortsetzungsroman in einer Pariser Zeitschrift erschienen, erregte sogleich Skandal. Dargestellt wurde das Schicksal der Emma Bovary, Ehefrau eines verwitweten Landarztes, die nach etlichen Ehebrüchen schließlich im Selbstmord endet.
Der Vorwurf der Kritik: Der Roman verherrliche den Ehebruch und unterminiere die guten Sitten. In einem spektakulären Prozeß wurde der Verfasser des Romans schließlich freigesprochen.
Liest man heute, mehr als 160 Jahre später und also in einer Zeit, wo die eheliche Moral landauf landab mit Füßen getreten wird, und nicht nur das, wo vielmehr öffentlich der Ehebruch als gesellschaftsfähig, reizvoll und befreiend gepriesen wird, derart, daß in einem kostenlos in die Haushalte verteilten österreichischen Stadtmagazin vor Jahren bereits mit der Schlagzeile geworben wurde
Seitensprung macht Liebe… liest man heute Flauberts berühmtes Werk, so wünscht man sich Autoren, die ähnlich radikal wie der französische Realist
damals Sachverhalte
heute so darstellen, wie sie tatsächlich sind.
Denn Flaubert verherrlicht den Ehebruch gerade nicht.
Zehn Tipps für den Ehebruch, die eine yellow press den verblendeten Zeitgenossen 2018 verkauft, findet man bei Flaubert nirgends. Flaubert beschönigt nichts. Der Ehebruch ist keine Heldentat, kein Kavaliersdelikt, keine Tugend, sondern die nackte, abgründige Illusion. Emma ist diejenige, die sich ihre rosarote Welt zimmert – aus Langeweile, aus Snobismus, aus Dünkel, aus Resignation, aus Tagträumereien, aus Gefallsucht, aus Dummheit. Die Ehebrüche, die sie begeht, befreien nicht, sondern versklaven und zementieren das Gefängnis, welches sie sich pittoresk ausstaffiert, bis es sie unter sich begräbt.
Der Niedergang der Antiheldin wird dabei von Flaubert geradezu nüchtern, akribisch, quasi mit dem Skalpell des chirurgischen Diagnostikers geschildert. Um eine christliche, gar katholische Perspektive geht es nicht. Flaubert beläßt es beim Sezieren. Aber eben da ist er unbestechlich, anders als unsere modischen Apologeten der Unzucht. Flauberts künstlerisches Gewissen verbietet ihm, aus dem Ehebruch und den Illusionen und den Heimlichtuereien und den Lügen der Madame Bovary eine Geschichte der Emanzipation zu machen.
Das Ende der Bovary ist entsprechend von gespenstischer Schrecklichkeit. Es ist der nackte Horror als Abschluß eines verpfuschten Lebens. Und was Flaubert zugleich zeigt: Der Horror zieht Kreise, denn die Unzucht ist ein Strudel. Und der Strudel bringt mit unerbittlicher Konsequenz den Tod. Das Ende der Bovary ist der Nihilismus, nicht als Metapher, sondern als Realität.
Das zeigt der Künstler Flaubert.