Freitag, 31. Juli 2020

Je mehr

Will man den Kern der ignatianischen Spiritualität erfassen, so kommt man an beim je mehr. Zumal Hans Urs von Balthasar hat, in Anlehung an Przywara, bei seiner Übersetzung der Exerzitien des heiligen Ignatius diesen Ausdruck bevorzugt, wenn es darum ging, den Glutkern der geistlichen Übungen zum Leuchten zu bringen.

Je mehr. Das heißt, daß es in unserem Weg zu Gott und mit Gott keinen Stillstand gibt. Auch keinen Superlativ. Wir können nie sagen: Ich habe das Beste heute für Gott getan. Das Beste würde Gott die Grenze setzen. Wir würden bestimmen, was in den Augen Gottes das Beste ist. Derart würden wir vergessen, daß eben dieser Gott nicht nur der je Größere ist, der alle unsere Konzepte, und seien sie noch so wohlgemeint, um ein Unendliches übersteigt, sondern stets auch der je Kleinere, der in Seiner Demut unsere Bemühungen zur Bescheidenheit gleichfalls um ein Unendliches unterfängt.

Deus semper maior. Deus semper minor.

Darum leuchtet der Ordensspruch der Jesuiten bis heute. Denn das Ad maiorem Dei gloriam ist gleichsam die gültige Prägung des jesuitischen Komparativs, die Haltung der Steigerung, die sich nicht selbstgenügsam einrichtet, sondern auf immer verfügbar bleibt dem Herrn gegenüber, dessen größerer Ehre jeder Dienst zugeordnet ist.

Manch einer hätte vermutlich für das Maximum optiert: Alles zur größten Ehre Gottes. Aber auch hier wahrt Ignatius den realistischen Platz. Dem unendlich großen und kleinen Gott schenken wir unser magis, unser mehr, und überlassen Ihm den Superlativ. Und reihen uns damit ein in die Schar derjenigen, die nicht aufhören, den Weg zu Ihm weiter zu gehen. Tiefer zu gehen. Höher zu gehen. Mehr zu lieben – je mehr als gestern. Und so sich übernehmen zu lassen in das unendliche Meer Seiner grenzenlosen Liebe.

In den Worten des Fundaments der Exerzitien: Um »einzig das zu ersehnen und zu erwählen, was mehr hinführt zum Ziel, auf das hin wir geschaffen sind«.

Freitag, 24. Juli 2020

Die zwei Wege

Manchmal ergibt sich auf welthistorischer Ebene und also im großen Maßstab eine Konstellation, die einem schlaglichtartig vor Augen führt, was einen jeden Menschen angeht.

Am 5. März 1953 stirbt nahe Moskau der Massenmörder Stalin.

Am selben 5. März 1953 stirbt in Moskau der Komponist Sergei Prokofjew.

Am Tag des Begräbnisses der beiden Toten kommt es nun zu folgender Konstellation in Moskau:

Eine riesige trauernde Menschenmenge bewegt sich zum Katafalk des Diktators, um tränenreich und hysterisch von dem Aufgebahrten Abschied zu nehmen.

In der entgegengesetzten Richtung, in einer Parallelstraße, bewegt sich gleichfalls eine Prozession. Es ist die überschaubare kleine Zahl der Trauernden, die dem Komponisten die letzte Ehre erweisen. Einige Männer tragen dabei den Sarg Prokofjews auf ihren Schultern. Im Zug dieser Trauernden befindet sich unter anderen der Cellist Mstislaw Rostropowitsch und der Kollege des Toten, Dmitri Schostakowitsch, der unter Stalin dauerhaft dem Damoklesschwert der Verhaftung ausgesetzt war.

Zwei Wege. Zwei Richtungen. Und ein jeder hat die Wahl, welchen Weg er nimmt. Das gilt damals wie heute.

Samstag, 18. Juli 2020

Othello und Hercule Poirot

Agatha Christie ist nicht zu unterschätzen.

Eine platte Krimischriftstellerin war sie nie. Die Aufdeckung eines Mordes oder einer Serie von Morden ist, bei aller begreiflichen Spannung, mehr als ein banales who did it. Die Wahrheit soll ans Licht kommen, darums geht‘s Christie. Und selbst wenn die story noch so verzwickt und aussichtslos scheint – die Wahrheit, daran läßt die Autorin keinen Zweifel, ist stärker. Der Täter wird gefaßt.

Wer wissen will, wie leidenschaftlich Dame Agatha dem Dunkel auf den Leib rückt, um dem Licht der unbestechlichen Wahrheit zum Sieg zu verhelfen, sollte den letzten der Hercule Poirot Romane lesen: Vorhang (Curtain). Hier stellt sich Christie in extremer Zuspitzung der Tatsache des Bösen.

Poirot, der Meisterdetektiv, sieht sich in seinem letzten Fall nicht konfrontiert mit einem Mörder unter anderen, sondern gleichsam mit dem mysterium iniquitatis, dem Bösen schlechthin, welches böse sein will und dessen Bosheit letztlich nicht aufhebbar ist in einer intellektuellen Spekulation oder gar Lösung.

Der Verbrecher ist vom Schlag eines Jago. Nicht umsonst gibt Shakespeares Othello und dazumal die Gestalt des Jago das Leitmotiv des Romans. Jago alias Stephen Norton, so der neue Jago in Christies Roman, ist der Drahtzieher im Hintergrund. Er stachelt an zum Mord, er ist der Hinterhältige, der Bösartige, der Fallensteller, der die tödlichen Schlingen legt, in welchen die unschuldigen Opfer sich heillos verlieren.

Norton wird schließlich von Poirot zur Strecke gebracht. Danach stirbt Poirot. Auch dies eine geniale Zuspitzung Christies. Denn die Konfrontation mit dem abgründig Bösen, mit dem Archetypus Kain, ist eine auf Leben und Tod. Poirot tötet Norton, wissend, daß sein Akt der Justiz auf die Gnade Gottes angewiesen ist (»Ich ziehe es vor, mich ganz in die Hände des bon Dieu zu geben. Möge seine Strafe oder seine Gnade mir rasch zuteil werden!«). Und wenig später ist er selbst tot. Seine Kräfte sind aufgezehrt. Die letzte Anstrengung ist zugleich die endgültige. Norton ist hingerichtet. »Das Loch in Nortons Stirn – es sah aus wie ein Kainszeichen...«, so endet Poirots finaler Fall.

Wie exakt die Moral Christies abläuft, wird ersichtlich, wenn man den Roman einer anderen Autorin zum Vergleich heranzieht, die gleichfalls einen Mörder ins Zentrum rückt. Gemeint ist Tom Ripley in Patricia Highsmiths gleichnamigen Romanen.

Im ersten Roman der fünf Ripley-Bände begeht der talentierte Mr. Ripley kaltblütig zwei Morde. An der Aufdeckung dieser Verbrechen ist Highsmith nicht interessiert. Der Mörder geht bezeichnenderweise am Ende des ersten Romans wie unbescholten davon, um weiterhin  zu morden. Wahrheit? - Fehlanzeige.

René Clément, der 1960 den Roman unter dem Titel Nur die Sonne war Zeuge verfilmte, war dieses amoralische Ende offensichtlich zu arg. Alain Delon, der Ripley spielt, bleibt in Cléments Film am Ende nicht ungeschoren, sondern sitzt in der Falle, die zuschnappt. Er ist des Verbrechens überführt.

Highsmith selbst gestand: Sie stelle dar den »unzweideutigen Triumph des Bösen über das Gute, und ich freue mich daran.« Über Cléments moralisierenden Filmschluß äußerte sie sich abfällig. Ripley ist der Mörder, der weiter morden darf. Noch im letzten der Ripley-Romane entgeht er jeder Verurteilung.

Wie unerschütterlich anders Agatha Christie. An seinen Freund Colonel Hastings, der mit dem Meisterdetektiv den letzten Fall bestreitet, schreibt Poirot zu guter Letzt einen Brief, der posthum, nach Poirots Tod, den Fall bis in die letzten Details aufdeckt. Da heißt es, und wie könnte es anders sein: »Und deshalb schreibe ich Ihnen diesen Brief. Sie müssen die Wahrheit erfahren!«

Voilà, mon ami: Die Wahrheit.

Samstag, 11. Juli 2020

Der Unterschied

                                             
»Der Held trägt eine Rüstung, der Heilige ist nackt.«

Simone Weil

                  
Grafik: Hl. Sebastian, Kathedrale Palma de Mallorca. Foto: Peter Adelskamp

Samstag, 4. Juli 2020

Das Blut Christi

Jesus Christus starb nicht im Bett. Er starb am Kreuz.

Jede heilige Messe ruft uns die Unfaßbarkeit dieser Tatsache ins Gedächtnis. Der wahre Gottessohn hat am Kreuz Sein Leben für uns hingegeben. Er hat nicht nur ein paar Tropfen Seines Blutes für uns vergossen – schon ein winzigster Tropfen hätte ausgereicht zu unserer Erlösung -, sondern Er hat, um uns die Unermeßlichkeit Seiner Liebe offenbar zu machen, Sein Leben bis zum letzten Blutstropfen am Stamm des Kreuzes vergossen.

Der Monat Juli ist in der Liturgie der katholischen Kirche dem Kostbaren Blut Christi geweiht. Und der Auftakt diese Monats, der 1. Juli, wird in der tridentinischen Messe, dem überlieferten Ritus, als Fest erster Klasse zum Gedenken an das Kostbare Blut des Erlösers gefeiert.

Wer sich diesem Geheimnis nähern will, der könnte über das nachdenken, was Heilige angesichts dieses Mysteriums erlebt und notiert haben. Die Heiligen sind uns voraus, sie sehen klar, wo wir getrübte Linsen haben. Die hagiographische Literatur kennt ungezählte Beispiele, die dies demonstrieren. Der heilige Paulus, der heilige Johannes Chrysostomus, der heilige Augustinus, die heilige Gertrud von Helfta, die heilige Katharina von Siena, der heilige Kaspar del Bufalo, um nur einige zu nennen, pflegten in besonderer Weise die Andacht zum Kostbaren Blut.

Zwei Hinweise zweier Heilige seien hier angeführt.

Von der heiligen Maria Magdalena von Pazzi, Karmelitin in Florenz (1566-1607), wird in einem Andachtsbuch für Sterbende folgendes berichtet:

»Einmal, als die heilige Maria Magdalena von Pazzi in Ekstase war, sah sie alle heiligen Schutzpatrone der Stadt Florenz [begleitet von unzähligen anderen Heiligen] vor dem Thron Gottes für die Sünder Fürsprache einlegen. Ihre Bitten blieben jedoch unbeantwortet. Dann näherten sich die Schutzengel der armen Sünder, aber ihre Gebete blieben gleichfalls unerhört. Als nächstes kamen die Scharen der Seligen, um für die schuldigen Seelen Fürbitte zu leisten. Während sie um Gottes Barmherzigkeit flehten, waren sie gleichzeitig darauf bedacht, dem Ewigen Vater das Kostbare Blut aufzuopfern; und aufgrund der Verdienste des Göttlichen Blutes wurde ihren Bitten stattgegeben.«

Der heilige Pfarrer von Ars (1786-1859), der Patron der Priester, sagte über sein Gebetsleben:

»Alle Gnaden habe ich erlangt durch die Bitte an Maria, dem himmlischen Vater das Kostbare Blut Seines Sohnes aufzuopfern.«

Alle Gnaden...