Freitag, 26. Juni 2020

Otello oder das Unbesiegbare



Niemand kommt an der Auseinandersetzung mit dem Bösen vorbei. Und also kann auch der Künstler dieser Auseinandersetzung nicht aus dem Weg gehen.

Bleiben wir bei Verdi.

Verdis radikalste Auseinandersetzung mit dem Bösen erfolgt in einem seiner Spätwerke, Otello.

Nach Shakespeares Vorlage entsteht unter der Hand des Librettisten Boito die präzise Zuspitzung des tödlichen Dramas. Die Gestalt Jagos, des infamen Drahtziehers der Tragödie, wird verschärft dadurch, daß der Librettist die Vorlage Shakespeares strafft und die Gestalt Jagos zusätzlich profiliert, etwa durch die Hinzufügung des berüchtigten gotteslästerlichen Credo des Bösewichts.

Die Perfidie des Bösen findet darüber hinaus eine Steigerung derart, daß Jago zwar die tödlichen Schlingen legt und genüßlich zynisch zuzieht, selbst jedoch dabei im Finstern bleibt, unentdeckt, um desto schurkiger seine Machenschaften voranzutreiben und vor Otello geradezu in der Maske des Redlichen aufzuscheinen.

Eine der gängigen Ausflüchte, wenn es um die tatsächliche Konfrontation mit dem Bösen geht, ist die der Verharmlosung. Gerade weil das Böse, wenn es einem in seiner unverstellten Gewalt entgegentritt, fassungslos macht, neigt man zu dessen Verdrängung, gleichsam um so dem abscheulichen Schock zu entfliehen. Darin kommt zugleich zum Ausdruck, daß das Böse im Grunde genommen nicht zu fassen ist, dementsprechend die Theologie seit je vom mysterium iniquitatis spricht, dem bei aller rationalen Durchdringung  unergründlichen Geheimnis der Bosheit.

Verdi verharmlost nichts. Jagos Dämonie wird schonungslos dargestellt. Und wer dieser Dämonie zuhört, statt sich rigoros von ihr abzuwenden, unterliegt, denn der Raffinesse und Tücke des Bösen ist der harmlose Mensch nicht gewachsen. Otello und Jago ist ein ungleicher Kampf. Der Mohr in seiner Einfalt hat keine Chance gegen den heimtückischen Intriganten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Otello, und nicht nur er, am Boden liegt.

So weit, so schlecht.

Aber Verdi läßt es nicht dabei bewenden. Zur Größe Verdis gehört, daß er dem Bösen, trotz all seiner schändlichen Durchsetzungskraft und trotz der Tatsache, daß Jago zuletzt entflieht und also seiner Verurteilung entgeht, nicht dem Bösen das letzte Wort läßt, sondern der Liebe und also dem unbesiegbaren Guten.

Desdemona, Otellos Frau, stirbt durch die Hände ihres hinters Licht geführten eifersüchtigen Gatten. Aber Desdemona bleibt bis zuletzt die treue Gattin - die Gattin, die, bereits sterbend, weiterhin die Liebe lebt, indem sie ihrem Mann, die Schuld auf sich nehmend, verzeiht.

Und selbst Otello, nach dem Verhängnis über seinen tödlichen Betrug aufgeklärt, verharrt nicht im Abgrund des Bösen. Sein letztes Wort ist nicht der Schatten, in dem er liegt (nell’ombra in cui mi giacio...), sondern das bewahrte Wort der Liebe. Und das macht Verdi in einer zärtlichen Eindringlichkeit, die die Unfaßbarkeit des Bösen hinter sich läßt und überwindet, hörbar. Im Leitmotiv der Liebe, dem dreimaligen Kuß – und die Dreimaligkeit unterstreicht die feierliche Endgültigkeit – offenbart Otello sterbend sein Credo. Es ist das dreimalige Alles in Allem: Bitte, Geschenk, Dank, Reue sowie letzte Gabe der Liebe.

Samstag, 20. Juni 2020

Der Verzicht



»Um irgendwen in Empörung zu versetzen, genügt es heutzutage, ihm vorzuschlagen, er solle auf etwas verzichten.«

So ein Diktum des kolumbianischen Reaktionärs Nicolás Gómez Dávila.

Wenn Dávila Recht hat, dann heißt dies, daß der moderne Zeitgenosse Kunst nicht länger versteht. Denn die Kunst, die den Namen Kunst verdient, thematisiert immer wieder genau das: Den Verzicht, das Opfer.

Nehmen wir ein populäres Beispiel: La Traviata.

Violetta, die Pariser Halbweltkurtisane, begegnet Alfredo, und das Unerhörte geschieht. Violetta lernt die Liebe kennen, die echte, die tatsächliche.

Der Vater Alfredos ist schockiert. Violettas Liaison mit dem Sprößling der Familie Germont kompromittiert die ganze Familie, zumal die bevorstehende Ehe der Tochter der Familie steht aufgrund des stadtbekannten Skandals vor dem Aus. Und Vater Germont überzeugt Violetta, das Opfer zu bringen, sprich Alfredo zu verlassen, auf ihre Liebe zu verzichten.

Das Duett zwischen Violetta und Germont gehört zu den ergreifendsten Szenen der gesamten Oper. Verdi macht die Größe des Opfers hörbar, und er zeigt zudem, daß dann, wenn zwei Menschen von sacrifizio reden, bei weiten nicht dasselbe gemeint ist. Violetta bringt das Opfer, und sie ist es, die den Preis bezahlt. Germont fordert das Opfer und riskiert nichts, denn er bewegt sich, bei allem Beeindrucktsein von Violettas Größe, lediglich im Rahmen der kalten Konvention.

Hätte es diesen Schwiegervater in spe nur nicht gegeben, mag einer erwidern, und alles wäre anders gekommen. Tja, nur es gibt diesen Schwiegervater, und selbst wenn es ihn nicht gäbe, dann würde die Handlung gleichwohl auf den Verzicht drängen. In Rigoletto (um bei Verdi zu bleiben) fehlt der Schwiegervater, von einer bösen Schwiegermutter ganz zu schweigen; dennoch opfert sich Gilda für den betrügerischen Herzog. Und in Aida gibt die Titelheldin aus freien Stücken ihr Leben hin und stirbt mit ihrem geliebten Radames im tristen Loch.

Nichts Neues unter der Sonne, schon bei den alten Griechen wurde tragisch gestorben. So der Einwand eines anderen. Doch auch dieser Einwand geht ins Leere. Denn  der Unterschied der Kunst nach Christus ist gerade der, daß die Tragik aufgebrochen wird. Die Violettas und Gildas, und wie sie alle heißen mögen, gehen nicht zugrunde an der undurchdringlichen Mauer eines grausamen Fatums, sondern sie sterben aus freiem Entschluß. Ihre Freiheit ist im Opfer nicht aufgehoben, sondern aktuiert sich im Opfer auf das herrlichste.

Und warum überhaupt das Opfer? Warum überhaupt verzichten?

Weil im Verzicht der Mensch im Ernstfall ist. Redet er schöne Worte oder lebt er die schönen Worte? Das Opfer tötet radikal den Egoismus, der seit dem Sündenfall in jedem Menschenherzen lauert. Egoismus und Liebe sind unvereinbar. Da Violetta liebt, verzichtet sie. Eine Welt ohne Verzicht wäre gleichbedeutend mit einer Welt ohne Erbsünde.

Damit hängt zusammen, daß Verdi seiner Heroine den himmlischen Schluß gewährt. Eine Mauer ist eine Mauer, da gibt es kein Mitleid. Violetta dagegen stirbt unter ätherischen Klängen. Der Himmel öffnet sich - nel ciel tra gli angeli prega -, denn der Himmel weiß um das Opfer und krönt es, schließlich hat jedes Opfer seinen Ursprung und seine Dignität (sei es gewußt, sei es nicht gewußt) im einzigen Opfer - dem des Sohnes.

Samstag, 13. Juni 2020

Freilich


»Freilich thut, um dergestalt das Lesen als Kunst zu üben, 
Eins vor Allem noth,
was heutzutage gerade am Besten verlernt worden ist (…),
zu dem man beinahe Kuh und jedenfalls nicht
moderner Mensch sein muß:
das Wiederkäuen.«

Friedrich Nietzsche

Grafik: Photo by Zoë Gayah Jonker on Unsplash

Samstag, 6. Juni 2020

The Chosen III

Es soll Leute geben, die diese Szene aus The Chosen zwanzigmal und mehr sich angeschaut haben. Etliche Kommentare schreiben, daß die Berufung des Matthäus (genau darum geht‘s bei dem Filmausschnitt) sie am meisten berührt habe in der gesamten Serie.

Hier ist sie: Die Berufung des Steuereintreibers. Follow me – und Matthäus verläßt alles.