Montag, 31. Mai 2021

Neue Schöpfung

Gibt es das? Neue Schöpfung? Genauer: Neue Schöpfung nach einem ruinierten Leben?

Für den Apostel Paulus ist das keine Frage, sondern eine Gewißheit, wenn er schreibt: »Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden.«

Paulus benennt hier, was die Taufe tatsächlich ist: Hineingeboren werden in Christus und damit der Beginn des neuen Lebens, des christlichen Lebens.

Ist diese paulinische Theologie nicht zu schön, um wahr zu sein?

Reden wir mal über Torsten Hartung.

Hartung ist ein verurteilter Mörder. Sein Leben: Von früh auf eine Katastrophe. Ein kalter, gewalttätiger Vater. Eine kalte, lieblose Mutter. Der geprügelte, getretene, verstoßene Junge – das ist die tägliche Erfahrung. Auch in der Schule.

Doch das geschlagene Kind schlägt irgendwann zurück. Um zu überleben in einer Welt des Brutalen, trainiert sich Hartung die Härte an. Und das funktioniert. Als Jugendlicher und junger Mann ist er bald der Schläger und der Unbesiegte.

Und so geht es weiter. Erste Gefängnisaufenthalte folgen. Die Spirale von Gewalt, Kriminalität, Haß und Mißbrauch nimmt ihren Lauf. Menschen sind dazu da, gebraucht und ausgenutzt zu werden. Liebe? Ein Fremdwort. Hartung beweist, »wie böse ich bin«.

Und dann eines Tages der Mord. Ein Komplize der Autoschieberbande, deren Boß Hartung ist, hintergeht ihn. Hartung macht, als er es erfährt, kurzen Prozeß mit Dieter. Er bringt den Anderen um. Kaltblütig.

Wenig später fliegt die Verbrecherbande auf. Hartung wird, ebenso wie seine Komplizen, verhaftet und verurteilt. Hartung bekommt fürs erste fünf Jahre Einzelhaft.

Und jetzt, in der Einsamkeit und Ausgesetztheit der Zelle, allein mit dem Tagebuch, in welches er seine verzweifelten, auf ihn einstürzenden Gedanken aufzuschreiben beginnt, fängt ein anderer Prozeß an: Die Frage Hartungs nach seiner Schuld. Und die Frage, wie mit dieser Schuld umzugehen ist? Es ist ein Prozeß, in dem der Täter mehr und mehr erkennt, wer er wirklich ist und wie er zu dem geworden ist, der er ist.

Und: Hartung findet in der Ehrlichkeit der Selbstentblößung zum Glauben. Wer will, kann das nachlesen in seinem ergreifenden Rechenschaftsbericht, den er nach Abbüßung seiner fünfzehnjährigen Haftstrafe schließlich veröffentlicht.

Was hier interessiert, ist dies: Hartungs Bekehrungsweg führt ihn schließlich in die katholische Kirche. Am 20. Juni 2000 läßt er sich, nach einer intensiven Zeit der betenden und fastenden Vorbereitung, in der Kapelle der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel vom Gefängnispfarrer taufen.

Neue Schöpfung? 

»Erst später«, so der kurze Satz in Hartungs Rechenschaftsbericht Du mußt dran glauben, »wird ihm bewußt, daß die Taufe auf den Tag genau acht Jahre nach dem Mord an Dieter stattfindet.«

 

Sonntag, 23. Mai 2021

Pfingsten 2021

Haben wollen wir alle. Gesundheit (»Vor allem Gesundheit!«). Schönheit. Beliebtheit. Intelligenz. Geld und was sonst noch das Verlangen begehrt. Und wenn man eine Ahnung von den Gaben des Heiligen Geistes hat, dann will man naturgemäß auch diese haben. Weisheit zum Beispiel. Oder Stärke.

Doch da ist ein Haken. Der Empfang der Gaben des Heiligen Geistes ist an Voraussetzungen geknüpft. Das bloße Mantra Ich will haben genügt nicht.

Ein Blick in das Evangelium des Pfingstsonntags kann da weiterhelfen. Wir wollen unser Augenmerk auf ein Wort heften, das in diesem Evangelium - über den Apostelkreis hinaus - durchaus auch für uns Anspruch ist. Es steht geschrieben: 

»Am Abend des ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren, kam Jesus und trat in die Mitte.«
Mitte sei das Wort. Mitte ist mehr als eine Ortsangabe. Mitte meint wirklich Mitte. Zentrum. Mittelpunkt. In medio.

Das ist nicht beiläufig vom Evangelisten Johannes festgehalten. Es will besagen: Bist du bereit, Jesus in die Mitte zu lassen? In die Mitte deines Lebens, in die Herzmitte, derart, daß Jesus der Mittelpunkt deines Denkens, deines Gedächtnisses und deines Willens ist?

Wir hätten zwar gerne die schönen göttlichen Gaben, aber wir behandeln den Lieben Gott meist wie einen Kaffeeautomaten. Ein Euro wird in den Schlitz geworfen, und dann hat der Automat gefälligst den Capuccino auszuspucken. Und tut er es nicht, dann ist der Automat defekt.

Beim Lieben Gott deponieren wir unsere Wünsche. Wir hätten gerne dies und das. Und der Liebe Gott hat zu parieren, automatengleich. Tritt das Gewünschte nicht sogleich ein, dann liegt es offensichtlich an Gott, der taub ist oder sonst einen Defekt hat. Daß tatsächlich wir einen Defekt haben, dieser Gedanke ist zu verstörend. Dann lieber keinen Capuccino.

Und doch ist Jesus weiterhin da und will in die Mitte kommen, in die Mitte unseres Daseins, und dies nicht als der Versüßer unseres Lebens, sondern als dessen Herr. Wenn wir bereit sind für diese Mitte, wenn wir einverstanden sind, nicht länger unsere Mitte zu behaupten, sondern diesen Platz Jesus zu überlassen, dann kommen auch unsere Wünsche in die rechte Ordnung.

Frohe Pfingsten!

Grafik: Cathedra Petri. Petersdom. Bernini. Wikicommons by Dnalor.

Samstag, 15. Mai 2021

»Und Petrus stieg aus dem Schiffe.«

Von Schiller stammt das bekannte Wort: »Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen und das Erhabene in den Staub zu ziehen.«

Ich kenne Kirchgänger, die ohne viel Federlesens den Herrn anschwärzen, wenn es darum geht, die eigenen kleinlichen Glaubenszweifel zu rechtfertigen. Dann heißt es, Jesus selbst habe schließlich am Kreuz ausgerufen: »Mein Gott mein Gott, warum hast Du mich verlassen?« Danach die banale Schlußfolgerung: Was der Herr kann, kann auch der Knecht, und schon ist der eigene faktische Unglauben absolviert.

Die Heiligen müssen gleichfalls herhalten.

Zum Beispiel der heilige Petrus.

Fragt man einen halbwegs Gebildeten nach dem Apostelfürsten, so kann man nahezu sicher sein, daß ein Kennzeichen (meist das einzige) des Profils des ersten Papstes todsicher hervorgekehrt wird: Petrus ist derjenige, der verleugnet hat. Und das gleich dreimal. Das war's.

Es ist nicht schwer, die Motive des Schillerschen Schwärzens zu ermitteln. Zumeist artikuliert sich darin die Absicht, das Große, das man sich selbst nicht zutraut, herunterzuziehen auf das Mittelmaß. Auf das Gewöhnliche. Da man, warum auch immer, in der Mühe des Alltags nach etlichen Niederlagen kapituliert hat (auch wenn man diese Kapitulation sich nicht eingesteht), versucht man nun, das wirklich Hohe und Unbesiegte zu diskreditieren, um ein für allemal den Uneinsichtigen zu übertölpeln: Siehst du, das Hohe ist eine Fiktion. Machen wir uns nichts vor, wir sitzen alle im selben Boot.

Um beim letzten Bild zu bleiben: Nein, wir sitzen nicht alle im selben Boot. Und um beim Boot und bei Petrus zu bleiben: Petrus ist derjenige, der aus dem Boot steigt. Darüber sollten wir Kleinmütigen mal nachdenken.

Reinhold Schneider hat dies getan. Er widmet ein paar Seiten diesem Petrus, dem Großherzigen. Schneider nennt seine kurzen Bemerkungen: Und Petrus stieg aus dem Schiffe.

Es zeichnet Schneider, der selbst zu den Großherzigen gehört, aus, daß er in seiner Meditation die Macht und die Herrlichkeit und die Schwäche des Petrus ineins aufstrahlen läßt. Er vermag die einfachen, herrlichen Sätze zu schreiben: »Und da nun Jesus das einfache Wort spricht: Komm!, so geschieht das Größte: Und Petrus stieg aus dem Schiffe...« 

Und Schneider - anders als die modernen Vorwitzigen - wahrt die ehrfürchtige Distanz zu dem großen Mann auf den Wellen:

»Aber wir können uns nicht denken, daß Petrus gezögert hat: Er ist augenblicklich auf die hochgeschwellten Wogen getreten und auf Christus zugeschritten. Dies muß mit völliger Sicherheit geschehen sein, nicht in einer Art magischer, traumwandlerischer Sicherheit, sondern in einer über das Irdische erhobenen Wirk­lichkeit: In der Gegenwart Christi. Wie lange diese Sicherheit währte, wie viele Schritte Petrus getan, wissen wir nicht; es ist einer der wunderbaren, in der Vorstellung kaum mehr vollziehbaren Au­genblicke, die sich so oft zwischen den Worten der Heiligen Schrift öffnen. Wir wagen kaum die Augen zu erheben, wir wagen es nicht, uns ein Bild zu machen; wir fühlen nur, im Sturm und Wogenschlag geschieht etwas Stilles, Ungeheures: Petrus schreitet über die Wellen.«
Und endlich: Schneider beläßt es nicht bei der Meditation des Vergangenen. Denn der Herr und die Tat des Petrus gehören nicht dem Vergangenen an, sondern sind Anspruch an das Heute und folglich an jeden von uns, der zu glauben bereit ist. Und daher sollten die weiteren Sätze Reinhold Schneiders unsere Herzen erreichen und erschüttern:

»Und wenn wir nun selbst im Schiffe wären im Sturm und zum anderen Ufer strebten, ohne es zu erreichen, und der Herr erschiene auf den Wellen, würden wir dann aus dem Schiffe steigen wie Petrus? Es müßte ja leichter für uns sein als für ihn, weil wir seine Geschichte kennen und wir besser wissen, als er damals wissen konnte, was der Herr erwartet und wie Er uns beistehen wird. Und vielleicht würden diejenigen, die mit uns im Schiffe sind, die Erscheinung wieder für einen Geist halten wie die Jünger, und von uns würde eine Tat verlangt, die unseren Glauben an die Macht des Herrn bezeugt. Unser Leben strebt vom Ufer unseres Ausgangs zum Ufer des Todes über die Geschichte hinweg, die aufgewühlt wird vom Sturm. Sind wir bereit, auf die Wellen zu treten, wenn die heilige Gestalt über ihnen erscheint? Wenn wir uns nur ein wenig besinnen, so wissen wir: Darum ward dem Sturme die Macht gegeben, damit wir ein Zeugnis ablegen. Alles ist in des Herrn Hand, Sturm und Wellen, das Schiff und die Gefährten und wir. Nicht darum geht es, daß das Schiff gerettet wird; – wir können es dem Herrn anvertrauen, Er kann es retten zu einer jeden Stunde, und es wäre doch eine törichte Antwort am Tage des Gerichtes, daß wir für das Schiff hätten sorgen müssen und daß wir es nicht verlassen konnten. Es geht vielmehr um das Zwiegespräch, das einst Petrus mit Christus geführt hat, um des Apostels gläubige Frage und um das einfache, mächtige Wort Komm!«

Freitag, 7. Mai 2021

Ecclesia militans V

»Ein guter Christ wacht beständig mit dem Schwert in der Hand, der Teufel kann nichts gegen ihn tun, weil dieser ihm widersteht wie ein Krieger in voller Rüstung: Er fürchtet ihn nicht, weil er aus seinem Herzen alles Unreine verbannt hat.«

Hl. Pfarrer von Ars



Grafik: Photo by Nik Shuliahin on Unsplash




Montag, 3. Mai 2021

Ecclesia militans IV

»Reinheit des Herzens ist, in Wahrheit Eines zu wollen, und zwar das Gute, das seinen Lohn in sich selber trägt.«

Sören Kierkegaard

 

Grafik: Photo by Ricardo Cruz on Unsplash