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Freitag, 1. März 2019

Gordische Knoten


»Wenn ich eine Stunde hätte, um den Planeten zu retten, dann würde ich 59 Minuten damit verbringen, das Problem genau zu definieren, und eine Minute damit, das Problem zu lösen.«

Einstein soll dies gesagt haben.

Was gemeint ist, ist klar. Wer die Probleme richtig anschaut und analysiert, wer die korrekte, langwierige Diagnose stellt, der hat im Grunde das Problem gelöst.

Lang ist‘s her, daß Einstein dies feststellte. Unsere Zeit entscheidet sich anders. Nicht die korrekten, zeitaufwendigen Diagnosen sind gefragt, sondern die schnellen, am besten rasend schnellen Lösungen, die – man ahnt es bereits – keine Lösungen sind, weil sie nur schnell, aber wenig erleuchtet sind.

Dieser Wahn des Schnellen hält mittlerweile auch Einzug in das religiöse Leben. Das Spirituelle soll gefälligst ebenso schnell gehen. Spirituell und schnell, das reimt sich sogar. Na bravo!

Leider, oder Gott sei Dank, ist aber das Geistige kein Fast-Food-Produkt. Gut Ding will Weile haben. Und wer sein Leben ins Reine bringen will, der muß sich Zeit nehmen und darf Mühen nicht scheuen. Er muß die rechte Diagnose stellen. Und dazu gehört, daß er zuallererst einmal recht hinschaut, Bequemlichkeiten ablegt, Nebensächliches wegschafft, die Details ordnet, die Zusammenhänge wahrzunehmen beginnt, Unliebsames nicht verdrängt, sondern ins Licht hebt und bei Bedarf auf einen weisen Ratgeber hört.

Und dieses langsame, geduldige Vorgehen ist bereits Beginn der heilsamen Lösung. Nicht umsonst heißt es im Lukasevangelium (in der Vulgata-Fassung): In patientia vestra possidebitis animas vestras – wörtlich: In eurer Geduld werdet ihr eure Seelen besitzen (21,19).

In der Geduld, nicht in der Raserei.

Man wird entgegenhalten: Aber selbst im Evangelium gibt es doch die schnellen Heilungen. Sofort ist eine Vokabel, die bei den neutestamentlichen Heilungsberichten öfters vorkommt.

Das stimmt. Doch die Spontanheilungen sind nicht die Regel, sondern die Ausnahme, und diese Ausnahme hilft uns, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Denn wie oft wollen wir aufgeben, wenn die Heilung nicht so schnell eintritt, wie wir es gerne hätten. Dann  kann es sein, daß wir versucht sind zu kapitulieren. Spontane, sofortige Heilungen, von Jesus gewirkt, zeigen uns sodann im unwiderstehlichen Licht der Tageshelle, daß das Ziel keine Illusion ist, sondern Wirklichkeit. Doch diese Wirklichkeit negiert nicht den ordentlichen Weg, den Weg, welcher der langsame ist.

Und schließlich: Auch der langsam Voranschreitende wird die Erfahrung der Schnelle machen, die Erfahrung der Überraschung. Auch das drückt ja Einstein aus.

Denn wer der Geduld des organischen Reifens nicht ausweicht, wird eines Tages erleben, wie schnell plötzlich die reife Frucht ihm in den Schoß fällt - der gordische Knoten ist durch. Nur, dem befreienden Schlag gingen etliche Trainingsstunden voraus. Stunden von Schweiß und Mühe und Muskelaufbau. Dann plötzlich der befreiende Schlag oder auch der befreiende Blitz oder auch die sich öffnende Tür. Mit einem Wort: Die sechzigste Minute!

Grafiken: Photo by Jake Oates on Unsplash

Freitag, 9. Februar 2018

Die Liebe, die wartet


Nehmen wir drei Meisterwerke.

Jane Austen: Stolz und Vorurteil. Adalbert Stifter: Der Nachsommer. Lew Tolstoi: Krieg und Frieden.

Was verbindet diese drei Meisterwerke?

Da es Meisterwerke sind, handeln sie, wie könnte es anders sein, von der Liebe. Denn die Liebe ist immer wieder und stets aufs Neue das herausragende Thema in den großen Werken der Weltliteratur. Und da stellt man nun fest, daß die Werke, die das Prädikat groß verdienen, die Liebe einmütig unter ein sehr konkretes Vorzeichen stellen, und das lautet: Die Liebe wartet.

Wie bitte? Warten?

Der moderne Zeitgenosse traut seinen Ohren nicht. Schließlich wird ihm genau das Gegenteil eingeredet. Alles muß schnell gehen. Nach dem ersten flüchtigen Kennenlernen kommt es sogleich zum Akt. Von Warten keine Spur. Der Wartende wird vielmehr als der Dumme dargestellt.

Wie meilenweit entfernt von dieser zerstörerischen Kurzsichtigkeit ist die große Kunst. Naturgemäß weiß auch sie um die Verführung zum schnellen Genuß. Sie weiß, daß zumal der junge Mensch sich schwer tut mit dem Warten und der Geduld. Daß die Verlockung der raschen Eroberung fortwährend lauert. Daß das Ungestüme den jungen Aufgewühlten hin und her reißt.

Aber die großen Meisterwerke sind ehrlich. Sie zeigen den rechten Weg. Gleich ob Austen, Stifter oder Tolstoi: Gezeigt wird, daß die Liebe deswegen zu warten hat, weil die Liebe reinigungsbedürftig ist. Die Liebe am Anfang ist bestenfalls Verliebtheit, jedenfalls nicht die Liebe, der es einzig zusteht, den hohen Namen der Liebe für sich beanspruchen zu dürfen. Vorurteile, falsche Sichtweisen, Irrtümer, Verblendungen, Stolz, Ungestümtheit und etliche andere Tücken umlagern denjenigen und diejenige, die sich auf den Weg der Liebe begeben.

Und nur der, der bereit ist, in einem schmerzlichen Prozeß der Reinigung und Reifung sich wandeln zu lassen von seinen selbstsüchtigen Verblendungen, wird schließlich gewürdigt, bei der tatsächlichen Liebe anzukommen.

Elisabeth Bennet, die Lieblingsheldin Austens, hat viel zu lernen. Und ihr zukünftiger Gemahl desgleichen. Ihre zunehmende Annäherung geht Hand in Hand mit einer Selbsterkenntnis, die mehr ist als ein nettes Geplänkel, die vielmehr echtes Hineinführen in die Wahrheit ist, und das heißt oft genug in die bittere Wahrheit, die das Verkehrte und Egoistische im eigenen Verhalten bloßlegt.

Paare, welche das Glück an sich reißen im schnellen, voreiligen Zugriff oder aus verletzter Eigenliebe das Gegebene falsch bewerten, sind nicht zu bewundern, sondern werden als das bezeichnet, was sie in Wirklichkeit sind: töricht. Sie verstehen nicht die Kunst des Lebens und der Liebe.

Der Preis, der für das schnelle, gierige Ansichreißen oder für ein allzu stürmisches Zerschlagen eines liebenden Beginns zu bezahlen ist, ist oft genug schneidend bis ins Mark. Der Nachsommer spricht darüber in verhaltener, stets präsenter Entsagung.

Auch die leidenschaftliche, blutjunge Natascha in Tolstois Werk, ebenso wie ihr Freund Pierre, muß bittere Lektionen lernen, bis sie versteht, daß die Liebe ein Werk ist, ein Kunstwerk, und zu einem Kunstwerk gehört die unsägliche Geduld des Bauens, des Reifens und des rechten Maßes.

Und auch dies verbindet die Meisterwerke: Die wahren Liebenden, dessen sind sich die großen Dichter einig, werden einander finden. Sie erkennen sich untrüglich. Es mag viele Widerstände geben, die zu überwinden sind, viele Mißverständnisse, die den gemeinsamen Weg blockieren, viele Schmerzen, die in die eigene Haut schneiden. Und dennoch. Entscheidend bleibt der Wille der Beginnenden zur Wahrheit. Wo dieser Wille wirkt, werden die Liebenden sich finden, und sei es selbst nach Verlust und langem Abstand.

Elisabeth Bennet und Sir Darcy werden ein glückliches Paar. Freiherr von Risach und Mathilde erleben, wenn auch keine Ehe, so doch die neue Nähe und den rosengeschwängerten, reifen Nachsommer. Und da sie im Leiden wahrhaft gereift sind, vermögen sie die liebevollen Begleiter des jungen Paares Heinrich und Natalie zu sein. Natascha und Pierre schließlich sagen, nach etlichen Abschieden und Bekehrungen, ja.

Warten. Reifen. Lieben. In der Wahrheit. »Denn nur die Wahrheit, die erbaut, ist Wahrheit für dich« (Kierkegaard).

Grafik:    Von Foto H.-P.Haack, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11628626

Samstag, 1. Juli 2017

Gerettet


Ein 13jähriger Bursche beim Schlittschuhlaufen auf einem zugefrorenen Gewässer. Eine Winterszene, wie sie sich soundsoviele Male ereignet. Nichts Besonderes.

Doch dann geschieht folgendes: Das Eis unter den Füßen des Jungen beginnt zu brechen. Die Eisdecke gibt nach. Der Dreizehnjährige stürzt und versinkt im eiskalten Wasser. Er schreit und schreit.

Ein zweiter Bursche, Christoffer mit Namen, der Bruder des Verunglückten, kommt dem Untergehenden zu Hilfe. Es gelingt ihm tatsächlich, den Gefährdeten aus dem eiskalten Tod zu befreien. Der Gerettete kriecht ans Ufer. Kraftlos. Erschöpft.

Und jetzt geschieht das Schreckliche: Der Bruder, der Retter, bricht seinerseits ein und stürzt in die eiskalte Flut. Der gerettete Bruder am Ufer, unterkühlt, ohne Energie, ist zu schwach, ihm zu Hilfe zu kommen. Er muß tatenlos zusehen, wie sein um ein Jahr jüngerer Bruder in den Fluten untergeht.

Die Nachwelt weiß um diese Geschichte, weil der gerettete Bruder später Berühmtheit, ja schließlich Weltberühmtheit erlangt. Es handelt sich um Caspar David Friedrich, den Vorzeigemaler der romantischen Bewegung.

Das traumatische Erlebnis seiner Jugend, wen wundert’s, hat den Maler nachhaltig geprägt. Sein späterer Kampf mit der Depression ist bekannt. Von einem Selbstmordversuch in seinen jungen Mannesjahren ist die Rede. Und die Tatsache, daß immer wieder schwermütige Sujets in seinen Bildern bestimmend wirken – programmatisch in dem wüsten Gemälde mit dem Titel Das Eismeer –, sagt mehr als viele Worte.

Und dennoch wäre eine Sicht auf Friedrichs Biographie, die bei dieser düsteren Diagnose stehenbliebe, zu kurz gegriffen. Denn das eigentlich Erstaunliche ist, daß der Maler, trotz lebensbedrohlicher Traumatisierung, sich durchkämpft zum Leben. Theologisch gesprochen: Der Schrecken des Todes, den Friedrich in seiner ganzen Härte in jungen Jahren erfährt, wandelt sich unter dem letztlich unbegreiflichen Einfluß der Gnade weg von der Verzweiflung hin zum Gekreuzigten: Zum Kreuz, welches trotz erfahrener und womöglich im Inneren weiterhin drohender, berstender Eisschollen dennoch feststeht.

»Auf einem Felsen«, so der Maler, »steht aufgerichtet das Kreuz, unerschütterlich fest, wie unser Glaube an Jesum Christum. Immer grün durch alle Zeiten während stehen die Tannen ums Kreuz, gleich unserer Hoffnung auf ihn, den Gekreuzigten.«

Dies schreibt er als Kommentar zu seinem bereits damals bewunderten Tetschener Altarbild. Zu sehen ist ein steil aufragendes Kreuz, welches verklärt in den Strahlen der abendlichen Sonne die unverbrüchliche Ordnung der Welt garantiert. Keine Klage. Kein Weh erhebt sich hier. Stattdessen der ruhige, sieggewisse, stille Gesang des Gekreuzigten.

In dieser künstlerischen Überwindung von der gescheiterten jungen Hoffnung zur Hoffnung der abendlichen Höhe scheint uns mehr als nur biographische Transformation aufzustrahlen. Es dünkt uns ein tiefes Gleichnis, das uns alle betrifft.

Denn – in welcher Härte immer –: Das Kreuz ist da, in jedem Leben. Die Schläge kommen, die Wunden kommen. Doch wie gehen wir mit dem um, was uns verletzt, verstört, lebensgefährlich trifft?

Die Rebellion liegt gleichsam stets in Reichweite. Sie ist der schnelle Zorn, der sich dem Unvermeidlichen nicht beugen will. Non serviam. Aber diese Rebellion, wie jeder Aufruhr, bleibt letztlich unfruchtbar.

Die tatsächliche Aufgabe, und es ist wortwörtlich das uns Aufgegebene, besteht dagegen darin, den Schlag, der uns trifft, mit Hilfe der stets dargereichten Gnade anzunehmen, gerade dann, wenn uns das Unverständliche überwältigen will, und uns derart wandeln zu lassen in das größere Geheimnis hinein – in das Einverständnis.

Das Mittel dahin? Laut einem Herrenwort die Geduld, so jedenfalls im Lukasevangelium, Kapitel 21, Vers 19: In patientia vestra possidebitis animas vestras (wörtlich: In der Geduld werdet ihr eure Seelen besitzen, nach der Vulgata).

Und ist es nicht so: Sind die Gemälde des Caspar David Friedrich sehr oft nicht genau das: Meditationen der Geduld?

Grafik:    wiki commons