Samstag, 26. März 2022

Und bin herabgestiegen

Wer kennt sie nicht, die biblische Geschichte des Verlorenen Sohnes (Lukas-Evangelium 15,11ff).

Rembrandt hat die Rückkehr des Sohnes in einem berühmten Bild dargestellt.

Der Sohn in seinen zerrissenen, zerlumpten Kleidern. Der Vater, der sich zum Sohn, der vor ihm kniet, sanft herabbeugt und gleichsam segnend beide Hände auf die Schultern des Sohnes legt.

Der Maler hat, wie man wohl sehen kann, zwei unterschiedliche Hände gemalt: Eine männliche und eine weibliche. Offensichtlich will er zum Ausdruck bringen, daß dieser Vater, der im Gleichnis für Gott selbst steht, sowohl die väterliche Autorität wie die mütterliche Zärtlichkeit in sich vereint. Und der Sohn hat eben dies dringend nötig zur Heilung: Die Autorität und die Zärtlichkeit.

Doch muß man zugleich ergänzen, daß diese beiden grundlegenden Haltungen biblisch betrachtet sein wollen und damit im Licht von oben.

Im Gleichnis, welches Jesus erzählt, geht der Vater dem verlorenen Sohn entgegen, ja mehr noch: Er lief dem Sohn entgegen (20). Für den Juden ein Unding. Denn derjenige, der die väterliche Vollmacht repräsentiert, bleibt sitzen. Erst recht nicht rennt er dem Verlorenen entgegen, das wäre Schwächung und Verdunkelung der väterlichen Autorität. 

Doch der Vater des Gleichnisses läuft. Tatsächlich. Das aber heißt, es geht nicht um den Buchstaben des Gesetzes, sondern um den Geist des Gleichnisses, und dieser Geist ist Licht und Leben, weswegen beide, Vater und Sohn, im Licht portraitiert sind.

Und was die mütterliche  Zärtlichkeit betrifft, so ist sie kein sentimentales Verzärteln, sondern reiner Ausfluß der Liebe, die, wie es im Johannesevangelium über Jesus heißt, weiß, was im Menschen ist (s. Joh 2,25).  

Anders gesagt, die beiden Hände drücken das Geheimnis des göttlichen Herzens aus. Bezeichnenderweise ruht der Sohn am Herzen des Vaters. Von dort strömt ihm die Gnade zu, die sich im segnenden Gestus der Hände offenbart. An der Brust des Vaters ruhend hört der Sohn den Herzschlag der Versöhnung und der Auferstehung. Er hört die pulsierende Liebe.

Noch einmal anders gesagt: Rembrandt zeigt ohne Worte, worin die Liebe Gottes besteht. Gott steigt herab. Gott beugt sich nieder. Gott erniedrigt sich. Damit der zerrissene Sohn die bedingungslose Liebe seines Vaters spüren kann, neigt sich der Vater ihm zu. Denn die Bewegung des Neigens und Herabsteigens ist die fortwährende Bewegung Gottes uns gegenüber.

Als die Israeliten von den Zwingherren Ägyptens geknechtet werden und als Gott sich dem Moses im brennenden Dornbusch offenbart, sagt Gott zu seinem Knecht: Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen… (Exodus 3,7.8). Gleichwohl bleibt das Volk störrisch, trotzig, im Aufbegehren. Und dieser dumme Eigensinn wiederholt sich durch die Geschichte hindurch. Wir sind die Stolzen, wir sind die, die trotzig das Erbe ausgezahlt haben wollen, die mit lächerlich erhobenem Kopf davonlaufen, die es vorziehen, bei den Schweinen zu hausen, während der allmächtige, vollkommene Vater uns entgegenläuft, uns, den Dummen, weil er niemanden verloren sehen will. Denn, wie es in der Mitte des Evangeliums heißt: Er hatte Mitleid mit ihm (20).

Der Vater, den wir im zentralen Gebet der Christenheit als Vater unser anrufen, ist kein kalter Herrscher, sondern der unendlich Geduldige, der unendlich Barmherzige und der unendlich Mitleidende. Der Sohn hat es endlich verstanden. Er steht nicht vor dem Vater, sondern er kniet. Freiwillig. Denn seine Freiheit beginnt erst jetzt.

Grafik: Rembrandt, Die Rückkehr des Verlorenen Sohnes. wikicommons.
                                                               

Samstag, 19. März 2022

Josef

Laut biblischem Bericht war Josef, der Nährvater Jesu, Zimmermann.

Tekton, so das griechische Wort für Zimmermann, legt nahe, daß Josef nicht nur in der Lage war, ein Stück Holz zu bearbeiten, sondern ebenso fähig, ein Haus zu bauen und instandzuhalten.

Der Beruf des Nährvaters spricht Bände. Denn der Sohn, der ihm anvertraut ist, hat von seinem Ziehvater beruflich zu lernen, was Söhne als Männer zu tun haben: Sie sollen gestalten lernen. Sie sollen, wie die geistvolle deutsche Sprache es ausdrückt, das Bewerkstelligen lernen. Sie sollen arbeitend die Welt recht formen und so im Werk die Welt aufbauen.

Holz ist ein klassisches Material, an dem sich die Kunst des Bewerkstelligens erproben kann. Martin Schleske, einer der großen Geigenbauer der Gegenwart, hat in seinem Buch Der Klang. Vom unerhörten Sinn des Lebens anhand des Geigenbaus aufgezeigt, wie lebendig Holz ist und wie sorgfältig derjenige, der das Holz zu einem wunderbaren Klangkörper gestalten will, sein Material behandeln muß. Mit anderen Worten: Die gute Geige, glänzend in ihrem hölzernen Leib und herrliche Töne von sich gebend, ist ein Werk der Liebe, denn die Liebe baut und schafft und richtet auf.

Damit ist der heilige Josef geradezu der Lehrmeister für Männer, zumal heute, wo Männer nahezu permanent in die Versuchung geführt werden, nicht schöpferisch zu bauen, sondern unschöpferisch sich zu vergnügen. An die Stelle des handgreiflichen Werkzeugs des Zimmermanns tritt in der Moderne das Spielzeug des Handys. Tasten werden gedrückt, und die passive Berieselung beginnt. Der Personal Computer erledigt schließlich den Rest. Der Mann als Tastendrücker, als Konsument, als derjenige, der sich unterhalten läßt, statt derjenige zu sein, der den Auftrag der Weltgestaltung schöpferisch ergreift.

Der heilige Josef wird in der ihm gewidmeten Litanei als Vorbild der Arbeiter angerufen. Lateinisch exemplar opificum, Beispiel der Werkmeister, der Handwerker. Das deutsche Wort arbeiten führt sich etymologisch auf das germanische Nomen arbejidiz zurück, welches so viel meint wie Mühsal, Not.

Das ist wesentlich, wenn wir über die Stellung und das Wesen des Handwerkers nachdenken. Denn anders als es uns die moderne Handyindustrie nahelegt, gehört zur Arbeit der Schweiß, die Anstrengung. Häuser werden nicht am Handy gebaut, sondern auf der Baustelle, und dort geht es sehr oft mühsam zu. Das Vergnügen kommt danach. Oder, wie der Volksmund es ausdrückt: Ohne Fleiß kein Preis.

Der Mann, der sich der Mühsal entzieht, degeneriert. Eine Moderne, die Männer mehr und mehr in die Technik des Passiven abdrängt, indem sie den warmen, widerständigen Weltstoff durch die kalten, sogenannten elektronischen tools ersetzt, wird mitschuldig, daß die Rolle der Väter, der Söhne, des Mannes schlechthin verdunkelt wird. Der liebende Handwerker dagegen, wie es Georges de la Tours Bild unaufdringlich zeigt, trägt als Werkmeister dazu bei, die Welt zu erhellen.

Wahrscheinlich war die Bitte der Josefslitanei nie gebotener als heute: 

Du Vorbild der Arbeiter – bitte für uns!

Grafik: Georges de la Tour, Josef, der Zimmermann. wikicommons