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Samstag, 16. Juli 2022

Das Auge


Die Leuchte des Leibes ist das Auge. Wenn dein Auge gesund ist, dann wird dein ganzer Leib hell sein. Wenn aber dein Auge krank ist, dann wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht in dir Finsternis ist, wie groß muß dann die Finsternis sein!  (Mt 6,22f)
Manche werden diese Bibelstelle kennen. Sie findet sich in einer der großen Predigten Jesu, in der Bergpredigt.
                  
Zweierlei soll anhand dieser Feststellungen Jesu hier erwähnt werden.

Erstens.
Das Auge ist kein Organ unter ferner liefen, sondern ein zentrales. »Was wir im Auge haben, das prägt uns«, so ein zeitgenössischer geistlicher Autor, »da hinein werden wir verwandelt. Wir kommen, wohin wir schauen« (Heinrich Spaemann).

Das ist die heutige Formulierung dessen, was 700 Jahre zuvor ein Albert der Große folgendermaßen ausdrückte: »Wer sich mit göttlichen Dingen beschäftigt, wird nach ihrem Bild umgestaltet.«
    
Daraus leitet sich wie selbstverständlich die Frage an jeden Einzelnen ab: Was schaue ich? Was betrachte ich? Wem setze ich meine Augen aus? Welche Bilder lasse ich in mein Auge hinein? Welche Photographien, welche Videos, welche Filme, welche Computerspiele? Welche Umgestaltung will ich? Welche Verwandlung?

Zweitens.
Zur biblischen Anthropologie gehört, daß sie mit dem Heilen beginnt. Mit dem Gesunden.

Anders gesagt: Am Beginn steht die Affirmation, die Bejahung, das Einverständnis. Die Leuchte des Leibes ist das Auge. Das ist ein Indikativ. Und erst, wenn dies als das ursprüngliche Faktum geklärt ist, folgt das Zweite: Die Negation, das Kranksein: Wenn aber dein Auge krank ist, dann wird dein ganzer Leib finster sein.

Diese unumstößliche Bejahung des Anfangs ist freilich das, was der Moderne am meisten zu schaffen macht. Denn tagein tagaus wird uns eingehämmert, daß es im Grunde nur die Negation gibt, und wenn Bejahung, dann ist diese abgeleitet, das Zweite, jedenfalls nicht das Ursprüngliche. Das Dunkel gilt als das Erste. Der Schatten wird verherrlicht. Das Licht ist nur mehr, wenn überhaupt, das verkümmerte, nachgerückte Zweite.

Damit steht die Welt Kopf. Dementsprechend lautet das Schlagwort, unter welches die Postmoderne sich rubrizieren ließe, nicht länger: Alles fließt, sondern: Alles dunkelt.

Denn das kranke Auge, welches mit seiner kranken Linse die Welt betrachtet, sieht das, was es in sich selbst trägt: Die Finsternis. Und nicht nur das: Es hält diese Finsternis für die reale Welt, bis dahin, daß schließlich derjenige, dessen gerades Auge unverblendet ist, in der neuen Doktrin der Dunkelheit als der Verkehrte gebrandmarkt wird, als der Widerständige, welcher umerzogen werden muß.

Was tun?

Unbeirrt auf Den schauen, Den sie durchbohrt haben.


Grafik: Genealogie Jesu und Christus Pantokrator, Mosaik in der Südkuppel der Chora Kirche. Wikicommons.

Samstag, 26. März 2022

Und bin herabgestiegen

Wer kennt sie nicht, die biblische Geschichte des Verlorenen Sohnes (Lukas-Evangelium 15,11ff).

Rembrandt hat die Rückkehr des Sohnes in einem berühmten Bild dargestellt.

Der Sohn in seinen zerrissenen, zerlumpten Kleidern. Der Vater, der sich zum Sohn, der vor ihm kniet, sanft herabbeugt und gleichsam segnend beide Hände auf die Schultern des Sohnes legt.

Der Maler hat, wie man wohl sehen kann, zwei unterschiedliche Hände gemalt: Eine männliche und eine weibliche. Offensichtlich will er zum Ausdruck bringen, daß dieser Vater, der im Gleichnis für Gott selbst steht, sowohl die väterliche Autorität wie die mütterliche Zärtlichkeit in sich vereint. Und der Sohn hat eben dies dringend nötig zur Heilung: Die Autorität und die Zärtlichkeit.

Doch muß man zugleich ergänzen, daß diese beiden grundlegenden Haltungen biblisch betrachtet sein wollen und damit im Licht von oben.

Im Gleichnis, welches Jesus erzählt, geht der Vater dem verlorenen Sohn entgegen, ja mehr noch: Er lief dem Sohn entgegen (20). Für den Juden ein Unding. Denn derjenige, der die väterliche Vollmacht repräsentiert, bleibt sitzen. Erst recht nicht rennt er dem Verlorenen entgegen, das wäre Schwächung und Verdunkelung der väterlichen Autorität. 

Doch der Vater des Gleichnisses läuft. Tatsächlich. Das aber heißt, es geht nicht um den Buchstaben des Gesetzes, sondern um den Geist des Gleichnisses, und dieser Geist ist Licht und Leben, weswegen beide, Vater und Sohn, im Licht portraitiert sind.

Und was die mütterliche  Zärtlichkeit betrifft, so ist sie kein sentimentales Verzärteln, sondern reiner Ausfluß der Liebe, die, wie es im Johannesevangelium über Jesus heißt, weiß, was im Menschen ist (s. Joh 2,25).  

Anders gesagt, die beiden Hände drücken das Geheimnis des göttlichen Herzens aus. Bezeichnenderweise ruht der Sohn am Herzen des Vaters. Von dort strömt ihm die Gnade zu, die sich im segnenden Gestus der Hände offenbart. An der Brust des Vaters ruhend hört der Sohn den Herzschlag der Versöhnung und der Auferstehung. Er hört die pulsierende Liebe.

Noch einmal anders gesagt: Rembrandt zeigt ohne Worte, worin die Liebe Gottes besteht. Gott steigt herab. Gott beugt sich nieder. Gott erniedrigt sich. Damit der zerrissene Sohn die bedingungslose Liebe seines Vaters spüren kann, neigt sich der Vater ihm zu. Denn die Bewegung des Neigens und Herabsteigens ist die fortwährende Bewegung Gottes uns gegenüber.

Als die Israeliten von den Zwingherren Ägyptens geknechtet werden und als Gott sich dem Moses im brennenden Dornbusch offenbart, sagt Gott zu seinem Knecht: Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen… (Exodus 3,7.8). Gleichwohl bleibt das Volk störrisch, trotzig, im Aufbegehren. Und dieser dumme Eigensinn wiederholt sich durch die Geschichte hindurch. Wir sind die Stolzen, wir sind die, die trotzig das Erbe ausgezahlt haben wollen, die mit lächerlich erhobenem Kopf davonlaufen, die es vorziehen, bei den Schweinen zu hausen, während der allmächtige, vollkommene Vater uns entgegenläuft, uns, den Dummen, weil er niemanden verloren sehen will. Denn, wie es in der Mitte des Evangeliums heißt: Er hatte Mitleid mit ihm (20).

Der Vater, den wir im zentralen Gebet der Christenheit als Vater unser anrufen, ist kein kalter Herrscher, sondern der unendlich Geduldige, der unendlich Barmherzige und der unendlich Mitleidende. Der Sohn hat es endlich verstanden. Er steht nicht vor dem Vater, sondern er kniet. Freiwillig. Denn seine Freiheit beginnt erst jetzt.

Grafik: Rembrandt, Die Rückkehr des Verlorenen Sohnes. wikicommons.
                                                               

Montag, 25. Oktober 2021

Denn es war klar

Für V. H.

»Ich schlug an einem Weihnachtsabend in Potsdam die Heilige Schrift auf und floh nach wenigen Kapiteln auf die kalte dunkle Straße. Denn es war klar: Unter diesem Anspruch der Wahrheit kehrt sich das Leben um. Dieses Buch ist kein Buch, sondern eine Lebensmacht. Und es ist unmöglich, auch nur eine Zeile zu begreifen, ohne den Entschluß, sie zu vollziehen. Darauf beruht ja die härteste Unmöglichkeit menschlicher Verständigung, daß den Glauben nur versteht, wer glaubt.«

Reinhold Schneider 

Grafik: wikicommons

Mittwoch, 6. Juli 2016

Die verführerischen Praktiken der »Frau Torheit«

Im Exerzitienbuch des hl. Ignatius von Loyola gibt es die Anweisung, daß – wenn man biblische Szenen betrachtet – der Schauplatz der Szene zuzubereiten ist. Gemeint ist damit, daß der Betrachter die entsprechende biblische Passage nicht nur liest wie einen beliebigen Text, sondern sich in den Text wortwörtlich hineinbegibt beziehungsweise sich vom heiligen Wort in das Mitgeteilte hineinführen läßt, um so den Text in das je Jetzt und Heute zu aktualisieren. Denn lebendig ist das Wort Gottes, gemäß dem Hebräerbrief, kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert … (4,12).

An die Weisung des Ignatius mußte ich denken, als ich dieser Tage folgende Stelle aus der Heiligen Schrift las: Frau Torheit fiebert nach Verführung; das ist alles, was sie versteht. Sie sitzt vor der Tür ihres Hauses auf einem Sessel bei der Stadtburg, um die Vorübergehenden einzuladen, die geradeaus ihre Pfade gehen: Wer unerfahren ist, kehre hier ein. Zum Unwissenden sagt sie: Süß ist gestohlenes Wasser, heimlich entwendetes Brot schmeckt lecker. Und er weiß nicht, daß Totengeister dort hausen, daß ihre Gäste in den Tiefen der Unterwelt sind.


Die verführerischen Praktiken der Frau Torheit – oh ja, die gibt es auch heute, aber anders als man denkt. Noch neulich erzählte mir eine junge Mittzwanzigerin über ihre Abtreibung, die gerade mal ein Jahr zurücklag. Man habe sie belogen, so die junge Frau. Alles sei einfach, die Uhr werde zurückgedreht, danach könne sie weiterleben wie bisher, so hatten die süßen Versprechungen des Abtreibers gelautet. Es war die schiere Verführung, getarnt als Mitmenschlichkeit. Und nach dem Eingriff, wie die Abtreibung routinemäßig und schönfärberisch genannt werde, ruhe man sich ein wenig aus, trinke bei Bedarf einen Tee und esse einen Keks, und das war’s dann.

Vonwegen. Vor mir saß die junge Frau, der die Augen aufgegangen waren. »Es ist alles eine Lüge, es geht nur um Geld und Geschäftemacherei.« Das sagte sie nicht ruhig-gelassen, sondern unter Tränen. Denn das rosige Danach, welches man ihr vorgegaukelt hatte, zerplatzte wie eine Seifenblase. Was blieb war der nagende, vergebliche Wunsch, die Abtreibung rückgängig zu machen, und die täglichen Schmerzen über das schreckliche Unglück.

Der Unerfahrene »weiß nicht, daß die Totengeister dort hausen«, so die Bibel. Dort: In den modernen Abtreibungsstätten, die am Fließband arbeiten, und dies unter dem verführerischen Label der »Frauengesundheit«.

Grafik:   Timo Klostermeier/pixelio.de