Freitag, 28. April 2017

Das Urlicht

Ostern ist das Fest des Lebens. Darum ist es auch das Fest des Lichts. Sei es in den biblischen Berichten, sei es in der Liturgie der katholischen Kirche: Das Osterlicht als Fanal des Lebens ist prägend.

In der Osternacht wird das siegreiche Licht der Osterkerze mit dem dreimaligen Ruf Lumen Christi in den dunklen Kirchenraum getragen. Johannes, der Apostel und Evangelist, schreibt von der dritten Erscheinung des Auferstandenen am See von Tiberias, und sie ereignet sich bezeichnenderweise im anbrechenden Morgenlicht des neuen Tages.

Leben und Licht. Licht und Leben.

Es ist nur folgerichtig, daß die Kunst diesen Einklang aufspürt und weiterreicht, so etwa Mahlers zweite Symphonie, die sogenannte Auferstehungssymphonie. Im ekstatischen letzten Satz des fünfsätzigen Werks heißt es: Sterben werd’ ich, um zu leben! Auferstehen, ja auferstehen wirst du, mein Herz, in einem Nu!

Vorausgegangen ist im vierten Satz die berühmte Vertonung aus Des Knaben Wunderhorn mit dem Titel Das Urlicht. Der Text des Volksliedes ist rührend und einfach zugleich:
O Röschen roth!
Der Mensch liegt in größter Noth,
Der Mensch liegt in größter Pein,
Je lieber möcht ich im Himmel seyn.
Da kam ich auf einen breiten Weg,
Da kam ein Engellein und wollt mich abweisen,
Ach nein, ich ließ mich nicht abweisen.
Ich bin von Gott, ich will wieder zu Gott,
Der liebe Gott wird mir ein Lichtchen geben,
Wird leuchten mir bis in das ewig selig Leben.
Das unauslöschliche Licht weist den Weg. Der Weg führt zum Ursprung des Lebens, zu Gott selbst. Und genauso geschieht die Heilung der kranken Endlichkeit.

Daß diese heilsamen Zusammenhänge keine theoretischen sind, sondern sehr praktisch wirksame, kann man an folgender wahren Begebenheit ersehen, die Johannes Bours erzählt:

Ein Mann liegt krank im Spital. Sein Zustand verschlechtert sich von Tag zu Tag, ohne daß die Ärzte ein Vademecum wüßten, welches aus der Krise, die allmählich lebensbedrohlich wird, hinausführte. In dieser Situation des Siechen geschieht unverhofft die Wende. Jemand schenkt dem Kranken eine Schallplatte mit Vertonungen aus Des Knaben Wunderhorn. Der Sieche, zu schwach, um sich viele Gesänge anzuhören, konzentriert sich letztlich auf ein Lied, Das Urlicht, in Mahlers Vertonung. Und jetzt, jetzt, lösen sich die Tränen. Jetzt, jetzt, beginnt das Aufwärts, die schrittweise Genesung, die tatsächliche Auferstehung.

Leben und Licht. Licht und Leben. Geheimnis und Geschenk der Auferstehung.



Freitag, 21. April 2017

Lumen Christi

Er ist der Sänger der Herrlichkeit.

Nach seinen eigenen Worten schöpfte er »aus den nie versiegenden Quellen der Bibel, des Meßbuchs, der Kirchenväter, der Imitatio Christi (Nachfolge Christi)«.

Und da das Licht des Schöpfungsmorgens für den, der geöffnete Sinne hat, weiterhin leuchtet, findet er die Herrlichkeit des Kosmos überall: In den Steinen, den Bergen, den Sternen, den Regenbögen und auch den Vogelstimmen, die er, als ausgewiesener Ornithologe, in seinem Werk immer wieder zu Wort kommen läßt: etwa die Rotkehlchen oder die Seidensänger oder die Mönchsgrasmücke.

Er ist noch ein Kind, als ihn seine Eltern eines Tages in die Sainte Chapelle in Paris mitnehmen, die wegen ihrer herrlichen Glasfenster weltberühmt ist. Der kleine Olivier ist überwältigt, ergriffen von den Lichtspielen in den Fensterscheiben. Diese Ergriffenheit verläßt Messiaen nie mehr. Und seine Töne sind seine bescheidenen Mittel, die Farben der himmlischen Stadt zu besingen.
»All dies Geblendetsein«, so er, »ist eine große Lektion. Es zeigt uns, daß Gott jenseits von Worten, Gedanken und Konzepten ist (…) Und wenn die musikalische Malerei und die farbige Musik, die Klangfarbe Ihn preisen, überwältigt durch das Licht, stimmen sie in den herrlichen Lobpreis des Gloria ein, der zu Gott und Christus sagt: Du allein bist heilig. Du allein der Höchste.«
Wen könnte es bei soviel Hingerissensein in das unaustrinkbare Licht der göttlichen Geheimnisse noch wundern, daß Olivier Messiaen trunken ist vom Licht des Ostermorgens und also auch von Grünewalds Darstellung des triumphierenden Auferstandenen?
»Was hat Matthias Grünewald gemacht, als er auf seinem Isenheimer Altar die Auferstehung Christi malen wollte? Mein Vater, ich bin auferstanden, ich bin wieder bei Dir! Dieser Triumph- und Freudenschrei ist in dem majestätisch erleuchteten Antlitz, in der dem Flug der Arme und Beine entgegengesetzten Statik der Arme, in den außergewöhnlichen Falten des Leintuchs, im stürmischen Wind und in der Sternennacht, aber er ist vor allem im Regenbogen, im blaugrünen, roten und goldenen Kreis, der von der Gestalt Christi her zu entstehen und dessen Widerschein das ganze Gewand zu durchleuchten scheint. Dieses Licht ist es, von dem Johannes spricht: Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht begriffen.«

Messiaens kontemplative Auferstehungsbegeisterung kann man hören. Zum Beispiel hier: Et expecto resurrectionem mortuorum (1964):

Grafik: wikicommons

Freitag, 14. April 2017

O Dio, pazzo d’amore!

Die hl. Caterina von Siena, Kirchenlehrerin und Patronin Europas, hat eines Tages Jesus gefragt:

Du warst tot, als man Deine Seite öffnete; warum wolltest du geschlagen werden und ein zerbrochenes Herz haben?

Man hatte Ihn gekreuzigt. Sie hatten endlich erreicht, was sie wollten, sie hatten Jesus mundtot gemacht, umgebracht – warum öffnete man dem Toten auch noch das Herz?

Jesus hat der heiligen Catarina die folgende Antwort gegeben:
»Weil meine Sehnsucht nach dem Menschen unendlich war, das tatsächliche Erdulden der Schmerzen und Qualen war jedoch endlich; und durch diese endliche Beschaffenheit konnte ich euch nicht zeigen, mit welch unendlicher Liebe ich euch liebte, denn meine Liebe war unendlich. Darum wollte ich, daß ihr das Geheimnis meines Herzens seht, indem ich es euch offen zeigte, damit ihr sehen solltet, daß ich euch mehr liebte, als es ein endliches Leiden zu zeigen vermag.«
Dieser unendlichen Liebe antwortet schließlich Caterina mit ihrem ekstatischen Ruf: O Dio, pazzo d’amore! (O Du Narr der Liebe!).

Denn diese Liebe ist verrückt. Sie ist ein Abgrund, der nach dem Abgrund der Antwort ruft. Sie sprengt unser Begreifen.

Diese Verrücktheit der Liebe Jesu wahrzunehmen, bedeutet, bei Seinem Herzen angelangt zu sein. Denn dort, in diesem Glutofen, dem Licht über allem Licht, der Schönheit über aller Schönheit, der Weisheit über jeder Weisheit, bekommt man eine Ahnung der Liebe, die bis zum Äußersten geht, wie es im Johannesevangelium heißt (13,1). Dort bekommen wir eine Ahnung davon, was Barmherzigkeit ist. Was der Karfreitag ist.

Freitag, 7. April 2017

Der fünfte Zahn


Mors et vita duello, so heißt es in der dritten Strophe der ehrwürdigen, über 1000 Jahre alten Ostersequenz Victimæ paschalis laudæ: Tod und Leben lagen im Streit.

Damit ist nicht gemeint, wie ein gängiges Cliché meint, daß hier zwei gleichberechtigte Gegner sich duellierend gegenüberstanden: hier Christus, dort der Widersacher. Es gehört vielmehr zur Hybris des Widersachers, überhaupt auch nur zu wähnen, er könne Christus, das Leben, auslöschen.

Ostern zeigt, daß der Widersacher der Besiegte ist, auf immer, und daß seine Zeit, wie es die Apokalypse des heiligen Johannes nennt, nur mehr eine kurze ist: »Weh aber euch, Land und Meer! Denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen, seine Wut ist groß, weil er weiß, daß ihm nur noch eine kurze Frist bleibt« (Offb 12,12).

Man kann das Ostergeschehen vielfach zu verstehen suchen, auch in einer gleichsam medizinischen Weise. Etwa so: Christus, der wahrnimmt, wie tödlich erkrankt die Menschheit in toto ist, stellt sich zur Verfügung, um dieser Menschheit das Antidot für deren tödliche Erkrankung zu erwirken. Er läßt sich den tödlichen Biß der Schlange verabreichen, um daraufhin in Seinem Leib das Heilmittel, die göttlichen Antikörper, zu schaffen.

Der Tod kommt damit an sein Ende. Und mehr noch: Auch der tödlich verwundete Mensch wird nun der Zugang zum Leben neu eröffnet, da er in Christus teilhaben kann am göttlichen Serum.

Michelangelo hat diesen göttlichen Tausch – Christus übernimmt den Tod, damit der Mensch das Leben gewinnt – auf seine Weise dargestellt. Die Pietà (siehe letzten Beitrag) ist ineins Darstellung des toten Christus im Schoß seiner Mutter wie auch Darstellung des Mysteriums der Todesüberwindung.

Ein winziges, jahrhundertelang übersehenes Detail offenbart den unendlichen Sieg Christi. Michelangelo verleiht dem toten Christus einen fünften Schneidezahn. In der christlichen Ikonographie ist diese anatomische Anomalie Zeichen der Sünde. Die Bedeutung entschlüsselt sich danach nahezu von selbst: Sterbend bringt Christus dem Tod den Tod. Der göttliche Sohn nimmt den Tod, den überschüssigen Zahn der Sünde, in sich auf, ER verschlingt wortwörtlich die Sünde und gibt so dem Tod den endgültigen Todesstoß.
Mors et Vita duello
Conflixere mirando;
Dux vitæ mortuus
Regnat vivus.

Tod und Leben rangen
in wundersamem Zweikampf.
Der Fürst des Lebens, gestorben,
herrscht lebend.

Literatur:    Marco Bussagli, I denti di Michelangelo, 2014.