Samstag, 6. Februar 2021

Hildegard von Bingen – Die Geistbegabte

Verehrt wird sie seit Jahrhunderten. Der sensus fidelium hat schon zu Lebzeiten erfaßt, wer diese Frau ist – eine Heilige. Und daß Papst Benedikt XVI. während seiner Amtszeit sie 2012 zur Kirchenlehrerin erhob, war höchst geschuldete Anerkennung der prophetissima teutonica.

Jetzt wurde Hildegard von Bingen offiziell in den Weltkalender der römisch-katholischen Kirche aufgenommen mit dem Gedenktag des 17. September.

Wir nehmen dies zum Anlaß, die große Frau in einer kleinen Serie vorzustellen.

I.

Eine Miniatur aus dem Rupertsberger Codex des Liber Scivias zeigt die heilige Hildegard während des Empfangs einer ihrer Inspirationen (s. Abbildung). Rot, Gold und Braun sind die vorherrschenden Farbe des kleinen Bildes.

Rot: Die Farbe des Heiligen Geistes, die Farbe der Liebe. Dem Pfingstereignis vergleichbar strömen die Beseligungen des Heiligen Geistes in fünf Feuerzungen von oben herab in die empfangsbereiten Augen und Ohren der Visionärin. Und rot gerahmt ist auch die Tafel auf ihrem Schoß, um im Wachs das Feuer der Liebe einzubergen. Und gleichfalls rot ist der Schemel zu Füßen Hildegards, denn der göttliche Gast hüllt sie ein in sein Gewand der Glut, durch und durch.

Die Visionärin, im braunen, erdfarbenen Gewand, ist von der Welt, eingezwängt in ihre irdene Zelle, beengt von den Bedingungen der Sterblichkeit, und doch bricht die rote Farbe machtvoll in diese Enge ein und verklärt Alles, so daß der goldene Glanz der Ewigkeit bereits jetzt die Klosterzelle im Licht erstrahlen läßt.

Und der Schreiber am Bildrand, ihr Sekretär Mönch Volmar, wartet und ist gespannt, um aufzuschreiben, was die Seherin ihm zum Diktat aufträgt.

Die Miniatur aus dem Klosterkodex hält wie in einem Spiegel fest, was das Leben der Hildegard von Bingen prägte: Eine Geistbegabte zu sein, die dem Einbruch der göttlichen Liebe erliegt.