Freitag, 26. April 2019

Der Held

Versteht man das?

Der Herr ist von den Toten auferstanden. Die Kirche besingt dieses Ereignis und diesen Tag mit der Antiphon, die sie nicht müde wird, immer wieder neu anzustimmen: Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat, laßt uns jubeln und seiner uns freuen - 

   

Denn dieser Tag ist der Tag aller Tage. Der Tag, der jedem Tag erst das Gepräge gibt, indem er das ewige Wasserzeichen der Auferstehung der Schöpfung einprägt.

Und der Held dieses Tages ist Jesus Christus.

Nur, was macht dieser Held?

Sagen wir zunächst, was Er nicht macht.

Er stellt sich nicht auf den Tempelvorplatz und ruft: Schaut her! Er stellt sich auch nicht auf den Marktplatz in Jerusalem und macht die große, beeindruckende Demonstration. Er trommelt nicht und schreit nicht.

Nein, der Held des Tages geht zwei verlorenen Seelen nach. Kleopas, so heißt der eine der Beiden, befindet sich mit seinem Gefährten auf dem Weg nach Emmaus. Und beide sind niedergeschlagen, enttäuscht, entmutigt. Ein heutiger Berichterstatter würde vermutlich von Depression sprechen.

Und eben diesen zwei Depressiven geht der Auferstandene nach. Sie sind Ihm wichtig, derart, daß er lange mit ihnen spricht, sie belehrt, sie tröstet, sie nährt.

In seinem irdischen Leben hat sich Jesus als der Gute Hirte bezeichnet (Johannes-Evangelium 10,11). Hier, in der lukanischen Emmauserzählung, strahlt wunderbar einfach auf, was es heißt, der Gute Hirte zu sein. Dem Guten Hirten ist jede einzelne Seele kostbar. Der Gute Hirte ist zwar der Held, aber er schielt nicht nach Art eines Überwältigers nach Applaus und Sensation und großer Show, sondern er ist der Gärtner, der das kleine Samenkorn sieht und hegt und hütet, denn jede Seele ist Ihm unendlich kostbar.

Kleopas heißt der Eine. Und der Andere?

Dienstag, 16. April 2019

Karwoche 2019. Das Menetekel


Kathedrale Notre-Dame de Paris, in Flammen.

Stat crux dum volvitur orbis.
Das Kreuz steht, während der Erdkreis sich dreht.


Grafik: via @princess_redd / Twitter

Freitag, 12. April 2019

et factum est


Wo der deutschsprachige Leser des Evangeliums sich gewohnt hat an Formulierungen wie: Und es geschah…, da stehen im Lateinischen die Worte: Et factum est oder auch: et facta sunt (man lese nur mal etwa das erste Kapitel des Lukas-Evangeliums).

Als Lehnwörter sind diese Begriffe bekannt. Das Faktum benennt eine Tatsache, eine unumstößliche Wirklichkeit. Fakten sind gegeben, Fakten sind da.

Exakt dies will das Neue Testament betonen, wenn es von Jesus berichtet. Die Evangelisten, die Apostel, die Verkünder sind gestandene Augenzeugen, sie berichten nicht über Erfundenes oder über abstruse, verquere Hirngespinste, sondern über felsenfeste Fakten, die überprüfbar sind, die wortwörtlich begreifbar sind, über Tatsachen, an denen nicht zu rütteln ist, da sie nun mal Tatsachen sind. Punkt.

Vor allem der Evangelist Johannes wird nicht müde, seinen Zuhörern dieses Grundlegende immer wieder vor Augen zu führen. Z.B. im ersten seiner Briefe:

»Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefaßt haben, das verkünden wir: das Wort des Lebens. Denn das Leben wurde offenbart; wir haben gesehen und bezeugen und verkünden euch das ewige Leben, das beim Vater war und  uns offenbart wurde. Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt.» (1ff)

Und derselbe Evangelist prägt den Fundamentalsatz der Christologie, die Tatsache aller Tatsachen: Et verbum caro factum est – Und das Wort ist Fleisch geworden.

Es hängt nicht zuletzt mit der Insistenz des Christentums auf den Fakten zusammen, daß das Christentum durch die Jahrhunderte hin zur wohlfeilen Zielscheibe wurde. Wer Fakten benennt, zieht nämlich die klare Trennungslinie zwischen Tatsachen und Nicht-Tatsachen, zwischen Fakten und Fiktionen. Dies ist aber, gerade in der gegenwärtigen Zeit, Stein des Anstoßes schlechthin. Denn die Moderne oder Postmoderne oder Postpostmoderne rühmt sich, endlich jenseits der Fakten angekommen zu sein, im schieren Konstruktivismus – anything goes.

Zwei markante Beispiele unter multiplen anderen: Die Abtreibung und der Genderaberwitz.

Mit der aggressiven Durchsetzung der Abtreibung wurde in den sechziger Jahren die Wirklichkeit zum Nonsens herabgestuft. Gegen jede wissenschaftliche Evidenz und jeden bis dato unangefochtenen Konsens, daß nämlich der Zeitpunkt der Konzeption der Beginn der Schwangerschaft und also der Beginn des menschlichen Lebens ist, wurde nun plötzlich das ungeborene Kind zum bloßen Zellhaufen degradiert. Nicht das Faktum des Lebens in seinem frühesten Stadium zählte, sondern die Ideologie der Machbarkeit und deren faktenresistente Sicht der Dinge.

Fünfzig Jahre später treibt die Verweigerung der Fakten ihre dekadenten späten Blüten. Der Biologie an sich, den nackten organischen Tatsachen, wird nun der Garaus gemacht. Mannsein und Frausein, mit anderen Worten die Grunddaten menschlicher Existenz, sind neuerdings lediglich Konstrukte und folglich Modelliermasse nach Belieben. Chromosomen - beliebig. Neurologische Befunde - irrelevant. Zellulare Eindeutigkeiten - belanglos. Ein Irrsinn, zweifelsohne, aber dieser Irrsinn hat Methode und bringt es mittlerweile landauf landab zu hochdotierten und subventionierten Lehrstühlen.

Da ist es reine, kristallklare Luft, in die Welt der Evangelien und der neutestamentlichen Schriften insgesamt einzutreten. Es ist der Sauerstoff der taghellen Tatsachen. Und dieses Elixier ist dringender denn je benötigt – um widerständig zu sein, wenn die Welt ringsum den Nebel und das Närrische als die alleinseligmachende Droge verkauft.

Wie herrlich, wie einfach, wie wirklich:

»Denn wir sind nicht klug ausgedachten Geschichten gefolgt, als wir euch die machtvolle Ankunft unseres Herrn Jesus Christus kundtaten, sondern wir waren Augenzeugen Seiner Macht und Größe.« (2. Petrusbrief 1, 16)

Grafik: Photo by Robert Nyman on Unsplash

Samstag, 6. April 2019

Non consuetudo sed veritas


Vielleicht ist der Mann vierzig oder fünfzig oder älter. Weiß man nicht. Was man jedoch weiß, ist, daß er seit 38 Jahren krank ist, schwer krank. Und seit 38 Jahren wartet er auf Heilung.

An diesen Mann stellt der berühmte Arzt, der um die lange Krankheit des Darniederliegenden weiß, die Frage: Willst du gesund werden?

Soll das ein Witz sein? Der Mann ist ein Langzeitkranker. Der sieht seit 38 Jahren andere herumrennen und arbeiten und Feste feiern. Und ausgerechnet diesen Kranken fragt der berühmte Arzt: Willst du gesund werden?

Es ist kein Witz. Denn das Evangelium nach Johannes erzählt keine Witze, sondern wahre Geschichten. Und diese Geschichte steht zu Beginn des fünften Kapitels des Evangeliums.

Was also meint der Arzt Jesus, wenn er ernsthaft diese Frage stellt?

Läßt man die Frage wirken, so enthüllt sich das Gemeinte und damit die Berechtigung der Frage. Denn tatsächlich hat der Kranke genau dies zu wissen: Ob er wirklich gesund werden will. Wirklich.

Man denke sich einen alten Raucher, der seit fünfzig Jahren einen Glimmstengel nach dem anderen sich anzündet, der ein Lungenkarzinom hat und der gefragt wird, ob er gesund werden will. Ja, wird er vermutlich antworten. Wenn man ihn anschließend auffordert, die gehorteten Glimmstengel in den Abfallkübel zu werfen, wird er vermutlich entgegnen, das sei in der Bitte um Gesundung nicht eingeschlossen gewesen.

Das Beispiel zeigt, worum es geht.

Da der Mensch nicht nur Leib ist, sondern zugleich Seele und Geist, ist Gesundung kein partielles Geschehen, sondern ein ganzheitliches. Die tiefsten Krankheitsprozesse liegen freilich nicht im Leib, sondern im Geist. Und die geistigen Pathologien werden oft genug nicht erkannt, geschweige denn beim Namen genannt. Dies hängt damit zusammen, daß die Gewohnheit Rechte für sich reklamiert, gerade auch die kranke Gewohnheit. Und schließlich hält man die Gewohnheit, wenn sie nur durch die Zeit und das gesellschaftliche Komplizentum ausreichend zementiert worden ist, für eine berechtigte Gewohnheit, sprich für eine Wahrheit. Nur, wie bereits Tertullian feststellte, hat Christus nicht gesagt: Ich bin die Gewohnheit, sondern: Ich bin die Wahrheit (non consuetudo sed veritas).

Eine noch so tief verwurzelte Gewohnheit ist, wenn sie das Leben mindert oder schädigt oder zerstört, nicht als vermeintliche Wahrheit zu hätscheln, sondern zu verwerfen. Wer jedoch will das? Wirklich.

Was, wenn nach 38 Jahren ein Gedankengebäude, an welches man sich seit 38 Jahren klammert und welches man für eine Art zweite Haut nimmt, durch die Gesundung einstürzt? Will man das?

Denn die Frage: Willst du gesund werden? ist die Frage danach, ob man zu dem eindeutigen, tiefen, unverwechselbaren Ja kommen will, das jedes Leben erst zu dem macht, was es von Hause aus ist: LEBEN. Sagt man JA zu seinem Leben? Oder hält man, zumeist sehr subkutan, die Aber bereit und die Dementis und die Widersprüche, die im Letzten allesamt nein zum Leben sagen und damit das Leben schleichend vergiften?

Ja oder nein sind keine theoretischen Konstrukte. Da Ja ist sehr pragmatisch, das Nein gleichfalls. Denn beide Haltungen haben Konsequenzen. Paulus sagt es in aller gebotenen Eindringlichkeit:

Denn Gottes Sohn Jesus Christus, der euch durch uns verkündigt wurde - durch mich, Silvanus und Timotheus -, ist nicht als Ja und Nein zugleich gekommen; in ihm ist das Ja verwirklicht. Er ist das Ja zu allem, was Gott verheißen hat. Darum rufen wir durch ihn zu Gottes Lobpreis auch das Amen (2 Kor 1,20).

Antworte ich auf die Frage Jesu mit Ja, dann entscheide ich mich damit für die Zustimmung zur Welt. Ich bin einverstanden. Einverstanden mit der Fundamentaltatsache, daß es Welt und also mich gibt. Und mehr noch: Damit, daß mein Leben kostbar ist. Immer.

Will ich diese Gesundheit? Das Ja zur Kostbarkeit meines Lebens?

Wenn ja, dann bin ich dort angekommen, wo der göttliche Arzt mich hinführen will: Zu dem Einverständnis, welches eine Form der Anbetung ist.

Darum auch setzt sich die Geschichte des Geheilten, die das Johannesevangelium erzählt, aus zwei Begegnungen zwischen dem Arzt und dem Patienten zusammen. Bei der zweiten Begegnung, nach der Heilung, sagt Jesus zu dem Geheilten: Jetzt bist du gesund; sündige nicht mehr, damit dir nicht noch Schlimmeres zustößt.

Die Begegnung findet bezeichnenderweise im Tempel statt, also dort, wo Gott gepriesen wird. Und jetzt erfährt der Geheilte den Namen des Arztes. Dieser Name – Jesus - bedeutet übersetzt: Gott rettet, Gott heilt. Mit anderen Worten: Im Tempel, an der Gottesstätte, wird dem ehemals Kranken offenbart, daß in dem Arzt Gott selbst auf ihn zugekommen ist, um ihn gesund zu machen. Der Spender des Lebens hat ihn heil gemacht. Und dort, im Tempel, wird die Heilung bezeugt und besungen, denn im Gotteshaus ist das Ja zum Leben grundgelegt.

Und die Geschichte geht noch weiter. Offenbar hat der Geheilte das Wesen seiner Heilung verstanden, denn es heißt: Der Mann ging fort und teilte den Juden mit, daß es Jesus war, der ihn gesund gemacht hatte. Er weiß nun erstens um den Urheber seines wirklichen Lebens, und er weiß zweitens, daß er dieses Leben zu bezeugen hat. Denn das Leben, das wirkliche, will bezeugt sein.

Grafik: Pieter Aertsen, Heilung des Gelähmten von Bethesda. 1575, Rijksmuseum Amsterdam. wikicommons