Donnerstag, 27. Oktober 2016

Widerstand III – Hl. Johannes Paul II.

Ein guter Freund von mir, der seit Jahren im Lebensschutz tätig ist, sagte mir einst: »Die Intellektuellen, die kann man im Lebensschutz vergessen.«

Naturgemäß ist mit dieser Schelte über das Ziel hinausgeschossen. Aber der Stachel bleibt, denn besagter Freund spricht aus reichlicher Erfahrung. Wie oft mußte er es erleben, daß die von ihm so titulierten Intellektuellen gerade im Lebensschutz obergescheit daherredeten und obergescheite Vorschläge und Kritiken lancierten. Nur: Wenn es darauf ankam, auch nur den kleinsten pragmatischen Finger zu rühren, damit der Lebenschutz prosperiere, dann waren die neunmalklugen Debattierer plötzlich auf den Bahamas oder untergetaucht oder mit Migräne auf der Isolierstation.

Nun gibt es Gott sei Dank den heuer heiliggesprochenen Papst Johannes Paul II., dem man gewiß die intellektuellen Gaben nicht absprechen kann. Und eben dieser Papst rührte mehr als einen Finger im Lebensschutz. Und er war es schließlich auch, der in seiner großen, 1995 promulgierten Enzyklika Evangelium vitae, die man zurecht als Magna Charta des Lebensschutzes bezeichnet hat, die klare Tat forderte.

Unverbindlichkeit oder gar Quietismus hat Johannes Paul II. den Boden entzogen, wenn das zur Debatte steht, was sein Nachfolger auf dem Papststuhl, Benedikt XVI., die »unverhandelbaren Werte« nannte. Und der Lebensschutz ist unverhandelbar. Und gerade deswegen ist er genaugenommen kein Wert, sondern die Grundlage. Im Bild gesprochen die Primärfarbe, die durch keine noch so raffinierten Tricks retuschiert, unkenntlich gemacht oder ersetzt werden kann.

Wer es schwarz auf weiß haben will, wie JP II das verantwortungs- und fruchtlose Diskutieren vom Tisch wischt und zur Entscheidung verpflichtet, wohlgemerkt verpflichtet, der lese den unmißver-ständlichen Beginn von Paragraph 73 der Enzyklika vom Evangelium des Lebens. Dort heißt es:
»Abtreibung und Euthanasie sind also Verbrechen, die für rechtmäßig zu erklären, sich kein menschliches Gesetz anmaßen kann. Gesetze dieser Art rufen nicht nur keine Verpflichtung für das Gewissen hervor, sondern erheben vielmehr die schwere und klare Verpflichtung, sich ihnen mit Hilfe des Einspruchs aus Gewissensgründen zu widersetzen.«
(Hervorhebung von JP II)
Zu widersetzen!

Grafik:   wikicommons, Karol Wojtyla-1st comunnion.jpg; www.catholiclane.com/blessed-jp-ii-and-the-culture-of-life

Mittwoch, 19. Oktober 2016

Widerstand II – Maria

O dulcis virgo Maria. O süße Jungfrau Maria. So heißt es im Salve Regina. Und etliche Jahrhunderte später singt Novalis: Ich sehe dich in tausend Bildern, Maria, lieblich ausgedrückt.

Maria, die Liebliche. Maria, die Süße. Das stimmt. Denn jeder, der sich der Muttergottes nähert, wird es bestätigen können.

Aber ein jeder, der Maria wahrhaft kennenlernen will, wird auch die Seite in Maria entdecken, von der heutzutage weniger gesungen wird. Wir meinen: Maria, die Kämpferin. Oder, wie es Papst Pius XII. ausdrückte: Maria, die Siegerin in allen Schlachten Gottes.

Wie könnte es auch anders sein. Denn da Maria stets auch Bild der Kirche ist, ist sie logischerweise auch Bild der streitenden Kirche, d. h. der Kirche, die hier auf Erden den geistlichen Kampf zu bestehen hat. Und das ist ein durch und durch biblischer Befund. Schließlich verzeichnet die Heilige Schrift bereits im Buch Genesis und also auf den ersten Seiten der Bibel – nach dem Sündenfall – diese markante Verheißung:

»Da sprach Gott, der HERR, zur Schlange: Weil du das getan hast, bist du verflucht unter allem Vieh und allen Tieren des Feldes. Auf dem Bauch sollst du kriechen und Staub fressen alle Tage deines Lebens. Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. ER wird dir den Kopf zertreten …« (Gen 3,14 f)

Die Überlieferung hat diesen Text als Protoevangelium bezeichnet und in der »Frau« die Vorankündigung der Gottesmutter Maria gesehen, weil sie diejenige ist, die durch ihr Jawort zur Menschwerdung Christi am Erlösungswerk mitwirkt, nämlich die Schlange, welche auch Satan heißt, am Kreuz endgültig zu besiegen. Ipsa conteret: Sie, Maria, zertritt. Sie ist die Schlangenzertreterin. Kein Wunder daher, daß sie auf etlichen Abbildungen die teuflische Schlange besiegt unter ihren Füßen hat.

Maria, die nur Süße, ist in dieser Ausschließlichkeit eine theologische Verkürzung. Maria ist immer auch die, die jeder Sünde, Unwahrheit, Verfälschung – kurz: jeder Verneinung des Lebens – den erbittersten Widerstand entgegensetzt. Widerstand auch dann, wenn es darum geht, den wahren Glauben zu verteidigen.

In einer französischen Marien-Enzyklopädie (Maria, études sur la Sainte Vierge, 7 vol., Paris, Beauchesne, 1949–1964, hier Bd. IV, 1956, 695) findet sich bezeichnenderweise folgende Geschichte:
Polen 1621 – Am Vorabend der Schlacht von Chocim und wenige Tage nach der schrecklichen Niederlage von Cecora, verbrachte der Oberbefehlshaber Stanislas Lubomirski die Nacht vor dem Kampf in einer früher in Polen sehr beliebten Bußhaltung: kniend, die Arme gekreuzt, im Gebet.

Nach einer Nacht glühender Gebete hatte er folgende Erleuchtung, von der er glaubte, daß sie direkt von unserer Lieben Frau kam, und die sich mit einem einfachen Aufruf zusammenfassen läßt: »Leiste Widerstand, koste es, was es wolle«.

Am darauffolgenden Tag brach er die Unterhandlungen mit den Türken ab und trug einen glänzenden Sieg davon, den das polnische Volk jedes Jahr am 10. Oktober feiert.

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Widerstand I – Ester

Was tun, wenn das Leben auf dem Spiel steht?

Das biblische Buch des Alten Testaments, welches den Namen Ester trägt, erzählt von der lebensbedrohlichen Situation, in die das jüdische Volk in Persien gerät. Haman, der mächtige Wesir im persischen Reich, will die gesamte jüdische Bevölkerung ausrotten. Der Plan ist bereits geschmiedet, die entsprechenden Maßnahmen getroffen, der vom König unterschriebene diesbezügliche Erlaß an sämtliche Provinzen ausgehändigt.

In dieser, wie es scheint, ausweglosen Lage richtet Mordechai, der mit anderen Stammesgenossen aus Jerusalem nach Persien verschleppt wurde, an Ester, deren Vormund er ist, eine unmißverständliche Botschaft.

Dazu muß man wissen: Ester lebt in den schönsten Räumen des sogenannten Frauenpalastes, im königlichen Prunkbau, denn Artaxerxes, der herrschende König, ist von ihrer Anmut und Schönheit äußerst angetan, erwählt sie schließlich zur Königin, weiß freilich nicht, daß sie eine gebürtige Jüdin ist.

Als Ester durch ihre Dienerinnen und Kämmerer erfährt, daß ihr Volk in großer Trauer ist, daß es klagt, weint und fastet, schickt sie Mordechai Gewänder, damit er, wie es heißt, »sich bekleiden und das Trauergewand ablegen könne«. Doch Mordechai verweigert diesen Tausch.

Daraufhin will Ester Genaueres wissen und schickt ihren Diener mit der Bitte um Auskunft zu Mordechai. Dieser läßt ihr den mörderischen Erlaß überbringen und zusätzlich ausrichten, daß sie, Ester, zum König gehen und inständig für ihr Volk um Gnade bitten soll.

Wie reagiert nun die Ziehtochter?

Ester antwortet, daß sie nicht nach eigenem Gutdünken zum König gehen könne, nur dann, wenn der König ausdrücklichen Befehl erteile, dürfe man sich ihm nahen. Wer ungerufen in den inneren Hof des Königs vordringe, sei des Todes.

Doch nun geschieht das Außergewöhnliche: Mordechai nimmt die Absage Esters, die scheinbar unantastbar und unwiderlegbar ist, nicht an. Er läßt ihr mitteilen: »Glaub ja nicht, weil du im Königspalast lebst, könntest du dich als einzige von allen Juden retten. Wenn du in diesen Tagen schweigst, dann wird den Juden anderswoher Hilfe und Rettung kommen. Du aber und das Haus deines Vaters werden untergehen.«

Dies ist die Lektion, die ein jeder, auch Ester, zu lernen hat: Wenn es um das Leben geht, um das Geschenk des Lebens, wenn dieses Geschenk bedroht ist, wenn es sprichwörtlich um Leben oder Tod geht, dann gilt kein Rückzug, kein vornehmes Schweigen, kein Abstandnehmen. Dann gilt nicht länger das Gewöhnliche, sondern das Außer-Gewöhnliche. Dann gilt der Widerstand. Denn man darf nicht schweigen, wenn das Leben auf dem Spiel steht.

Und Ester versteht auf der Stelle. Sie übernimmt die Aufgabe, die allein ihr zusteht. Sie geht zum König, auch auf die Gefahr hin, in tödliche Ungnade zu fallen.

Aber auch dies gilt: Der Widerstand ist nur dann recht, wenn er ein durchbeteter ist. Ester ist nicht die Tollkühne, die Verwegene. Im Gegenteil: Sie ist die, die versteht und also einsieht, daß der Kampf ein geistlicher ist und also mit geistlichen Mitteln geführt wird: Ester betet, fastet, tut Buße, ruft zur Fürbitte auf.

Am Ende steht die Rettung des jüdischen Volkes. Das ist keine billige Gnade. Das ist die eherne geistliche Botschaft der Heiligen Schrift. Wer das Leben verteidigt, geht nicht zugrunde. Denn Gott, der Herr des Lebens, kämpft für ihn.

Grafik:   wikicommons / Radbod Commandeur (1890–1955); photo by Deror avi

Mittwoch, 5. Oktober 2016

Das Leben feiern

In der Enzyklika Evangelium vitae (1995) schreibt Johannes Paul II.:
»Das Evangelium vom Leben feiern heißt: den Gott des Lebens, den Gott, der das Leben schenkt, feiern (Nr. 84).«

Das Leben feiern? – Ja, der Papst meint genau das!

Natürlich weiß auch der Papst, daß es vieles in unserem Alltag gibt, welches die Feier des Lebens verblassen, wenn nicht sogar vergessen machen könnte. Und doch betont der Papst unbeirrt dieses Feiern. Warum? Weil das Leben unverlierbar göttliches Geschenk ist: »Wir müssen das ewige Leben feiern, von dem jedes andere Leben herrührt. (…) Dieses göttliche Leben, das über jedem Leben steht, belebt und bewahrt das Leben.«

Vielleicht denkt jetzt einer: Na ja, das ist halt pastorale Rede, fromme Sonntagspredigt.

Tatsächlich?

Man sollte dann mal wieder den großen Dichtern zuhören. Den Sängern des Lebens. Zum Beispiel Goethe. Der Olympier, wie man ihn gerne verklärend auf den hohen Sockel stellte, hat den gar nicht olympischen, sondern sehr menschlichen Schmerz zur Genüge gekannt. Man denke nur an das Motto zur späten Marienbader Elegie (1823), welches er seinem klassichen Tasso (1790) entnahm und welches da lautet:

Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide.

Doch derselbe Goethe, und das kennzeichnet ihn, preist unverdrossen das Leben: im Schmerz wie im Jubel, im Ausatmen wie im Einatmen, im Herbst wie im Winter. Unvergeßlich, unter vielen, diese seine kristallenen Zeilen:

Ist’s möglich, daß ich, Liebchen, dich kose,
Vernehme der göttlichen Stimme Schall!
Unmöglich scheint immer die Rose,
Unbegreiflich die Nachtigall.

Goethe, Westöstlicher Divan

Grafik:   Johannes Westermann / pixelio.de