Freitag, 31. März 2017

Der Marmorstaub

Wer kennt sie nicht?

In Stein gemeißelt in neunmonatiger Arbeit von einem gerade mal Mittzwanziger: Michelangelos erste Pietà, die ihren Platz im Petersdom zu Rom gefunden hat.

Die Legende berichtet Folgendes: Eines Tages habe Michelangelo mitbekommen, wie Betrachter der Pietà dieses überragende Werk einem anderen Künstler zuschrieben. Daraufhin sei Michelangelo des Nachts in den Petersdom und habe, ausgestattet mit Laterne und Meißel, nachträglich das berühmte Schriftband gemeißelt, welches schärpengleich die Brust der Madonna ziert und mit einer Signatur den wahren Urheber des Werks angibt.

Doch die Legende berichtet noch etwas. Eine Nonne habe den nächtlich arbeitenden Michelangelo bei eben dieser Arbeit entdeckt. Die Ordensschwester sei zunächst erschrocken gewesen. Wer ist dieser Fremde in der Kapelle? Aber bald erkennt die Schwester, daß es der Künstler selbst ist, der dort, am Altar der Seitenkapelle, letzte Hand an sein Werk legt.

Die Nonne drückt dem Künstler ihre Bewunderung aus und bittet schließlich Michelangelo, etwas von dem Marmorstaub mitnehmen zu dürfen, der beim Meißeln auf den Leib des Herrn niedergerieselt ist. Michelangelo ist einverstanden. Und mehr als das. Er ist getroffen. Er gibt der Nonne von dem Staub …

Vielleicht sagen solche kleinen Geschichten mehr als riesige Abhandlungen darüber aus, was Kunst tatsächlich ist, wenn sie ihrer Aufgabe gerecht wird. Sie ist splendor veritatis, Glanz der Wahrheit. Und da die Wahrheit ineins geht mit dem Guten und dem Schönen, ist große Kunst zugleich Glanz der Schönheit und Güte. Dieser Glanz zeigt sich, noch bei nächtlichem Licht.

Die Bewunderung der Ordensschwester für die Pietà berührt. Ihr genügen letztlich ein paar Partikel Staubs. Gleichsam die künstlerischen Reliquien, in denen mikroskopisch winzig ein symbolischer Abglanz des großen Glanzes sich spiegelt.

Die sogenannten aufgeklärten Zeitgenossen mögen diese rührende Devotion belächeln. Aber da ist nichts Ridiküles. Wohl aber kommt in der Sehnsucht der Nonne die tiefe Sehnsucht des Menschen nach dem Schönen zum Ausdruck, selbst wenn diese Sehnsucht sich mit Winzigkeiten begnügen muß, diese Sehnsucht, die Jahrhunderte später Dostojewski sagen läßt, daß die Schönheit die Welt retten wird.

Die Moderne oder auch Postmoderne oder auch Postpostmoderne trumpft auf mit dem Häßlichen, das sich unverstellt als das Dominierende aufbläht, dabei meist liiert mit den Epiphänomenen des Lauten, des Obszönen und des Schrillen.

Das Schöne ist anders. Es bedarf nicht der Sensation, auch nicht der Publicity oder der lauten Marketingstrategien. Es ist diskret. Es ist im Marmorstaub, der über sich hinausweist. Es ist im Werk, das über sich hinausweist. Wer es fassen kann, wird es fassen. Und jeder, der diesem Schönen begegnet, geht als ein Verwandelter weiter.

Aber zur Wahrnehmung dieses Schönen gehört, daß wir unsere Augen reinigen lassen.

Die Madonna der römischen Pietà kann uns dabei helfen. Denn die beste Schule der Reinheit ist die marianische. Diese Reinheit ist ewig jung. Darum auch ist Marias Antlitz in Michelangelos Pietà das ewig junge der Immaculata.

Donnerstag, 23. März 2017

Hymne an das Leben

von Mutter Teresa

Das Leben ist eine Chance – nutze sie.
Das Leben ist Schönheit – bewundere sie.
Das Leben ist Glückseligkeit – koste sie.
Das Leben ist ein Traum – mach ihn wahr.
Das Leben ist eine Herausforderung – nimm sie an.
Das Leben ist eine Pflicht – erfülle sie.
Das Leben ist ein Spiel – spiele es.
Das Leben ist kostbar – behüte es.
Das Leben ist Reichtum – bewahre ihn.
Das Leben ist Liebe – gib dich ihr hin.
Das Leben ist ein Geheimnis – entdecke es.
Das Leben ist ein Versprechen – vollende es.
Das Leben ist Traurigkeit – überwinde sie.
Das Leben ist ein Lied – singe es.
Das Leben ist ein Kampf – kämpfe ihn.
Das Leben ist ein Abenteuer – wage es.
Das Leben ist Glück – verdiene es.
Das Leben ist das Leben – verteidige es.

Grafik:    https://unsplash.com/@ajoreilly

Donnerstag, 16. März 2017

»Wähle also das Leben!«

Wer ein bißchen bibelfest ist, weiß, daß dieser Imperativ gleichsam das Testament des Moses ist, welches er seinem Volk eindringlich ans Herz legt, bevor dieses ins Gelobte Land einzieht.

Ausführlicher heißt es:
»Hiermit lege ich dir heute das Leben und das Glück, den Tod und das Unglück vor. Wenn du auf die Gebote des Herrn, deines Gottes, auf die ich dich heute verpflichte, hörst, indem du den Herrn, deinen Gott, liebst, auf seinen Wegen gehst und auf seine Gebote, Gesetze und Rechtsvorschriften achtest, dann wirst du leben und zahlreich werden und der Herr, dein Gott, wird dich in dem Land, in das du hineinziehst, um es in Besitz zu nehmen, segnen. Wenn du aber dein Herz abwendest und nicht hörst, wenn du dich verführen läßt, dich vor anderen Göttern niederwirfst und ihnen dienst - heute erkläre ich euch: Dann werdet ihr ausgetilgt werden; ihr werdet nicht lange in dem Land leben, in das du jetzt über den Jordan hinüberziehst, um hineinzuziehen und es in Besitz zu nehmen. Den Himmel und die Erde rufe ich heute als Zeugen gegen euch an. Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen. Liebe den Herrn, deinen Gott, hör auf seine Stimme und halte dich an ihm fest; denn er ist dein Leben.«
(Deuteronomium 30,15–20)
»Wähle also das Leben!« Dieser Imperativ ist so etwas wie ein roter Faden in der gesamten Heiligen Schrift. Denn wer das Leben wählt, der wählt Gott. Schließlich ist Gott der Schöpfer des Lebens, und schließlich sagt Jesus im Neuen Testament in einer seiner berühmten ICH-BIN-Worte: »Ich bin das Leben.«

Davon ausgehend, läßt sich sagen: Die fundamentale Berufung eines jeden Menschen ist exakt das: Zu leben. Die erste Berufung ist nicht, Arzt zu sein oder Schauspieler oder Vater oder Dompteur oder Zuckerbäcker, sondern vielmehr ganz ursprünglich und ganz nackt: Zu leben. Und diese Berufung verbindet uns alle.

Man sollte meinen: Logisch! Denn alles andere ergibt sich ja daraus. Zu lieben (welch’ hehre Berufung) ist nur möglich, wenn derjenige, der da liebt, das Grundlegende tut: Die Tatsache anzunehmen, daß er am Leben ist und daß dieses sein Leben lebenswert und also kostbar ist.

Wenn man das einmal gründlich verstanden hat, und die Betonung liegt auf gründlich, dann versteht man mehr über die Misere der Jetztzeit.

Denn unser Heute ist geradezu davon gebrandmarkt, daß diese erste Berufung vergessen oder ignoriert oder bei Seite geschoben oder lächerlich gemacht oder mit Füßen getreten oder schlicht und ergreifend für null und nichtig erklärt wird. Die vielbeschworene bioethische Debatte gäbe es nicht, wenn wir die erste Berufung beherzigen würden.

Fragen Sie mal in einer gemütlichen Runde, was ein jeder für seine erste Berufung hält? Sie werden erstaunt sein, welche Antworten Ihnen präsentiert werden. Und man kann nahezu die Wette eingehen, daß niemand sagen wird: Ich will leben, das ist meine erste Berufung.

Oder: Was meinen Sie, warum in einer x-beliebigen europäischen Stadt die Mehrheit der Heranwachsenden stundenlang im Internet verbringt oder sich mehr und mehr daran gewöhnt, den Cannabis-Joint zu rauchen? Weil Surfen und Rauchen so spannend ist? – O nein, das ist nicht der Grund. Es ist weitaus ernster. Die erste Berufung, nämlich zu leben, diese Grundlage von allem ist schwer verwundet, und schwere Verwundungen tun weh und also flieht man sie. Und darüberhinaus, man hat die wunderbare erste Berufung vermutlich nie wirklich gelernt.
Früher wurde einem im humanistischen Gymnasium die profunde Weisheit vermittelt: Non scholae, sed vitae discimus (Nicht für die Schule, sondern für’s Leben lernen wir). Das Leben, darum ging’s.

Und heute?

Heute locken die virtuellen Welten. Ein Klick genügt. Und schon stirbt man im künstlichen Paradies, während das schöne, eigene Leben darauf wartet, gewählt zu werden.

Grafik:    https://unsplash.com/@slavromanov

Freitag, 10. März 2017

David oder das beschädigte Leben

1504, September. Nach zwei Jahren hartnäckiger, leidenschaftlicher Arbeit ist es soweit. Vor den Augen der staunenden Menge erstrahlt das Kunstwerk, welches, laut einem Zeitgenossen, selbst alle antiken Meisterwerke übertrumpft: Der David des Michelangelo Buonarroti.

Der Künstler ist gerade mal 29 Jahre alt. In Florenz, seiner Heimatstadt, ist er spätestens seit diesem Zeitpunkt eine Berühmtheit. Die über fünf Meter große Statue trägt maßgeblich dazu bei, daß der Name Michelangelo fortan in der Welt der Renaissance einen mächtigen, prachtvollen Klang hat.

Dabei ist das Geschick des David, der in makelloser Schönheit seine souveräne fortezza offenbart, keinesfalls so geradlinig verlaufen, wie man vermuten könnte.

Als Michelangelo den mehrere Tonnen schweren Marmorblock zu bearbeiten beginnt, erhebt sich vor ihm ein beschädigter Stein, an dem bereits zwei Künstler gescheitert sind. Wer will sich an diesem ramponierten Marmor abmühen? Der Stein gilt seit langen Jahren als unbrauchbar, ruiniert, verhauen.

Doch Michelangelo, dem man später den Beinamen der Göttliche geben wird, läßt sich nicht beirren. Er sieht im Stein das zukünftige Meisterwerk. Ja, im Stein verborgen ruht bereits das makellose Bild, welches der Künstler unter seinen Meißelschlägen zum Vorschein bringt. Durch die Wegnahme geschieht die Vollkommenheit, denn der Wegnahme, wie ein Theologe es ausdrückte, folgt die Liebe immer.

Und ist nicht dies ein tiefes Gleichnis für unser aller Leben? Nicht die Tatsache, daß ein Leben beschädigt ist, ist ausschlaggebend. Wesentlich vielmehr ist die Geduld und Beharrlichkeit und Zuversicht des je Einzelnen, den Meißelschlägen des großen göttlichen Bildhauers nicht auszuweichen. Denn in den Augen Gottes zählt das concetto, welches unter noch so vielen entstellenden Schichten tief innen in unserer vita ruht, selbst dann, wenn dieses verborgene Bild nur mehr als verglimmender Docht scheint.

Die Wegnahme schmerzt oft genug, vielleicht heute mehr denn je, da uns doch unablässig eingeredet wird, daß das Zunehmen, in welcher Art auch immer, das Entscheidende sei. Während doch weiterhin das zitternde Ich im Inneren darauf wartet, das Licht der Welt zu erblicken, denn für dieses offenbarende Licht ist es erschaffen.

Wie sagte es ein Künstler unserer Zeit, der mit seinem Flugzeug irgendwann in das Unbekannte aufbrach:
»Vollkommenheit entsteht offensichtlich nicht dann, wenn man nichts mehr hinzuzufügen hat, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann.«   (Antoine de Saint-Exupéry)

Grafik:   Von Jörg Bittner Unna – Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=56633987

Freitag, 3. März 2017

»Vor Gott war ich nicht Jane Roe.«

Sie ist ein veritables Zeichen der Zeit. An ihrem Leben wird sichtbar, was Abtreibung und was die Abtreibungsgegenwelt ist. Aber an ihr wird auch sichtbar, daß die Abtreibung, ohne jeden Zweifel, einmal ein Ende hat.

Unter dem Decknamen Jane Roe wird Norma McCorvey eine traurige Berühmtheit. Denn das infame Urteil Roe versus Wade, das 1973 in die Annalen der amerikanischen Gesetzgebung eingeht, da dieses Urteil die sogenannte Legalisierung der Abtreibung in den USA begründet und im weiteren den Startschuß abgibt für die sukzessiven Abtreibungsgesetze in den europäischen Ländern, dieses infame Urteil hängt wie eine Klette an Norma McCorvey. Sie ist die Klägerin im Abtreibungsprozeß, sie ist der Präzedenzfall, der Abtreibung schließlich juristisch festschreibt.

Aber was die wenigsten wissen: Norma ist von Anfang an die instrumentalisierte, mißbrauchte Person zweier Abtreibungsanwältinnen. Um das strikte Abtreibungsgesetz in den Vereinigten Staaten zu kippen, braucht es ein tumbes, willfähriges Opfer – Norma. Sie wird systematisch für ihre Jane-Roe-Rolle präpariert. Die tatsächliche Norma ist nie von Belang. Kein Wunder, daß McCorvey Jahre später in ihrer Autobiographie unverhüllt davon spricht, lediglich benutzt worden zu sein.

In dieser Autobiographie, Won by Love, kommt alles ans Licht: Die Lügen der Abtreibungsindustrie, das desaströse Leben Normas, ihre abusiven Beziehungen, das permanente Mißbrauchtwerden.

Nach Roe vs. Wade arbeitet sie, gleichsam das Poster-Girl der Abtreibungsszene, in einer Abtreibungsklinik. Nur: Die Realität ist weit davon entfernt, glamourös zu sein. Mehr und mehr versinkt Norma in Drogen und Alkohol, denn das Geschäft mit dem Tod ist anders nicht zu ertragen.

Ihre wortwörtliche Konversion – weg vom Tod hin zum Leben – verdankt sie Lebenschützern, die vor der Abtreibungsstätte, in der sie arbeitet, ihren Dienst tun. Emily, die kleine Tochter eines der Lebenschützer, bringt Normas Herz zum Schmelzen. Im Antlitz des Kindes, in dessen liebevoller unverdienter Zuwendung, scheint das Wunder der menschlichen Person auf. Und eines Tages, in einer überwältigenden blitzhaften Erleuchtung, sieht sie Emily schrecklich entstellt: »Ich sah Emily nicht als das kleine Kind, sondern als winziges, abgetriebenes Baby (…).« Sich Rechenschaft gebend über den außergewöhnlichen Vorgang, kommt sie zu dem Schluß: »Es war das erste Mal, daß die Abtreibung für mich ein Gesicht bekam.«

Von da ist es nur mehr ein kurzer Übergang zu der augenöffnenden Wahrheit, die ihr das verschafft, was sie »meine vollständige pro-life-Bekehrung« nennt, indem sie unretuschiert das reale Gepräge der Abtreibungsgegenwelt, »die schreckliche Realität« wahrnimmt:
»Es war so, als ob Binden von meinen Augen abfallen würden, und plötzlich erkannte ich die Wahrheit. Es ist ein Baby! Ich war niedergeschmettert. Es ging mir so schlecht, daß ich am liebsten davongerannt wäre (…) Ich hatte der schrecklichen Realität ins Auge zu schauen. Abtreibung hatte nichts mit ›Gewebeklumpen‹ zu tun, nichts mit ›ausgebliebenen Blutungen‹. Es ging um Kinder, die im Schoß ihrer Mütter getötet wurden.«
Won by love. Die Liebe der kleinen Emily siegt.

Norma wird schließlich Christin und läßt sich taufen. Wenige Jahre später will sie in die katholische Kirche aufgenommen werden. Father Pavone, der Direktor von Priests for Life, nimmt sie auf. Sie ist angekommen. Sie weiß, daß sie zuhause ist. Sie weiß, daß sie vor Gott nie Jane Roe war.

Und aus Norma wird die Lebenschützerin, welche die ganzen letzten Jahre ihres Lebens – betend vor Abtreibungskliniken, als Rednerin auf Kongressen, als Buchautorin und unermüdliche Verbreiterin der Botschaft des Lebens – einer einzigen Aufgabe widmet: dem Kampf, daß das furchtbare Unrecht, welches den Namen Roe v. Wade trägt, aus der Welt geschafft wird.

Heuer, am 18. Februar 2017, ist Norma McCorvey endgültig heimgegangen. Requiescat in pace!