Freitag, 25. Januar 2019

Paulus oder die junge Gnade


Als Saulus vor Damaskus, getroffen vom göttlichen Licht, zu Boden stürzt, dürfte er um die dreißig Jahre alt gewesen sein.

In Michelangelos berühmtem Bild dieses Ereignisses (zu sehen in der Cappella Paolina in Rom), ist der zukünftige Völkerapostel jedoch nicht in der Blüte seiner Mannesjahre dargestellt, sondern als alter Mann. Warum?

Saulus, der Eiferer für das Gesetz, ist der verhärtete, unerleuchtete Eiferer. Er verfolgt die Christen, läßt sie in den Kerker werfen, ist blind vor Haß.

Verhärtung ist für die Heilige Schrift freilich kein Phänomen, welches in biologisch abgegrenzten Bezirken Halt macht. Die sklerokardia, die Herzensverhärtung, transformiert den ganzen Menschen. Da an ihrer Wurzel die Abschottung vor der Liebe ist, läßt sie den Betroffenen frühzeitig altern. Denn Jungsein und Wachstum verbinden sich nicht mit Härte und Abschottung, sondern mit Geschmeidgkeit, mit Gelassenheit, mit Liebe.

Saulus ist der Verhärtete, der Enge, bereits mit dreißig Jahren. Um tatsächlich ins Leben zu finden, d.h. um wahrhaftig ein Dreißigjähriger zu werden, der, wie man so sagt, das Leben vor sich hat, bedarf er in eminenter Weise der Gnade, die stärker ist als die Verhärtung.

Michelangelo zeigt die Faktizität dieser Gnade. Das Licht, welches majestäisch souverän den alten Verbohrten trifft, ist im Gemälde gleichsam der Riß, der die sklerokardia des Saulus aufsprengt. Dieses Licht, so zeigt Michelangelo, ist kein harmloses Fünkchen, sondern niederstürzender Blitz, in dessen Feuer der Getroffene für immer versehrt wird. Es ist das Feuer, welches aus dem alten Saulus den jungen Paulus macht.

Denn das Christentum ist immer jung. Die Gnade ist immer jung. Die Heiligen sind die stets Jungen. Oder können wir uns den Himmel vorstellen mit Rollator und zahnlosen Greisen?

Es überrascht nicht, daß dieser Paulus, der aus eigener, bitterer Erfahrung weiß, wie verhärtet jemand sein kann, der angeblich alles im Griff hat und voll im Leben steht, daß exakt dieser Paulus, nach seiner Herzerweichung, das Hohelied der Liebe schreibt: Und wenn ich die Prophetengabe hätte und alle Geheimnisse wüßte und alle Erkenntnisse und wenn ich allen Glauben hätte, so daß ich Berge versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts (1 Kor 13, 2).

Aus dem verbissen Verknöcherten ist der Sänger der Liebe geworden, der in seinem zweiten Brief an die Gemeindemitglieder von Korinth (2 Kor 6,11ff) die wunderbaren Worte mitteilt: (…) unser Herz ist weit geworden. In uns ist es nicht zu eng für euch. Laßt doch als Antwort darauf auch euer Herz weit aufgehen!

Und es gehört zur genialen Intuition Michelangelos, daß er die unerhörte Wandlung des Saulus zum Paulus offenbar macht. Denn der dort am Boden Liegende ist, wie in einer Art Schwebezustand, nicht mehr der rundum Starre, Verschlossene, sondern in seinen alternden Zügen bereits der sich Verjüngende, dessen kommende jugendliche, helle, unverblühte Frische wahrnehmbar wird. Sein Antlitz ist schon im Licht, wenn auch noch die Hand dem Blitzeinschlag zu wehren sucht.

Aufstehen, so viel ist sicher, wird ein Anderer, einer, dem jetzt geholfen werden muß. Und der Mitmensch, sich bückend, ist bereits da und will dem Gestürzten beim Aufstehen helfen. Und eben so kann nun das Neue beginnen, das Herz, welches weiter wird.

Grafik: Michelangelo, Die Bekehrung des Paulus (1542–1545). wiki commons

Freitag, 18. Januar 2019

Das Kreuz


«Alle Vorkommnisse unseres Lebens, was immer es sei, ohne Ausnahme, sind Liebeszeichen Gottes. Die Anfänger im Erlernen dieser Sprache glauben, nur einige Worte sagten: Ich liebe dich. Die diese Sprache kennen, wissen, daß alles nur eine einzige Bedeutung hat. Gott hat kein Wort, um Seinen Geschöpfen zu sagen: Ich hasse dich.»
Kann man das wirklich so sagen? Sind tatsächlich alle Vorkommnisse unseres Lebens Liebeszeichen Gottes?

Nehmen wir ein extremes Beispiel. Im August 1945 werden die Städte Hiroshima und Nagasaki von Atombomben zerstört. Wo sind da die Liebeszeichen Gottes, von denen Simone Weil schreibt?

Natürlich meint Weil nicht, daß Gott der Verursacher dieser Katastrophen ist, denn dann wäre Gott nicht mehr der Gott der Liebe, sondern der Gott, der die Zerstörung und den Tod will. Wenn wir also den Satz recht verstehen wollen, müssen wir tiefer schauen.

Am besten ist es, wir lassen einen Zeugen zu Wort kommen. Der Röntgenologe Dr. Takashi Nagai, der mit seiner Familie in Nagasaki lebte, hat die verheerenden Auswirkungen der Atombombe, die am 9. August 1945 auf Nagasaki fiel, erfahren. Sein Haus wird dem Erdboden gleich gemacht. Unter Schutt und Asche findet er die verkohlten Überreste seiner geliebten Frau Midori. Neben dem Knochenstaub etwas Glitzerndes – der geschmolzene, wiewohl noch erkennbare Rosenkranz Midoris. Nagai selbst, schwer verwundet, wird wenige Jahre später, nach einer längeren Zeit der Bettlägerigkeit, an der Strahlenkrankheit sterben.

Im November 1945, zur Zeit, als der erkrankte Nagai noch zu gehen vermag, lädt ihn der Bischof von Nagasaki ein, bei der Totenmesse für die Opfer der Katastrophe als Vertreter der Laien eine Ansprache zu halten. Er bereitet sich intensiv auf diese Rede vor. Und dann spricht er die folgenden, ungeheuerlichen Worte aus:

»Gibt es da nicht einen tiefgründigen Zusammenhang zwischen der Vernichtung Nagasakis und dem Ende des Krieges? War Nagasaki vielleicht das auserwählte Opfer, das Lamm ohne Makel, das als brennendes Ganzopfer auf einem Opferaltar getötet wurde und damit für die Sünden aller Nationen während des Zweiten Weltkriegs Sühne leistete? (...) Laßt uns dankbar sein, daß Nagasaki als brennendes Ganzopfer auserwählt wurde! Laßt uns dankbar sein, daß die Welt durch dieses Opfer Frieden erhalten hat und Japan die religiöse Freiheit.«

In der Wüste Nagasakis ringt sich Nagai den Blick ab, der durch die Wüste hindurch in das Herz Gottes schaut. Der christliche Gott ist der Gott des Kreuzes. Aus der schrecklichsten Katastrophe der Weltgeschichte – Golgota – macht Gott das Liebesopfer seines Sohnes, welches uns, den Sündern, Rettung bringt.

Die Atombombenasche Nagasakis ist die sichtbar gewordene Sünde der Sünder. Doch da ist ein Arzt, der diese Sünde stellvertretend und sühnend auf sich nimmt und damit an Gottes ewigem Plan der Liebe mitarbeiten will. Der, mit anderen Worten, das Kreuz umarmt und so – ohne Haß, ohne Verbitterung – Mitarbeiter Gottes wird, indem er die unverbrüchliche Liebe Gottes in die Wüste hineinträgt und bekennt: »Als ich mit Gott durch die nukleare Wüste von Urakami (dem Vorort Nagasakis, wo er wohnt) ging, hat Er mich die Tiefen Seiner Freundschaft gelehrt.«

Während Exerzitien fragte einmal der Exerzitiengeber die Exerzitanten: Was sieht die Muttergottes am Kreuz stehend?

Viele Antworten wurden gegeben. Sie sieht die Brutalität der Henker. Die Blindheit der Beteiligten. Das Blut und die Schrecken und die Qualen. Und all diese Antworten stimmten naturgemäß.

Doch der Exerzitienmeister sagte: Maria sieht die Barmherzigkeit des Vaters.

Verstehen kann man das nicht, oder nur sehr begrenzt. Denn wer würde sich anmaßen, das Kreuz verstehen zu wollen? Letztlich wird das Kreuz nicht verstanden, sondern erlitten. Und derjenige, der sich durch das Leiden hindurchführen läßt, der sich im Feuer dieses Leidens ausbrennen läßt, der irgendwann nur mehr Gott im Blick hat, der kommt schließlich kraft der Gnade dahin, in allen Vorkommnissen des Lebens die unfaßbaren Liebeszeichen Gottes zu sehen. Und dann, so geschehen beim Arzt Takashi Nagai und bei vielen anderen, wird man ein Tröstender.

Grafik: Photo by Orkhan Farmanli on Unsplash

Freitag, 11. Januar 2019

Die Freude


An Weihnachten verkündet der Engel den Hirten die Freude, und zwar die große Freude: Der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude (Lk 2, 10).

Als die drei Weisen aus dem Morgenland, geführt vom Stern, in Bethlehem ankommen, da heißt es in der Heiligen Schrift, daß sie von sehr großer Freude erfüllt wurden (Mt 2,10).

Am Beginn des Neuen Testaments steht damit die Freude. Aber wie kommt man zu dieser Freude, die schließlich das gesamte Neue Testament zur Frohen Botschaft macht?

Zwei Grundvoraussetzungen für die Freude sollten wir beherzigen. Die erste lautet: Ohne die Liebe gibt es keine Freude!

Ein Beispiel: Jemand schenkt einer Hausfrau ein Kochbuch. Wenn diese Hausfrau eine Abscheu vor dem Kochen hat, dann ist dieses Geschenk eine Fehlinvestition. Liebt sie es allerdings zu kochen und mag sie es, ihren Mann und ihre Kinder zu bekochen, dann wird sie sich über dieses Geschenk freuen.

Die zweite Grundvoraussetzung für die Freude lautet: Daß ich die geliebte Sache auch besitze und damit genießen kann!

Um bei der Hausfrau zu bleiben: Was habe ich davon, gerne zu kochen, aber mir fehlen permanent die Zutaten, um gute Gerichte zu kochen?

Wer sich also freuen will, sollte dies gut bedenken: Liebe ich? Und werde ich auch besitzen, was ich liebe, oder zumindest irgendwann in den Besitz des Geliebten gelangen?

Die heiligen Drei Könige lieben, in der Tat, denn ihre Sehnsucht nach der Wahrheit ist bereits Liebe, Liebe, die sich ausstreckt, die sich sehnt und die schließlich aufbricht, als der autoritative Stern dieser Sehnsucht den Weg weist.

Wer diese liebevolle Sehnsucht der drei morgenländischen Weisen sehen will, der sollte sich mal das berühmte spätantike Mosaik in Ravenna anschauen, welches in der vorwärtsdrängenden Bewegung der drei Pilger eben die Dynamik der Liebe wunderbar in Stein faßt.

Und die drei Magier finden auch und besitzen. Zunächst haben sie freilich den weiten Weg zu absolvieren. Doch man darf getrost sein, daß sie während ihrer Pilgerreise von der Gewißheit gehalten wurden, einmal zu besitzen, beziehungsweise zumindest von der Vor-Freude bewegt wurden, einmal in den Besitz des Ersehnten zu gelangen.

Und tatsächlich besitzen sie zu guter Letzt, denn sie kommen an. Und jetzt werden sie erfüllt von der Freude, von der großen Freude.

 Grafik:  Sant’Apollinare Nuovo, Ravenna. wiki commons

Freitag, 4. Januar 2019

Little Boy

für V. H.
 
Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht Meine Wege.

Diese berühmte Stelle aus dem Propheten Jesaja (55,8) kommt einem in den Sinn, wenn man über den Film Little boy nachdenkt.

Ein kleiner Junge, der seinen Daddy über alles liebt, kann es nicht fassen, daß dieser geliebte Mensch abberufen wird, weg von der Familie, in den Krieg. Und um diesem schrecklichen Schicksalsschlag zu wehren und seinen Daddy schnellstmöglich wieder zuhause zu haben, beginnt der kleine Pepper zu beten, und dies leidenschaftlich, stürmisch, denn der Kleine nimmt sich die Weisung Jesu zu Herzen: Wenn euer Glaube auch nur so groß ist wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berge sagen: Rück von hier nach dort!, und er wird wegrücken. Nichts wird euch unmöglich sein (Mt 17,20).

Wird Little boy erfolgreich sein? Wird sein Gebet die erwarteten Früchte bringen?

Der Inhalt des Films soll hier nicht weiter verraten werden. Nur soviel: Irgendwann versteht man den doppelten Boden des Films. Denn es gibt die Gedanken der Menschen, und es gibt die Gedanken Gottes. Und wie es halt so ist, wenn Menschen denken, dann denken sie zumeist sehr menschlich, und das heißt kleinlich, bisweilen furchtbar kleinlich. Eine Atombombe auf Hiroshima beendet den Krieg im Pazifik. Das legen die Menschen, wenig erleuchtet, als eine Gebetserhörung aus.

Wie anders dagegen die Logik Gottes. Eine Atombombe, dies grauenhafte Werkzeug der Zerstörung, ist nicht im Liebesplan Gottes, wohl aber Auswuchs eines depravierten menschlichen Kalküls. Der Gott der Liebe ist, weil Er der Gott der Liebe ist, der Gott der Zuwendung, der Güte, der Auferbauung. In den Worten Simone Weils (erinnern Sie sich?): «Alle Vorkommnisse unseres Lebens, was immer es sei, ohne Ausnahme, sind Liebeszeichen Gottes. Die Anfänger im Erlernen dieser Sprache glauben, nur einige Worte sagten: Ich liebe dich. Die diese Sprache kennen, wissen, daß alles nur eine einzige Bedeutung hat. Gott hat kein Wort, um Seinen Geschöpfen zu sagen: Ich hasse dich.»

Und es bedarf der wahrhaften Umkehr des Herzens, der biblischen metanoia, was ja wörtlich die Umkehrung der Gesinnung meint, um sich der Logik der Liebe zu nähern und einverstanden zu sein, in die Schule dieser Liebe zu gehen. Dann, erst dann, tritt man ein in die Welt des Gebets und dessen Erhörung. Doch davor liegen zumeist etliche Ent-Täuschungen. Die heilige Kleine Thérèse, die sich selbst den Namen Kleine Thérèse gab, sah diesbezüglich klar. Sie betete: «Mein Gott, mach, daß ich die Dinge sehe, wie sie sind, und daß nichts mir Sand in die Augen streut.»

Wird Pepper erhört?

Ja. Aber anders, als es sich menschliches Rechnen ausrechnet. «Die Liebe», so weiterhin die heilige Kirchenlehrerin Thérèse vom Kinde Jesu, «rechnet nicht.» Wie schwer fällt es freilich dem Erwachsenen, nicht nur dem Neunmalklugen, diese fehlenden Rechnungen gutzuheißen. Nicht zu zählen, sondern zu lieben. Kinder, manchmal auch erwachsene Kinder, können es.