Freitag, 29. Dezember 2017

Das Geschenk der Hirten


Göttliches Kind in der Krippe, meine einzige Liebe.
Ich bringe Dir das Geschenk der Hirten:
Mein Herz, meine Liebe und meine stumme Anbetung.

Marthe Robin, 9. Jänner 1931


Freitag, 22. Dezember 2017

Wer sich bückt

Jeder, der heutzutage nach Bethlehem pilgert und dort die Geburtskirche aufsucht, um bei der Geburtsgrotte Jesu anzukommen, weiß, daß er sich bücken muß.

In weit zurückliegenden Jahrhunderten mag es anders gewesen sein. Heute jedoch ist der Eingang zur Geburtskirche derart niedrig, daß man nur dann Einlaß findet, wenn man sich niederbeugt, um so durch die enge Pforte ins Innere der Basilika zu gelangen.

Das erinnert an ein anderes Bücken. Es steht geschrieben im Neuen Testament, beim Evangelisten Lukas, 24. Kapitel, Vers 12. Frauen, die am Ostermorgen beim Grab Jesu waren, kommen zu den verängstigten Jüngern und berichten, daß das Grab leer sei. Die Apostel halten dies für Geschwätz.

Petrus macht sich schließlich selbst auf den Weg zum Grab, er läuft, er will es wissen, und »als er gebückt hineinging, sah er nur die Leichentücher daliegen« (Übersetzung Berger/Nord).

Geburt und Tod. Zweimal muß man sich bücken. Dann kommt der, der wissen will, weiter.

Freitag, 15. Dezember 2017

Die Tatsachen


Elche sind zur Zeit in.

In den Schaufensterauslagen sind sie die bevorzugten Vierbeiner. Vorzugsweise dekoriert mit Sternen und glitzernden Kugeln und Kunstschnee.

Selbst die österreichische Post darf da nicht hinten anstehen. Gestern am Schalter, als ich Weihnachtsbriefmarken erstehen wollte, sagte mir die freundliche Dame, daß leider schon alle ausverkauft seien. Es gäbe allerdings noch eine 50er-Rolle mit einem anderen Motiv. Sie zeigte mir die Rolle – da war er wieder, der Elch. Und wir beide, die freundliche Dame und auch ich, waren einer Meinung: »Wie dämlich.«

Was ist es letztlich, was diese Dämlichkeit ausmacht?

Es ist die Tatsache, daß krampfhaft Tatsachen geleugnet und durch Surrogate ersetzt werden. Die Geburt Christi ist eine Tatsache, ja, sie ist die Tatsache, die seit ihrem Ereignis die Welt grundlegend verwandelt hat. Wie könnte es auch anders sein? Gottes Sohn wird nicht mal so einfach Mensch und nichts passiert. Vielmehr ist es so: Gott wird Mensch und die Welt ist von Grund auf eine andere. Zeugen dafür gibt’s zuhauf.

Gleich, ob man den religiösen Inhalt, sprich die Frohe Botschaft des Faktums, annimmt oder nicht, die Tatsache bleibt bestehen. Die Geburt Christi ist geschehen und nicht rückgängig zu machen.

Aber da wir nun mal in der Epoche des grenzenlosen Genderns sind, ist es nur zwangsläufig, daß Weihnachten gegendert wird zum Fest der Elche. Keine Krippen in den Schaufenstern, kein Christkindl.

Das Dumme daran ist nur, daß Tatsachen etwas an sich haben, was in das Szenario des Beliebigen nicht paßt: Sie sind widerständig. Man kann noch so viele Elche aufmarschieren lassen und noch so viele rote Zipfelmützen, irgendwann sagt ein Kind: »Der Kaiser ist ja nackt.«

Bleibt die Frage: Warum so viel Beliebigkeit?

Auch da kann die Tatsache weiterhelfen, und zwar das Wort selbst. Das nackte Wort Tatsache bringt nämlich Wesentliches zum Ausdruck. Wenn der Mensch bereit ist, sachlich die Wirklichkeit zu betrachten, und das heißt ohne Vor-Urteile oder Manipulationen, dann gelangt er zusammen mit der seinsadäqaten Annahme der Wirklichkeit (der Sachen) zugleich zum rechten Tun (der Tat). Mit anderen Worten: Tatsachen sind Sachen, die sachlich betrachtet sein wollen und genau so, in der praktizierten Sachlichkeit, zur Tat führen.

Das aber heißt, daß die sachliche Betrachtung der Wirklichkeit mitunter sehr herausfordernd sein kann. Was nämlich tue ich, wenn ich bemerke, daß die Tatsachen meine Auffassung der Wirklichkeit stellenweise als Illusion entlarven? Wenn ich mich also, soll es mit rechten Dingen zugehen, zu ändern hätte? Was mache ich, wenn ich – nehmen wir mal an in einer kritischen Phase meines Lebens – feststelle, daß mich kein Elch rettet, wohl aber der menschgewordene Sohn Gottes mich tatsächlich zu retten vermöchte?

Und man bedenke auch dies: Diskriminieren wir nicht die Elche! Ein Elch freut sich, wenn er mit Ochs und Esel hinter der Krippe stehen oder auch liegen darf. Aber ein Elch kommt aus dem Rotwerden gar nicht mehr heraus, wenn man ihn permanent dazu mißbraucht, das neue Weihnachtsmaskottchen zu sein.

Grafik:    Bethlehem, Geburtsgrotte. Von DE.MOLAI – wikicommons.

Freitag, 8. Dezember 2017

Die Immaculata II

 

Wie oft sind doch unsere Vorstellungen arg verkürzte.

Zum Beispiel: Wenn wir die Muttergottes die Immaculata nennen, die Makellose, die Unbefleckte, die Reine, dann denken etliche sogleich reflexartig ausschließlich in Begriffen der Sexualität und Geschlechtlichkeit. Diese Reduktion mag damit zusammenhängen, daß uns das Konzept von Reinheit nahezu gänzlich aus dem Blick geraten ist.

Kierkegaard kann da weiterhelfen. Nach ihm ist Reinheit: Eines wollen. Das trifft es sehr gut. Denn Reinheit ist ein Konzept, welches den ganzen Menschen angeht, seine Gedanken, seine Gesinnung, seinen Leib.

Paulus schreibt im zweiten Brief an die Korinther: »Wir nehmen alles Denken gefangen, so daß es Christus gehorcht« (10,5), und im berühmten Hymnus des Philipperbriefs mahnt der Apostel, daß es darum gehe, die Gesinnung Christi anzuziehen (2,5).

Maria tut exakt dies: Sie lebt und bewegt sich und ist in Christo. Darum gibt es in ihr keine Stelle, die aus der Einheit mit Christus herausfiele. Maria ist die personifizierte Einheit. Sie will nur das, was ihr Sohn will. In diesem Fall ist allerdings das »nur« keine Formel der Einschränkung oder Minderung, sondern die Formel der Fülle, denn ihr Sohn ist das Leben in Fülle.

Wer folglich zu einer Haltung der inneren wie äußeren Einheit finden will, heraus aus der Gefährdung der modernen Unruhe und Zerrissenheit hin zu dem geraden, reinen Blick, zur nüchternen, weltoffenen Gesinnung, zum unverdorbenen Ja an die göttliche Fügung und dem kummerlosen, da wahrhaft freien Einverständnis den Wellenschlägen des Lebens gegenüber, der sollte Maria zu seiner Lehrmeisterin nehmen.

In einem Hymnus zum Hochfest der Immaculata heißt es:
Sünde hat mit böser Macht
nie dein Innerstes betört (…)
So ist es. Keine Torheit ist in Maria. Sie ist die kluge Lehrmeisterin. Die wahrhaft Vernünftige.

Grafik:    P. Otto Bitschnau, 12 Kopf-Vignetten zu Anfang der Monate (von P. Rudolph Blättler O. S. B.) – Das Leben der Heiligen Gottes. wikicommons

Freitag, 1. Dezember 2017

Carpe diem


Ein altbekannter Hochzeitsbrauch ist folgender:

Wenn die Neuvermählten aus dem Kirchenportal treten und in die Gesichter der Hochzeitsgäste und Gratulanten schauen, die bereits vor der Kirche auf sie warten, dann nimmt die Ehegattin irgendwann ihren Hochzeitsstrauß und wirft ihn in die Menge. Und es heißt, daß diejenige junge Frau, welche diesen Strauß auffängt, als nächste zum Traualtar treten wird.

Ein schöner Brauch. An ihn mußte ich in einem ganz anderen Zusammenhang denken. Und zwar bei einer Beerdigung. Dort wird, wenn für den betreffenden Verstorbenen und für alle Verstorbenen gebetet wird, in den Fürbitten auch desjenigen gedacht, der als nächster vor Gottes Thron treten wird. Auch hier wird eine Art Blumenstrauß überreicht, diesmal in Art einer Fürbitte, für einen anderen Hochzeitsstag, nämlich den endgültigen, da die Seele ihrem himmlischen Bräutigam Christus auf immer vermählt werden soll.

Wenn man diese beiden hohen Tage zusammendenkt, dann gewinnt man eine Vorstellung vom Realismus der Kirche. Sie geht unbeirrt durch die Zeiten und reicht einem jeden der Gläubigen die helfende Hand – dem, der Hochzeit feiert, und dem, der stirbt. Dabei ist die Ausrichtung der Kirche stets die gleiche: Sie will, daß durch die Zeiten hindurch der ihr Anvertraute die Tage seines Lebens gut lebt. Gut leben heißt mehr als satt sein und sich alles leisten können, was nun mal zum Leben dazugehört. Gut leben im Sinne der Kirche heißt, den Ernst des Lebens zu erfassen und jeden Tag sub specie aeternitatis zu leben, was meint: Im Blick der Ewigkeit.

Das ist keine Vertröstung auf das Jenseits, wie billige Christentumskritik meint. Es ist vielmehr die Blickrichtung, die dem Leben die einzig sinnvolle Tiefe oder auch Höhe verleiht, denn sie gibt jedem Tag die unausdenkbare Fülle und den unverlierbaren Ernst.

Wer an einem offenen Grab steht und auf den herabgesenkten Sarg schaut, wem sodann der Totengräber die Schaufel mit Erde in die Hand drückt, damit der Gläubige einen letzten Gruß der Erde dem Verstorbenen mit auf den Weg gibt, der weiß, daß der Realismus der Kirche zugleich radikal bis zum Äußersten und befreiend bis zur Schmerzgrenze ist.

Denn die katholische Kirche macht einem nichts vor. Du Mensch, so sagt sie ungeschönt, bist sterblich. Die nackte Wahrheit wird nicht vertuscht, sondern in die Mitte gerückt. Denn nur wer sich der Wahrheit aussetzt, darf hoffen, in die Weite zu gelangen. Der Blumenstrauß der Braut wird verwelken, aber das macht nichts. Die neue Braut, die auserwählte, die einst den Blumenstrauß ihrer Vorgängerin in Empfang nahm, tritt nach vorne und gibt heute am Altar ihr Jawort.

Doch einmal wird das letzte Jawort fällig. Für diese Bereitschaft bereitet die Kirche vor, auf daß wir, wenn es soweit ist, ein volles, kräftiges, furchtloses Ja zu sprechen vermögen. Dies geht freilich nur, wenn wir uns in der Kirche und mit der Kirche in die ars moriendi haben einüben lassen, in die Kunst des täglichen Sterbens.

Bei Hebbel heißt es in einem wunderbaren, wehmütigen Gedicht:
Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,
Sie war, als ob sie bluten könne, rot;
Da sprach ich schauernd im Vorübergehn:
So weit im Leben ist zu nah am Tod!
Ja, Leben und Tod, wie nahe. Welche untrennbaren Geschwister! Der Hochzeitsstrauß, die Schaufel Erde, die Fürbitte für den nächsten Abschiednehmenden – man könnte starr vor Staunen sein, wären sie nicht allesamt Hinweise für den anderen Tag, der nicht verwelkt: Für den jungen, den blühenden, den ewigen Tag.

Die Alten mahnten: Carpe diem! Pflücke den Tag! Es ist allerdings eine Verkürzung, wenn man dies so interpretiert, als hätten sie mit diesem Imperativ dem grenzenlosen Genuß das Wort geredet beziehungsweise dem, was man heute in die Formel preßt: Man muß alles aus dem Leben herausholen. Während die Moderne verzweifelt von einem Vergnügen ins andere taumelt, sich derart in einem Schein von Leben verbeißend, an dessen ewiges Zuhause sie nicht länger glaubt, waren die Alten klüger.

Carpe diem sagen sie. Aber das besagt mehr, viel mehr, als ein gieriger Griff wähnt. Es besagt: Schau die Rose, schau den Tod. Und pflücke das Leben, das ewige.

Grafik:    Photo by Ivan Jevtic on Unsplash