Freitag, 8. Dezember 2017

Die Immaculata II

 

Wie oft sind doch unsere Vorstellungen arg verkürzte.

Zum Beispiel: Wenn wir die Muttergottes die Immaculata nennen, die Makellose, die Unbefleckte, die Reine, dann denken etliche sogleich reflexartig ausschließlich in Begriffen der Sexualität und Geschlechtlichkeit. Diese Reduktion mag damit zusammenhängen, daß uns das Konzept von Reinheit nahezu gänzlich aus dem Blick geraten ist.

Kierkegaard kann da weiterhelfen. Nach ihm ist Reinheit: Eines wollen. Das trifft es sehr gut. Denn Reinheit ist ein Konzept, welches den ganzen Menschen angeht, seine Gedanken, seine Gesinnung, seinen Leib.

Paulus schreibt im zweiten Brief an die Korinther: »Wir nehmen alles Denken gefangen, so daß es Christus gehorcht« (10,5), und im berühmten Hymnus des Philipperbriefs mahnt der Apostel, daß es darum gehe, die Gesinnung Christi anzuziehen (2,5).

Maria tut exakt dies: Sie lebt und bewegt sich und ist in Christo. Darum gibt es in ihr keine Stelle, die aus der Einheit mit Christus herausfiele. Maria ist die personifizierte Einheit. Sie will nur das, was ihr Sohn will. In diesem Fall ist allerdings das »nur« keine Formel der Einschränkung oder Minderung, sondern die Formel der Fülle, denn ihr Sohn ist das Leben in Fülle.

Wer folglich zu einer Haltung der inneren wie äußeren Einheit finden will, heraus aus der Gefährdung der modernen Unruhe und Zerrissenheit hin zu dem geraden, reinen Blick, zur nüchternen, weltoffenen Gesinnung, zum unverdorbenen Ja an die göttliche Fügung und dem kummerlosen, da wahrhaft freien Einverständnis den Wellenschlägen des Lebens gegenüber, der sollte Maria zu seiner Lehrmeisterin nehmen.

In einem Hymnus zum Hochfest der Immaculata heißt es:
Sünde hat mit böser Macht
nie dein Innerstes betört (…)
So ist es. Keine Torheit ist in Maria. Sie ist die kluge Lehrmeisterin. Die wahrhaft Vernünftige.

Grafik:    P. Otto Bitschnau, 12 Kopf-Vignetten zu Anfang der Monate (von P. Rudolph Blättler O. S. B.) – Das Leben der Heiligen Gottes. wikicommons