Samstag, 6. Dezember 2025

 Die Chaconne

Sie gehört zu den herausragenden und schwierigsten Werken der Literatur für Violine solo: Die Chaconne (Giaccona) von Johann Sebastian Bach, der letzte Satz der Partita Nr. 2 in d-moll.

In der gesamten Geigenliteratur, und auch im Schaffen Bachs selbst, steht das Werk als ein erratischer Block. Es mag, wie viele vermutet haben, mit den außergewöhnlichen Lebensumständen Bachs zusammenhängen, unter denen die Chaconne entstanden ist.

Bach ist für drei Monate auf einer musikalischen Auslandsreise unterwegs. Als er schließlich nach der langen Dienstreise nach Hause zurückkehrt, trifft er den Tod an: Seine Frau Maria Barbara lebt nicht mehr, sie ist vor einer Woche verstorben. 

Die Tonart der Chaconne ist d-moll, eine Tonart, die man oft mit dem Tod in Verbindung gebracht hat. Mozarts Requiem ist in dieser Todestonart komponiert, Schuberts Der Tod und das Mädchen steht in d-moll, Bruckners letzte, dem Lieben Gott gewidmete Sinfonie, ist in d-moll. Legt es sich nicht nahe anzunehmen, daß die Chaconne Bachs der musikalische Abschied von seiner Frau ist? Und paßt zu dieser Annahme nicht auch, daß einer der Söhne des Komponisten berichtet, daß sein Vater das Werk oftmals für sich allein gespielt habe, auf seinem Lieblingsinstrument, dem Clavichord? 

Darüberhinaus: Im Jahre 1994 macht die Musikwissenschaftlerin Helga Thoene die Entdeckung, daß Bach, verborgen in seinem musikalischen Epitaph, mehrere Choralthemen anklingen läßt, und diese Choralanklänge kreisen um die heilsgeschichtlichen Ereignisse von Tod und Auferstehung (etwa die Choralzitate aus Jesu meine Freude, Jesu Deine Passion, Befiehl du deine Wege…). In einem musikalischen Experiment werden diese Zusammenhänge für den heutigen Hörer erstmals präsent: In der CD Morimur spielt der Geiger Christoph Poppen die Chaconne, während das Hilliard Ensemble zugleich vokal die Choralthemen unterlegt.

Verhält es sich nun so, wie diese wenigen Sätze skizzieren, wenn es also gilt, daß die Trauer wie die musikalische Transformation der Trauer (der Weg geht von Moll zu Dur und wieder zurück nach Moll) die Chaconne prägen, dann überrascht es nicht, wenn ein Geiger, der in eminenter Weise um die Trauer weiß, das Werk mit ungeheurer Intensität zu spielen weiß.

Sergey Khachatryan, so der Name des Geigers, ist armenischer Abstammung. In einem im Internet zugänglichen Video ist ein Encore von ihm zu hören, welches vom armenischen Komponisten Komitas stammt, wobei Khachatryan diese Zugabe bewußt der Erinnerung an den Genozid an seinem armenischen Volk während der Jahre 1915/16 widmet. Wer den Schmerz, die Trauer, die unverstellte Sehnsucht hören will, der kann dies in vier Minuten ergreifend hören. Und man versteht zuhörend besser, daß ein Geiger, über seine jeweilige Individualität hinaus, stets auch, in einer geheimnisvollen diachronen Verbundenheit, die alle statischen Grenzen der Zeit überwindet, der Bruder seiner Brüder ist und also der Bruder der Gemarterten.

Früh hat Khachatryan Bachs Partiten eingespielt. Seine Darbringung der Chaconne spricht für sich.  

Samstag, 29. November 2025

 Advent

Im Blick auf Weihnachten 


Love took my hand and smiling did reply,

Who made the eyes but I?  

Liebe ergriff meine Hand und sagte lächelnd:

Wer schuf die Augen, wenn nicht Ich? 

(aus: George Herbert, Love) 

 

 Grafik:  Foto von Azmaan Baluch auf unsplash

Samstag, 22. November 2025

 Etüden

 für K. W. 

Jeder Geigenschüler kennt sie - die Etüden von O. Ševčík

Etüde ist ein nüchternes Wort. Es enthält das Tuwort étudier, was studieren, üben meint.


Und genau darum geht es bei Ševčíks EtüdenÜbungen in allen Variationen  und Schwierigkeitsgraden. Die Schule der Violintechnik. Wie viele Geigenschüler haben gestöhnt, wenn sie diese Übungen als Hausaufgaben zu exerzieren hatten, wieder und wieder.

Und wahrscheinlich unterscheidet es früh den Ernsthaften vom Leichtfertigen, wie er schließlich diese Etüden wahrnimmt: Als Training oder als Qual. Derjenige, der im Violinunterricht wahrhaft weiterkommen will, weiß, daß diese Übungen ihm notwendig sind, um das Geigenspiel zu erlernen. Die Redensart Übung macht den Meister bewährt sich auch in der Disziplin des Geigenspiels. Und es wäre absurd anzunehmen, daß man im Geigenspiel irgendwann brilliert, ohne zuvor ausgiebig geübt zu haben. 

Das Kuriose ist nun jedoch, daß man im spirituellen Feld genau das immer wieder antrifft. Menschen, die einem unverblümt sagen, daß sie keinen Zugang zu Gott haben, daß Gott keine Antworten gibt und darum  Gott in ihrem Leben keine große Rolle spielt. Insinuiert wird zugleich, daß Gott sich über diesen Zustand nicht wundern dürfe, denn Er selbst sei schließlich schuld an dem Status quo. 

Wenn man sodann behutsam nachfragt, wie denn das konkrete Gottesverhältnis oder, um das Geigengleichnis in den geistlichen Bereich zu übertragen, wie denn die Gottesübungen ausschauen, dann erhält man magere Antworten. Im letzten Urlaub hat man eine Kapelle aufgesucht und ein Kerzerl angezündet. Manchmal betet man abends, schon im Bett liegend, ein Vater unser, doch bevor man mit dem Gebet zuende kommt, ist man schon mehr oder weniger im Schlafmodus. Das war's. 

Da tut es gut, sich an einen großen Seelenführer zu erinnern. Sein Name: Johannes Tauler. Was sagt Tauler? 

»Denn üben mußt du dich, willst du ein Meister werden. Doch erwarte nicht, daß Gott dir die Tugend eingieße ohne deine Mitarbeit. Man soll nie glauben, daß Vater, Sohn und Heiliger Geist in einen Menschen einströmen, der sich der Tugendübung nicht befleißigt. Man soll von solchen Tugenden auch nichts halten, solange der Mensch sie nicht durch innere oder äußere Übung erlangt hat.« 

Heute ist der Tag der hl. Cäcilia, Patronin der Kirchenmusik, der Musiker, der Instrumentenbauer, Sänger, Orgelbauer und Dichter. Wie lange hat diese Heilige geübt, bis sie zur Vollendung gelangte?

Die passio berichtet, daß die zu Beginn des 3. Jahrhunderts lebende Märtyrerin während der römischen Christenverfolgung hingerichtet wurde, weil sie sich weigerte, den heidnischen Götzen zu dienen. Der Henker schlug dreimal mit dem Schwert zu, traf Cäcilia aber erst mit dem dritten  Streich. Sie überlebte, zu Tode verwundet. In der Kirche Santa Cecilia in Trastevere, Rom, liegen ihre Gebeine.  

Als man 1599, anläßlich der Vorbereitungen auf das Heilige Jahr 1600, den Sarg der Märtyrerin öffnet, findet man den Leichnam der Heiligen völlig unverwest, eingehüllt in ein Gewand aus Goldbrokat. 

Der italienische Bildhauer Stefano Maderno (1575 - 1636) hat in seiner berühmt gewordenen Marmorplastik Cäcilia dementsprechend dargestellt: auf der Erde liegend, mit der Halswunde, wartend auf die Begegnung mit dem himmlischen Bräutigam.

Wie lange hat Cäcilia geübt?

Noch in der Agonie bekennt die Sterbende ihren Glauben. Auch dies zeigt der Bildhauer, eingemeißelt in strahlend weißen Stein. An ihrer linken Hand streckt die Heilige einen Finger aus, an der rechten drei Finger. Es ist ihr Bekenntnis des einen  Gottes in drei Personen.

Samstag, 22. März 2025

Tosca II

O love! O life! not life, but love in death!

So heißt es im Liebesdrama schlechthin – Shakespeare, Romeo und Julia, 4. Akt, Szene 5.

Und wo bleibt die Liebe in der Oper Tosca? Bleibt die Liebe da auf der Strecke? Bleiben nur drei Tote auf der Bühne, und das war’s? Hat der Tod das letzte Wort?

Manche oder auch etliche Liebhaber der Oper gehen davon aus, daß Cavaradossi zwar auf den Vorschlag Toscas bereitwillig eingeht und also den Hinrichtungstod mimen wird, aber daß er diese Komödie nur Toscas wegen mitspielt, während er, da er sich in Scarpias Schurkigkeit nicht täuscht, sehr wohl weiß, daß die angeblich falschen Schüsse echte sein werden und also sein falscher Tod der echte.

Das aber würde heißen, daß Mario – aus Liebe! – Tosca zwei Minuten des Aufatmens schenkt. Er, der um die Tragödie weiß, gewährt der Geliebten einen Trost. Zerbrechlich zwar, aber gleichwohl zwei Minuten einer letzten schmerzlichen Nähe.

Das aber würde heißen, daß Mario bis zum Äußersten geht. Not life but love in death. Daß er sein Kreuz auf sich nimmt, zu schweigen trotz größerer Einsicht, um derart die Liebe durch den Tod zu tragen.

Läßt man diese Betrachtungsweise zu, dann macht das Schlußbild einer Tosca-Aufführung in Verona 2017 durchaus Sinn. Tosca springt nicht in den Abgrund. Sie geht in das Dunkel hinein. Aber dies ist nicht das letzte Bild. Aus der Schwärze strahlt schließlich ein Lichtkegel auf. Und in diesem Lichtkegel steht Tosca, und in ihrer rechten hocherhobenen Hand hält sie ein leuchtendes Kreuz.

Das Kreuz? Ja. Denn was gibt es als wirkmächtigeres Zeichen der Liebe als das Kreuz. Bezeichnenderweise steht Mario, bevor die tödlichen Schüsse fallen, an einem Marterpfahl, der die Form des Kreuzes hat. Denn im Kreuz ist Heil. Im Licht des Kreuzes wird die Liebe gerettet über den Tod hinaus.


Dienstag, 11. März 2025

Fastenzeit


 »Gott wird nicht auf Orden, Medaillen oder Titel sehen, sondern auf 

Narben.«  

Dietrich Bonhoeffer

 

Grafik:  Foto von Ahna Ziegler auf Unsplash

Samstag, 1. März 2025

Tosca

In der italienischen Oper wird viel und dramatisch gestorben. Das weiß man. Und doch ist Operntod nicht gleich Operntod.

Was ist das Schockierende am Tosca-Finale?

Tosca erlebt, wie ihr Geliebter Cavaradossi zur Hinrichtung geführt wird. Sie hält das Ganze für eine gefälschte Inszenierung, denn so hat sie es mit dem Schuft Scarpia ausgehandelt, bevor sie diesen umbringt.

Dementsprechend gibt sie dem Geliebten die Anweisungen, etwa sich theatergerecht fallen zu lassen, wenn die Todesschüsse fallen. Denn, wie gesagt: È una commedia.

Und noch dann, als die Befehle des Erschießungskommandos gegeben werden, ist Tosca entzückt über ihren schönen Mario: Com'è bello il mio Mario! Und als die Gewehrsalven abgefeuert werden und Mario zu Boden sinkt, ist Tosca noch einmal entzückt, wie geschickt der Exekutierte die Farce mitspielt: Ecco un artista!

Und dann, nachdem die Musik immer stiller wird und das Todeskommando, nach getaner Arbeit, von der Bühne tritt, und Tosca endlich zu ihrem Geliebten stürzen kann, um ihm das erlösende Signal zum Aufstehen zu geben, ist alles anders. Die Komödie ist keine Komödie. Der geschauspielerte Tod ist der echte. Mario! Mario! Morto! Morto! Diese Schreie versteht jeder.

Und dies ist das Schockierende. Puccini zeigt die Brurtalität des Todes, der nie eine Komödie ist. Er ist, so in Puccinis Musik, das Aus. Finire cosi? Soll das das Ende sein, so Tosca in ihrer Verzweiflung. Und sie gibt sich selbst die Antwort: Cosi!, um daraufhin, den Schächern entkommend, die ihr nachstellen, an den Rand der Festung zu fliehen und sich in den Abgrund zu stürzen, wobei dieser Sturz in die Tiefe um so absurder und grausamer ist, als er vom Schrei Toscas begleitet ist, die den Fall nach unten als Gang – nicht gemeinsam mit ihrem Geliebten – sondern zusammen mit dem Bösewicht Scarpia hin zu Gott herausschreit: O Scarpia, avanti a Dio!

Und auch hier, gleichsam den schrecklichen Tod als schrecklichen Tod zementierend, schreibt Puccini ein finales Fortissimo, das in den Ohren gellt und den ausweglosen Abgrund hörbar macht. Da ist keine Höhe, keine jenseitige Verzückung, sondern das nackte Aus.

Man höre zum Vergleich das Finale einer anderen Sterbeszene. Auch hier zwei Liebende, vereint im Kerker, vereint in den letzten Stunden vor dem Tod. Aber anders als Puccini, eröffnet Verdi den Blick in die Höhe. Das Abschiedsduett von Radamès und Aida ist kein Ende, sondern ein anderer Anfang: 

O terra, addio; addio, valle di pianti...
Sogno di gaudio che in dolor svanì.
A noi si schiude il ciel e l’alme erranti
Volano al raggio dell’eterno dì...


Es schließt der Himmel seine Pforten auf, und die wandernden Seelen
Sie fliegen zum Strahl des ewigen Tages...

Samstag, 22. Februar 2025

Für Deutschland



Als am 8. Mai 1945 Deutschland kapitulierte, wußten die, die zu sehen verstanden, daß der himmlische Patron Deutschlands, der heilige Erzengel Michael, der Fürst der himmlischen Heerscharen, das ihm anvertaute Land vor dem totalen Untergang beschützte.

Denn eben dieser 8. Mai wurde im liturgischen Kalender der katholischen Kirche bis zum Jahr 1960 als Gedenktag der Erscheinungen des Erzengels Michaels auf dem Monte Sant'Angelo (auf dem Gargano in Süditalien) begangen.

Morgen, am 23. Februar 2025, wird in Deutschland gewählt. Daß Deutschland am Abgrund steht, ist keine rhetorische Floskel. Politisch, ökonomisch, moralisch, religiös ist das Land der Dichter und Denker herabgewirtschaftet. Das aber heißt: Es ist die Stunde des Erzengels Michael. Seit Jahrzehnten hat die Kirche das folgende Gebet zum Himmelfürsten gebetet – als Hilfe im Kampf, als Schutz gegen die Gefahren der Unterwelt. Beten wir es - für die Auferstehung Deutschlands!

Sancte Michael Archangele,
defende nos in proelio,
contra nequitiam et insidias diaboli esto praesidium.
Imperet illi Deus, supplices deprecamur:
Tuque, Princeps militiae caelestis,
Satanam aliosque spiritus malignos,
qui ad perditionem animarum pervagantur in mundo,
divina virtute in infernum detrude.
Amen.


Heiliger Erzengel Michael,
verteidige uns im Kampfe,
gegen die Bosheit und die Nachstellungen des Teufels
sei Du unser Schutz.
Gott gebiete ihm, so bitten wir flehentlich.
Du aber, Fürst der himmlischen Heerscharen,
stürze den Satan und die anderen bösen Geister,
die zum Verderben der Seelen die Welt durchschweifen,
durch die Kraft Gottes hinab in die Hölle.
Amen