Schneeweißchen, Rosenrot, Eisenhans und Co.
Wer kennt sie nicht? Die Märchen der Gebrüder Grimm?
Was macht letztlich die Anziehungskraft dieser Märchen aus? Warum sind die Grimmschen Märchen auch Erwachsenen ans Herz zu legen?Die Antwort ist einfacher als man denkt. Die Märchen sind wahr. Das ist des Rätsels Lösung.
Geht man davon aus, daß in der Sammlung der Gebrüder Grimm nicht lediglich ein einzelner Autor sich ausspricht, sondern daß in diesen kunstvollen Gebilden die Stimme eines ganzen Volkes sich artikuliert, dann darf man weiter annnehmen, daß sich hier ein Konzentrat an volkstümlicher Weisheit zu Wort meldet.
Verschwiegen wird nichts. Es geht um die uralten und immer neu zu lebenden Geschichten des Lebens, und diese Geschichten drehen sich um das, was das Leben ausmacht: Liebe, Verrat, Kämpfe, Bosheit, gute Menschen, schlechte Menschen, Treue, Ausdauer, Verwicklungen, glückliche Fügungen und Lösungen. Da sind die Hexen und bösen Zauberer, die Prinzen und Prinzessinnen gewalttätig in Objekte bannen oder gleich in die Unterwelt einschließen. Da sind einfache Liebende, deren Herz einfach gut ist und die es vermögen, den Bann des Bösen zu brechen. Da sind immer wieder die tapferen Helden, die trotz verhängter bösartiger Machenschaften und Fallstricken nicht aufgeben auf ihrer Suche nach dem wahren Glück und der wahren Geliebten.
Die Botschaft des Märchens ist dabei unaufdringlich, schlicht, poetisch, ergreifend: Das Gute siegt. Immer.
Damit aber ist das Märchen eine Art Exerzitium, welches in tiefer, spielerischer Weise die Schwere der Verstrickungen des Lebens auflöst in die trostvolle Botschaft, die den Kern des Märchens ausmacht, daß nämlich die Geschichten deswegen gut enden, weil die Schöpfung, in der die Märchen spielen, grundlegend gut ist.
Um diese selbstverständliche Botschaft, die letztlich eine zutiefst fromme ist, zu vermitteln, braucht das Märchen keinen Katechismus zu zitieren. Es läßt einfach die angemaßte Macht der Hexe null und nichtig werden und den Verwunschenen zum Leben auferstehen. Der »gottlose Zwerg« erhält seine »wohlverdiente Strafe«, und der Königssohn steht in goldenem Gewand da. Eine fromme Magd genügt, oder ein frommer Müller, oder ein tüchtiger Handwerksbursche, oder »zwei Kinder ... fromm und gut«, um das Lot der Welt wieder in Ordnung zu bringen.
Denn die Aussage am Schöpfungsmorgen ist dem guten Märchen unverlierbare Gewißheit: Gott sah alles an, was Er gemacht hatte: es war sehr gut (Gen 1,31).
Grafik: Abb. aus dem schönen Band: Brüder Grimm. Kinder- und Hausmärchen. Kleine Ausgabe 1825, hg. v. Axel Winzer, Berlin 2025 (Vlg. Frölich & Kaufmann).
