Samstag, 4. Januar 2020

Ein verborgenes Leben I

Was bringt einen amerikanischen Regisseur dazu, die Geschichte eines Innviertler Bauerns namens Franz Jägerstätter zu verfilmen?

Für die Amerikaner ist, wenn von Widerständlern des Zweiten Weltkriegs die Rede ist, eventuell von Stauffenberg oder Bonhoeffer interessant. Aber Jägerstätter?

Terrence Malick, der in seinen cinematographischen Tableaus manchen als der große poetische Regisseur nicht nur Amerikas, sondern des Westens gilt, vergleichbar Andrei Tarkowski und dessen östlichen Visionen, widmet seinen neuen Film, der letztes Jahr in den Staaten herausgekommen ist, Franz Jägerstätter, dem 2007 seliggesprochenen Märtyrer.

Malick hat wenige Filme gedreht. Meist zieht er sich nach einem abgeschlossenen Projekt zurück und verschwindet für Jahre in der Versenkung. Interviews oder Kontakten mit Reportern geht er notorisch aus dem Weg. Fotos gibt es nur wenige von ihm. Und betrachtet man Filme wie Tree of Life oder The Thin Red Line, so ist es evident, daß die Frage nach Sinn und Transzendenz Malick nicht losläßt.

Jetzt Jägerstätter.

Die brennende Frage des Films: Was bedeutet es, ein Gewissen zu haben? Was heißt es überhaupt, seinem Gewissen zu folgen? Was bedeutet ganz konkret die Tatsache, daß ein geschultes Gewissen gut und böse zu unterscheiden vermag und gemäß dieser Erkenntnis aufgerufen ist, die korrekte Konsequenz zu ziehen.

»Wenn Gott uns den freien Willen gibt, sind wir verantwortlich für das, was wir tun oder nicht tun. (…) Ich habe mich dem Bösen zu widersetzen.« So Jägerstätter.

Und damit ist A Hidden Life mitten unter uns angekommen. Denn ist nicht dies die Gnade unserer Zeit? Sie stellt einen jeden vor die Entscheidung: Wo stehst du? Wo willst du stehen? Bist du ein Komplize des Bösen oder widersagst du dem Bösen, noch dann, wenn der Preis des Widersagens hoch ist?

Das graue Mitläufertum, das sich verstecken will im Mainstream, scheitert. Der Zeitgenosse 2020 muß, wie Franz Jägerstätter einst, Farbe bekennen, ganz einfach deshalb, weil das Böse nebenan ist und in seinem Wohnzimmer – in den Lügen der Medien, in der globalen Gehirnwäsche, in der ubiquitären Propaganda. Da hilft es nicht, sich mit der Floskel zu betäuben: Alles halb so schlimm, oder mit der Ausrede: Die anderen laufen mit, warum soll ich gegen den Strom schwimmen? Ein Kommentator des Films im Internet schreibt: »Wir töten immer noch unschuldige Menschen, mit der ganzen Unterstützung der Regierung dahinter - die, die keine Stimme haben, die Ungeborenen. Wo werden wir stehen? Auf der Seite Gottes und der Gerechtigkeit, egal, was es kostet? Und es wird Kosten geben.«

Jägerstätter wird zum Zeugen des unausweichlichen Anspruchs des Gewissens. Ihn selbst bedrängte dieser Anspruch, zumal seine nächste Umgebung seine Entscheidung, den Dienst an der Waffe für ein verbrecherisches Regime zu verweigern, nicht nur nicht verstand, sondern Franz unter Druck setzte, seinen Entschluß rückgängig zu machen.

In seiner Not suchte er Rat bei der kirchlichen Obrigkeit. Der Besuch beim damaligen Linzer Bischof ist belegt. Franziska, seine Frau, begleitete ihn, war aber während des Gesprächs zwischen dem Bischof und ihrem Mann nicht anwesend. Sie erinnerte sich, daß Franz, als er aus dem Zimmer des Bischofs kam, sehr traurig war: »Er sagte zu mir: Sie trauen sich selber nicht, sonst kommen‘s selber dran.«

Franz kam dran. Er wurde hingerichtet. Seine Frau Franziska erlebte in ihrem Dorf einen jahrzehntelangen Karfreitag. Franz, der Verräter. Franziska, die verschrobene, fromme Mitverräterin. Spät, sehr spät, so sie, begann das Licht des Ostermorgens aufzuscheinen.

Malick zeigt auch dies: Die Liebe der Gatten. Franz und Franziska. In dem Trailer zum Film gibt es die herrlichen ersten 40 Sekunden. You remember the day when we first met? I remember… Und da ist die Stimme Franziskas aus dem Off. Und die Geige setzt ein, und die Bilder voller Poesie sind da. Und das Glück ist da.