Freitag, 9. November 2018

Die Rose, immer


 Benedikt XVI. hat bekanntlich der jetzigen Zeit die Diagnose Diktatur des Relativismus ausgestellt.

Diktatur meint ein Regime, welches tyrannisch, gegebenenfalls mit Gewalt, seine Ideologie durchsetzt. Relativismus meint eine Haltung, der alles gleichgültig ist, die unablässig die Gleichwertigkeit aller Meinungen postuliert, Wahrheit als obsoletes Konstrukt brandmarkt, dabei jedoch – denn wir befinden uns wie gesagt in einer Diktatur - jeden Abweichler der zwangsverordneten Maßnahmen rigoros an den Pranger stellt, wiewohl sie doch angeblich jede Ansicht für gleichberechtigt hält.

Nun ist diese Diktatur des Relativismus nicht vom Himmel gefallen. Sie hat vielmehr ihre emsigen Förderer, Werbeträger, Multiplikatoren, Höflinge – und Literaten. Denn damit die Diktatur ihren akademisch-ästhetischen Anstrich bekommt, dazu bedarf es des Literaten, der geschickt die notwendige Patina zur Verfügung stellt, die der Diktatur quasi den Nimbus des Auratischen verleiht.

Umberto Eco ist einer der Vorreiter der relativistischen Agenten und Mitläufer. Sein Roman Der Name der Rose wurde nicht zufällig ein internationaler Bestseller. Er paßte haargenau in die Diktatur des Relativismus, und raffinierter noch, er jonglierte mit katholischen Requisiten, plazierte die Handlung in eine altehrwürdige Abtei, zitierte das Stundengebet der Kirche, spielte mit biblischen Referenzen und gab sich als Kenner der monastischen Praktiken, so daß der von der kriminalistischen Geschichte narkotisierte Leser den Roman gar für eine moderne Variante einer seriösen Wahrheitssuche mißverstehen konnte.

Ein Freund hatte mir seinerzeit, verführt von den multiplen religiösen Bezügen, den Roman zur Lektüre empfohlen. Verführt, denn tatsächlich zelebriert der Roman die genüßliche Zerstörung jedes Wahrheitsanspruchs und legt die Abtei, welche, wenn es mit rechten Dinge zuginge, das katholische Bollwerk wäre, am Ende der Handlung in Schutt und Asche.

Die vermeintliche Suche nach Sinn ist eine Illusion. Es gibt keinen. Das nominalistische Fazit des Romans, das, wenn man es jeder intellektuell glitzernden Falschmünzerei entkleidet, der schieren Verzweiflung das Wort redet, lautet: »Vielleicht gibt es am Ende nur eins zu tun, wenn man die Menschen liebt: sie über die Wahrheit zum Lachen bringen, die Wahrheit zum Lachen bringen, denn die einzige Wahrheit heißt: lernen, sich von der krankhaften Leidenschaft für die Wahrheit zu befreien.«

Aber, so höre ich den Leser des Romans entgegnen. Aber der Roman ist doch nicht so ernst zu nehmen, seine Lektüre macht Spaß, darum geht‘s, um den Spaß an der Literatur. Es ist dasselbe Argument, mit dem der Harry-Potter-Leser anmarschiert kommt: Aber der Spaß. Man soll nicht übertreiben, das Ganze nicht so ernst nehmen.

Damit tut man Eco keinen Gefallen, der einst sehr wohl die Wahrheit kannte. Als Sechzehnjähriger war er frommer Kirchgänger, nach seinen eigenen Worten ging er täglich zur heiligen Kommunion. Und als junger Mann promovierte er über die Ästhetik des heiligen Thomas von Aquin. Danach geschieht der Abfall. Eco gibt den katholischen Glauben auf, und der Spott und der Zynismus und der beißende Skeptizismus beginnen ihre zerstörerische Maulwurfsarbeit. Das ist Ecos Entscheidung. Kein ominöses Fatum, sondern die Entscheidung des Literaten Eco für die Destruktion.

Nicht einmal die Rose darf am Ende bleiben. Denn auch die Rose ist lediglich ein Name, ein verwelktes Zeichen, nichtssagende Konvention.

Ach je. Jeder Liebende weiß es besser. Goethe weiß es besser:

Ist’s möglich, daß ich, Liebchen, dich kose,
Vernehme der göttlichen Stimme Schall!
Unmöglich scheint immer die Rose,
Unbegreiflich die Nachtigall.

Grafik: Photo by Tom The Photographer on Unsplash