Freitag, 17. August 2018

Die Zauberflöte

 
(Für U. und B.)

Es gibt ein berühmtes s/w-Photo von Werner Bischof, welches zu den Klassikern der modernen Photographie gehört. Zurecht. Denn es vereint die Spannungen des Lebens, aber es führt diese Spannungen nicht in das Zerreißen, sondern vereint sie im harmonischen Miteinander und läßt so die Melodie des Lebens erklingen.

Eine Junge geht in den Anden. Er ist mitten in der Bewegung. Obgleich er in den Bergen geht, auf steinigem Weg, ist sein Schuhwerk, angesichts dieses Untergrunds, von seltsam zarter Beschaffenheit. Und die nackten Füße und die ungeschützte Haut der Beine scheinen dem erdigen Untergrund denkbar unangemessen.

Unangemessen auch hinsichtlich der Tatsache, daß der Knabe offensichtlich keinen harmlosen Pfad geht, ja noch nicht einmal einen gekennzeichneten Pfad, sondern vielmehr ein wegloses Stück Wegs, der zudem an einem Abgrund entlangführt.

Und um die Herausforderung des Gehers noch zu erhöhen, trägt dieser Wanderer, der da so zügig ausschreitet und der kein Alpinist ist, sondern, wie gesagt, ein Knabe in den peruanischen Anden, eine schwere Last auf dem Rücken.

Also alles in allem, so könnte man nach dieser unvollständigen Bildbeschreibung meinen, ein schweres Bild. Eine niederdrückende Fotografie.

Aber dem ist nicht so.

Über dem ganzen Lichtbild – und dies ist ja die Übersetzung des vom Griechischen übernommenen Lehnworts Photographie – liegt eine gleichsam schwerelose Leichtigkeit. Der Junge ist behütet. Tatsächlich behütet. Ein himmlischer Schutz läßt ihn trotz seiner Lasten unbeschwert vorwärtsgehen. Kein Zögern. Kein Zaudern. Stattdessen die selbstverständliche Konzentration und die sichere, traumwandlerische Sicherheit des Kindes, welches wissend-nichtwissend um seine Geborgenheit weiß.

Und über allem liegt die stille, wunderbare Musik der Zauberflöte (wer Ohren hat zu hören, der höre). Nun komm und spiel die Flöte an! Sie leite uns auf großer Bahn! Wir wandeln durch des Tones Macht froh durch des Todes düstre Nacht.

Der Photograph dieses Lichtbildes – auch dies gehört zu der unauslotbaren Rätselhaftigkeit des Lebens - ist 1954 in den peruanischen Anden tödlich verunglückt, während sein Lichtbild weiterhin leuchtet. Und die Musik noch immer erklingt. Sehr still. Aber doch.