Freitag, 21. Juli 2017

Alles oder Nichts


Was geschieht in der Beichte?

Die Sünden werden vergeben. »So spreche ich dich los von deinen Sünden«, so betet der Priester, und der Pönitent kann wieder aufatmen.

Um das, was hier geschieht, tiefer zu verstehen, kann es hilfreich sein, sich das Gebet anzuschauen, welches im lateinischen Rituale der Priester vor der eigentlichen Absolution zum Pönitenten hin spricht. Da heißt es: Indulgentiam, absolutionem et remissionem peccatorum tuorum tribuat tibi omnipotens et misericors Dominus. Amen (Nachlaß, Vergebung und Verzeihung deiner Sünden schenke dir der allmächtige und barmherzige Herr. Amen).

Uns geht es hier um das dritte Wort: remissionem. Wörtlich übersetzt heißt es: Zurückschickung. Dem Beichtkind wird also, nach dem gültigen Sündenbekenntnis, versichert, daß der Herr ihm die Zurückschickung der Sünden gewährt.

Was heißt das? Wohin werden die Sünden geschickt?

Dorthin, woher sie kommen – ins Nichts. Denn die Sünde ist im Grunde nichts. Daß es sie überhaupt gibt, hängt nicht damit zusammen, daß sie ein eigenes Wesen vorzuweisen hätte. Sünde ist angewiesen auf den Sünder, und das heißt, sie wird erst überhaupt zu einem Etwas durch uns, indem nämlich wir, die Sünder, dem Nichts von unserem Leben abtreten. Anders gesagt: Indem wir dem Widersacher, der Unperson, dem toten Schatten, zu dessen usurpierenden Macht aus unserem Eigenen verhelfen.

Man kann es auch mit einem der bekannten Filmtopoi erklären: Der Vampir ist der Tote der Finsternis. Zum makabren Scheinleben des Vampirs kommt es dadurch, daß der Finstere das Blut seiner Opfer saugt. Im Vorgang des Sündigens geschieht Vergleichbares: Der Sünder tritt von seinem ureigenen Leben an das finstere Nichts ab, welches sich danach aufbläht, als sei es etwas, während es weiterhin Nichts ist, allerdings nun ein Nichts, welches unter der Maske des Seins auftritt.

In der heiligen Beichte schickt der Priester in persona Christi dieses angemaßte, aufgeblähte Nichts in sein angestammtes Nichts zurück. Will man ein weiteres Bild bemühen, so könnte man sagen: Der Schatten, der sich in der Sünde zum dominierenden Dunkel aufplustert, fällt in der heiligen Beichte, da der Priester die lichtvolle Lossprechungsformel betet, in Nichts zusammen, denn vor dem Licht Christi hat der Schatten keinen Bestand.

Im Credo, dem Glaubensbekenntnis der katholischen Kirche, jeden Sonntag feierlich gebetet, wird diese Tatsache noch einmal verbindlich bekannt. Denn auch hier heißt es: in remissionem peccatorum – ich glaube an die Vergebung der Sünden. Ich glaube, daß die Sünden kraft Gottes im Nichts verschwinden.

Nach einem spätmittelalterlichen Legendentext aus dem 15. Jahrhundert hat man die 12 Artikel des Credo jeweils einem Apostel zugeschrieben. Den Artikel der Sündenvergebung hat man dabei dem heiligen Judas Thaddäus zugeordnet, dem Patron der schwierigen und menschlich aussichtslosen Fälle.

Uns scheint diese Legendenfassung der volkstümlichen Frömmigkeit durchaus vielsagend. Denn ist es nicht so, daß der Sünder oft genug in der Versuchung steht, an seinen schweren Sünden zu verzweifeln, da er sie für nicht-verzeihbar hält, mit anderen Worten: Weil er wähnt, das Dunkel sei unaufhellbar?

Doch diesem Sünder versichert der hl. Judas Thaddäus, der die Lüge der Aussichtslosigkeit aufdeckt, die befreiende Wahrheit: Nicht die Finsternis siegt, sondern das Licht, denn in der heiligen Beichte geschieht die Zurückschickung deiner Sünden ins Nichts, auf daß das Alles triumphiert: »Siehe, Ich mache alles neu« (Offenbarung 21,5).

Grafik:    Darstellung der Beichte der Sophie von Bayern bei Johannes Nepomuk in der Servitenkirche in Wien. Von Herzi Pinki – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=16738064