Mittwoch, 6. Juli 2016

Die verführerischen Praktiken der »Frau Torheit«

Im Exerzitienbuch des hl. Ignatius von Loyola gibt es die Anweisung, daß – wenn man biblische Szenen betrachtet – der Schauplatz der Szene zuzubereiten ist. Gemeint ist damit, daß der Betrachter die entsprechende biblische Passage nicht nur liest wie einen beliebigen Text, sondern sich in den Text wortwörtlich hineinbegibt beziehungsweise sich vom heiligen Wort in das Mitgeteilte hineinführen läßt, um so den Text in das je Jetzt und Heute zu aktualisieren. Denn lebendig ist das Wort Gottes, gemäß dem Hebräerbrief, kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert … (4,12).

An die Weisung des Ignatius mußte ich denken, als ich dieser Tage folgende Stelle aus der Heiligen Schrift las: Frau Torheit fiebert nach Verführung; das ist alles, was sie versteht. Sie sitzt vor der Tür ihres Hauses auf einem Sessel bei der Stadtburg, um die Vorübergehenden einzuladen, die geradeaus ihre Pfade gehen: Wer unerfahren ist, kehre hier ein. Zum Unwissenden sagt sie: Süß ist gestohlenes Wasser, heimlich entwendetes Brot schmeckt lecker. Und er weiß nicht, daß Totengeister dort hausen, daß ihre Gäste in den Tiefen der Unterwelt sind.


Die verführerischen Praktiken der Frau Torheit – oh ja, die gibt es auch heute, aber anders als man denkt. Noch neulich erzählte mir eine junge Mittzwanzigerin über ihre Abtreibung, die gerade mal ein Jahr zurücklag. Man habe sie belogen, so die junge Frau. Alles sei einfach, die Uhr werde zurückgedreht, danach könne sie weiterleben wie bisher, so hatten die süßen Versprechungen des Abtreibers gelautet. Es war die schiere Verführung, getarnt als Mitmenschlichkeit. Und nach dem Eingriff, wie die Abtreibung routinemäßig und schönfärberisch genannt werde, ruhe man sich ein wenig aus, trinke bei Bedarf einen Tee und esse einen Keks, und das war’s dann.

Vonwegen. Vor mir saß die junge Frau, der die Augen aufgegangen waren. »Es ist alles eine Lüge, es geht nur um Geld und Geschäftemacherei.« Das sagte sie nicht ruhig-gelassen, sondern unter Tränen. Denn das rosige Danach, welches man ihr vorgegaukelt hatte, zerplatzte wie eine Seifenblase. Was blieb war der nagende, vergebliche Wunsch, die Abtreibung rückgängig zu machen, und die täglichen Schmerzen über das schreckliche Unglück.

Der Unerfahrene »weiß nicht, daß die Totengeister dort hausen«, so die Bibel. Dort: In den modernen Abtreibungsstätten, die am Fließband arbeiten, und dies unter dem verführerischen Label der »Frauengesundheit«.

Grafik:   Timo Klostermeier/pixelio.de