Daß Michelangelo ein genialer Anatomiker war, ist bekannt. Man braucht nur seine anatomischen Zeichnungen anzuschauen, um dies wahrzunehmen.
Doch wie exakt, ja akribisch Michelangelo seine Studien betrieb, das kann eine seiner großen Plastiken anschaulich machen. Wir meinen die Skulptur des Moses.
Am rechten Unterarm des Moses ist ein kleiner Muskel zu sehen. Dieser Muskel ist normalerweise unter der Oberfläche der Haut verborgen. Doch wenn man den kleinen Finger krümmt, tritt dieser Muskel an die Oberfläche. Dieses anatomische Faktum kann jeder selbst an seinem Körper nachvollziehen. Michelangelo bildet im Marmor des Moses genau diese Besonderheit ab (siehe Foto).
Doch dies ist zugleich mehr als ein lediglich reproduziertes anatomisches Detail. Es ist Lobpreis. Lobpreis des allmächtigen Schöpfers, dem Michelangelo in seiner Kunst die treue Reverenz erweist. Kunst wird zum Preisgesang. Sie macht sichtbar, wie grandios der menschliche Körper vom göttlichen Konstrukteur geschaffen wurde. Und der große Künstler deformiert nicht das Geschaute, sondern stellt es in das Licht der Wahrnehmung.
Michelangelo gibt auf seiner Tafel, dem gefügigen Marmor, wieder, was er in seinen anatomischen Studien von den Gesetzen Gottes erkennen durfte.
Und wer erkennt? Der Liebende erkennt. Noch das Verborgene.
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