Samstag, 3. September 2022

KV 488


Es soll Musikliebhaber geben, welche das Adagio, von dem hier die Rede ist, für so erhaben halten, daß in ihren Augen weder ein vergangenes noch ein zukünftiges Adagio an dieses je heranreichen kann.

Die Rede ist von Mozart. Und das Adagio ist der Mittelsatz aus dem 23. Klavierkonzert, KV 488.

Wie simpel, mag ein unbedarfter Hörer denken. Tatsächlich ist der Klavierpart des langsamen Satzes von einem Schüler, der mal gerade drei Jahre Praxis hinter sich hat, zu bewältigen. Oder?

Ja. Vielleicht. Aber selbst noch die Technik will bei Mozart beherrscht sein. Denn was Mozart auszeichnet, ist, daß die Noten dem untergeordnet sind, was in den Gebeten der Totenliturgie früher noch zur Sprache kam, während man es heute vergeblich sucht: Die Seele.

Ja, die Seele. Und das heißt zugleich die Schmerzen, das Glück, die Lust, die Trauer, die Abschiede, das Vergängliche, die Sehnsucht. 

Nun ist Mozart nicht der einzige Komponist, der eben diesen Seelenzuständen Klang gibt. Doch was ihn unterscheidet von soundsovielen Anderen, scheint in der Tatsache begründet, daß hier ein Mensch diese Zustände kennt und zugleich es schafft, ihnen den Zauber der kindlichen Unschuld zu bewahren.

Der Hörer des Adagios, der vielleicht gerade den Schmerz eines Abschieds zu meistern hat, hört Mozart und ist besänftigt. Und dies nicht, weil Mozart verdrängt oder verschweigt oder verzärtelt, sondern weil er, der erwachsene Komponist, der die Schläge des Lebens zur Genüge kennt, es gleichwohl vermag, den Noten die ungeheuchelte Patina der Kindheit zu verleihen, so daß der Hörer weiß oder ahnt, daß die Welt, wenn sie musikalisch derart zu bewältigen ist, im Grunde nicht die arge ist, als die man sie tagaus tagein deklariert, sondern die trotz allem heile.

Bei einem kleineren Komponistenkopf wäre die Patina zum rosaroten Gefühl oder gleich zum Kitsch geraten. Bei Mozart beginnt die Patina zu leuchten. Dazu bedarf es freilich auch des Interpreten, womit wir wieder bei der Technik sind. Denn die ach so einfachen Noten brauchen, da sie Seelennoten sind, mehr als drei Jahre Fingerübungen. Falsche Anschläge machen die Patina zum Rost. Falsche Tempi degradieren die Kindheit zum abgelegten Durchgangsstadium. 

Um so schöner, wenn eine Aufnahme glückt.