Samstag, 23. April 2022

Si consurrexistis

Die biologische Tatsache, daß der Mensch zwei Lungenflügel hat, wendete Papst Johannes Paul II. 1980, anläßlich der Ernennung der Slawenapostel Cyrill und Methodius zu Europaheiligen, ins Geistliche, indem er davon sprach, daß das christliche Europa »auf beiden Lungenflügeln atmen« müsse, nämlich dem römisch-lateinischen wie auch dem slawisch-byzantinischen.

Wir wollen diese Anregung aufnehmen und zwar anhand zweier Auferstehungsbilder, die gut zu zeigen vermögen, wie die wechselseitige Befruchtung und Bereicherung des beidseitigen Atmens ausschauen kann.

Die klassische Auferstehungikone der Westkirche -  repräsentativ sei hier auf Grünewalds Christus verwiesen – stellt den auferstandenen Herrn als den glorreichen Sieger dar. Das gleichsam explodierende Licht des Ostermorgens umstrahlt ihn. Die Wunden, dem Betrachter hingehalten, sind die verklärten Zeichen des Sieges. Der Weltherrscher lebt in unangefochtener Majestät. Die in den Darstellungen oftmals am Boden niedergestreckten ohnmächtigen römischen Soldaten vervollständigen das Bild des Triumphators. Die einzig logische Reaktion auf diesen herrlichen Überwinder des Todes ist die Anbetung beziehungsweise die lobpreisende Prostratio, das Niederfallen vor dem König des Alls.

Die Ostkirche hat einen anderen Typos ausgebildet.

Die berühmte orthodoxe Anastasis-Ikone stellt naturgemäß auch den österlichen Sieger dar, dessen Gewand im unvergänglichen Taborlicht leuchtet, doch zugleich mit dem siegreichen Bezwinger des Hades’ und des Todes zeigt die Ostkirche den Menschen, der dem Tod verfallen war und der nun von eben dem herrlichen Sieger gerettet wird.

Adam, der Prototyp des gefallenen Menschen, wird von der Hand des Auferstandenen aus seinem tödlichen Elend herausgezogen und emporgehoben in den Ostermorgen hinein.

Das aber heißt, daß die Ikonenkunst des Ostens zur Darstellung bringt, was der Völkerapostel Paulus im Kolosserbrief 3,1f in die Worte faßt: 

»Wenn ihr nun mit Christus auferweckt worden seid, so strebt nach dem, was oben ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt! Richtet euren Sinn auf das, was oben ist, nicht auf das Irdische! Denn ihr seid gestorben und euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott.«
Die Sprengkraft dieser Worte muß man an sich heranlassen. Daß Christus zu unserem Heil seinen Himmel verlassen hat, bekennen wir im Credo. Daß er für uns Blut geschwitzt hat und gegeißelt und gekreuzigt wurde, beten wir in jedem schmerzhaften Rosenkranz. Für uns und also auch für mich ist Christus gekommen und hat den Tod erlitten.

Wir neigen jedoch zu vergessen, daß auch die Auferstehung für uns ist: Si consurrexistis… Wenn ihr mit Christus auferstanden seid. Denn wenn wir, wie der gefallene Adam, uns von der Hand des Auferstandenen ergreifen lassen, sind wir wortwörtlich Mit-Auferstehende.

Es ist wie immer. Da der Mensch ein Gebilde aus Staub ist, muß er nicht viel tun. Von ihm wird, seinem kränklichen Status entsprechend, wenig verlangt, doch dieses Wenige sollte er tun. Er sollte, wie die Emmausjünger, zum Auferstandenen sagen: Bleibe bei uns, Herr. Und er sollte, seine Hand ausstreckend nach dem einzigen Retter, sich von seinem Heiland ergreifen lassen. Und er sollte seinen Retter liebend anbeten und er sollte vor dem ewig Unbegreiflichen, der aus unergründlicher Barmherzigkeit Seine Hand dir zum Begreifen hinhält, lobpreisend niederfallen.

Er sollte… Aber wenn der Mensch endlich zu begreifen beginnt, dann ist das Sollen längst zu einem Dürfen geworden. Aus der Pflicht ist der grenzenlose Dank geworden, aus dem Muß das verstehende Verehren.

Und dann, ja dann, atmet der Mensch auf.

Grafiken: wikicommons