Samstag, 2. April 2022

Schaffe Schweigen!

Es gehört dies zu den härtesten Worten Jesu: »Ich sage euch: Über jedes unnütze Wort, das die Menschen reden, werden sie am Tage des Gerichts Rechenschaft ablegen müssen, denn aufgrund deiner Worte wirst du freigesprochen, und aufgrund deiner Worte wirst du verurteilt werden« (Matthäus-Evangelium 12,36f).

Die Warnung Jesu trifft um so härter, da wir in einer Zeit leben, die tagein tagaus geschwätzig ist. Bezeichnenderweise ist das Format, welches auf sämtlichen Fernsehkanälen gustiert wird, die Talkshow, mit anderen Worten das institutionalisierte Geschwätz.

Daß der Mensch mit dem Wort behutsam umzugehen hat, sollte jeder ernstzunehmende Christ wissen. Die Kirche in ihrer Liturgie erinnert gleich zu Beginn der heiligen Messe die Gläubigen daran, daß es auch die Sünden des Wortes gibt: Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken, heißt es im Schuldbekenntnis. Denn das Wort hat seine ureigene Dignität, und der Mensch als Träger und Hörer des Wortes ist dem Geist des Wortes verpflichtet. Das aber heißt, er ist Christus verpflichtet, dem fleischgewordenen WORT.

An den Christen der frühmonastischen Zeit kann man diesbezüglich neu lernen, wie groß und ehrfurchtgebietend der rechte Umgang mit dem Wort ist.

Zu den Wüstenvätern kamen die damaligen Ratsuchenden mit einer Bitte, die sehr schlicht lautete: Vater, gib mir ein Wort.

Der in die Wüste Aufgebrochene, der, oft in einer Lebenskrise, den Mönch aufsuchte, um Weisung und Orientierung für sein versehrtes Leben zu empfangen, traf nicht auf einen geistlichen Vater, der schwätzte. Der Wüstenvater war vielmehr derjenige, der in der Stille gelernt hatte, sich vorzubereiten, um das WORT zu empfangen, das Wort Gottes.

Der Wüstenvater nahm sich zu Herzen, was der Herr beim Propheten Jesaia sagt: »So ist es auch mit dem Wort, das Meinen Mund verläßt: Es kehrt nicht leer zu Mir zurück, sondern bewirkt, was Ich will, und erreicht all das, wozu Ich es ausgesandt habe« (55,11). Gott braucht keine langen Traktate und Abhandlungen. Wenn Er komm sagt, dann genügt das, und wenn Er Folge Mir nach sagt, dann genügt auch das.

Darum machte der Wüstenvater, der in die Schule Gottes ging, nicht viele Worte, wenn er dem in die Wüste Gekommenen ein erbetetes, göttliches Wort mit auf den Heimweg gab, wohl wissend, daß dieses Wort den Schüler, wenn es liebevoll gekaut und wiedergekaut wurde, reinigen, läutern und erleuchten würde. Denn das geistliche Wort war und ist das Lebensmittel, welches nährt und in der liebevollen Besinnung Frucht bringt.

Die drei grundlegenden Voraussetzungen für die Fruchtbarkeit des Wortes sind damit aufgezeigt: Ich muß aufbrechen, ich muß still werden und ich muß empfangsbereit sein. Das aber heißt: Ich muß viel loslassen: Die Gewohnheit, das Geschwätz und das Geschäftemachen.

Das Stillwerden zählt unter den wesentlichen Bedingungen der Wandlung heutzutage zum Schwierigsten. Kierkegaard hat dies bereits sehr hellsichtig zu seiner Zeit erkannt. Er gibt zur Selbstprüfung zu bedenken:

»Betrachtet man - wozu man vom christlichen Standpunkt aus gewiß berechtigt ist - den jetzigen Zustand der Welt und das ganze Leben, so müßte man sagen. Es ist eine Krankheit. Wenn ich ein Arzt wäre und mich einer fragte: Was meinst du, muß getan werden?, so würde ich antworten: Das Erste, was getan werden muß, und die unbedingte Voraussetzung dazu, daß überhaupt etwas getan werden kann, ist: Schaffe Schweigen! Gebiete Schweigen!
Gottes Wort kann ja nicht gehört werden, und wenn es mit Hilfe lärmender Mittel geräuschvoll hinausgerufen wird, damit man es auch im Getöse hören kann, so bleibt es nicht Gottes Wort. Schaffe Schweigen!!
Ach, alles lärmt (…) Der Mensch, dieser gewitzigte Kopf, sinnt fast Tag und Nacht darüber nach, wie er zur Verstärkung des Lärms immer neue Mittel erfinden und mit größtmöglicher Hast das Geräusch und das leere Gerede möglichst überallhin verbreiten kann. Ja, was man auf solche Weise erreicht, ist wohl bald das Umgekehrte: die Mitteilung ist an Bedeutungsfülle wohl bald auf den niedrigsten Stand gebracht, und gleichzeitig haben umgekehrt die Mittel der Mitteilung in Richtung auf eilige und alles überflutende Ausbreitung wohl das Höchstmaß erreicht, denn was wird wohl hastiger in Umlauf gebracht als das Geschwätz?! Und anderseits: Was findet willigere Aufnahme als das Geschwätz?! - O, schaffe Schweigen!!«

Grafik: Photo by Scott Umstattd on Unsplash