Was ist das Ziel des christlichen Lebens?
Was würden Sie antworten? Haben Sie sich schon mal die Frage gestellt?
In einem nachgerade berühmt gewordenen Gespräch mit einem Gutsbesitzer, den besagte Frage nicht in Ruhe ließ, sagt der heilige Seraphim von Sarov, daß das Ziel des christlichen Lebens darin bestehe, den Heiligen Geist zu erwerben.
Die gesamte Passage, aus der dieses Diktum stammt, lautet wie folgt:
»Man sagte Euch: Geh zur Kirche, bete zu Gott, erfülle die Gebote Gottes, tue Gutes – da hast du das Ziel des christlichen Lebens! Einige zürnten Euch sogar, daß Ihr von einer nicht gottwohlgefälligen Neugierde ergriffen wäret, und sagten: Suche nicht nach höheren Dingen über dir! Sie haben Euch nicht so geantwortet, wie sie es hätten tun sollen. Ich, der armselige Seraphim, will Euch auseinandersetzen, worin dieses Ziel nun wirklich besteht.Vielleicht ist so mancher erstaunt über diese Antwort des Heiligen, was nicht zuletzt daran liegen mag, daß der Heilige Geist im Leben etlicher Christen zumeist ein kümmerliches, wenn nicht vergessenes Dasein führt. Der Heilige Geist – wer ist das?
Gebet, Fasten, Wachen und alle anderen christlichen Werke mögen an und für sich noch so gut sein, aber das Ziel unseres Christenlebens ist nicht nur im Verrichten dieser Werke zu suchen, wiewohl sie unerläßliche Mittel sind, um dieses Ziel zu erreichen. Das wahre Ziel unseres christlichen Lebens besteht in dem Erwerben des Heiligen Geistes Gottes. Achtet wohl darauf, daß nur ein um Christi willen verrichtetes gutes Werk Früchte bringt. Alles aber, was nicht um Christi willen geschieht, wenn es auch gut ist, trägt uns keinen Lohn ein im künftigen Leben. So ist das, mein Gottesfreund!
So besteht denn in dem Erwerben eben dieses göttlichen Geistes das wahre Ziel unseres christlichen Lebens; Gebet aber, Wachen, Fasten, Almosen und andere um Christi willen getane gute Werke sind nur Mittel für die Erwerbung des Geistes Gottes.«
Laut Auskunft Jesu selbst ist die Person und die Vollmacht des Heiligen Geistes sehr deutlich benannt: Wenn aber jener kommt, so sagt der Herr, der Geist der Wahrheit, wird Er euch in die ganze Wahrheit führen (Joh 16,13).
Da haben wir’s: Die Wahrheit. Und gar noch die ganze Wahrheit. Kann es sein, daß wir uns vor dieser ganzen Wahrheit sträuben? Etwa vor der ganzen Wahrheit unseres Lebens?
Ist es womöglich harmloser, um nicht zu sagen bequemer, ein Almosen zu verrichten, als inständig um die Gabe des Heiligen Geistes zu bitten, weil man subkutan weiß, daß es ungemütlich werden könnte, wenn unsere Bitte um den Geist tatsächlich erhört werden würde? Mit anderen Worten: Ist es uns lieber, die ganze Wahrheit nicht zu wissen, statt sie zu wissen und damit ineins aufgestört zu werden aus Gewohnheiten, die nicht die Wahrheit sind?
Die Feststellung des russischen Heiligen hat es in sich. Im Grunde geht sie Hand in Hand mit der klassischen ersten Frage des katholischen Katechismus: »Wozu sind wir auf Erden?« und der entsprechenden Antwort: »Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen, Ihm in Liebe und Treue zu dienen und so zum ewigen Leben zu gelangen.«
Zum ewigen Leben jedoch gelangt man nicht im gewohnten Schlendrian. Und wenn noch so oft leichthin geträllert oder gar postuliert wird, daß alle, alle in den Himmel kommen, so gilt doch weiterhin, daß dieser Unernst in die Schranken zu weisen ist. Denn von Faschingsliedern werden wir nicht gerettet, wenn es ernst wird, wohl aber vom Heiligen Geist; denn es ist, so ein anderes Herrenwort, genau dieser Geist, der lebendig macht (Joh 6,63). Und das ewige Leben ist die Heimat eben jener, die lebendig sind und darum das ewige Leben, welches das Leben in Fülle (Joh 10,10) ist, genießen können.
»So ist das, mein Gottesfreund!«
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Roland Noé