Diese Fragen stellte mir einst ein junger Mann. Er stellte sie nicht leichtfertig, auch nicht um zu provozieren. Er stellte sie, weil er nach einer sinnvollen Antwort suchte.
Ja, warum ist die »Andacht zu Meinem Unbefleckten Herzen«, wie die Muttergottes in der dritten Erscheinung am 13. Juli 1917 sagt, so heilsbedeutend? Die Antwort, wie mir scheint, ist durchaus in der Heiligen Schrift verankert.
Die sieben letzten Worte Jesu am Kreuz sind bekannt. Sie sind gleichsam das Testament Jesu. Eines dieser Worte, im Johannesevangelium überliefert (19,25ff), lautet: Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.
Der Jünger, den Jesus liebte – mit diesem Jünger sind gleichsam alle gemeint, welche die Nachfolge Jesu leben wollen. Und diese haben es wie Johannes zu machen: Sie haben Maria, die Frau unter dem Kreuz, zu sich zu nehmen.
Im Griechischen heißt es: Johannes nahm Maria eis ta idia. Wörtlich müßte man übersetzen: Johannes nahm Maria in sein Eigenes auf. Damit ist mehr gemeint, als daß er die Muttergottes in seine Wohnung aufnahm. Der Evangelist will ausdrücken, daß der Lieblingsjünger Jesu Maria in seine Herzmitte aufnahm, in sein Innerstes. Was aber meint dies anderes, als daß sich der Apostel Johannes Maria ganz anvertraute, mit anderen Worten: Sich ihr weihte?
Johannes erfüllt damit den Auftrag Jesu. Und wenn 1900 Jahre später, in einem winzigen Dorf in Portugal, dieselbe Muttergottes, die unter dem Kreuz stand, von der Andacht und der Weihe an ihr Unbeflecktes Herz spricht, die – wie sie selbst sagt – »Gott will«, dann ist dies die Aktualisierung des Testaments Jesu in unsere Jetztzeit hinein. Und allem Anschein nach brauchen wir diese Gegenwärtigsetzung der Kreuzesstunde Jesu und seiner testamentarischen Verfügung um so dringender, weil wir auf die zentralen Geheimnisse des Glaubens mehr und mehr vergessen.
»Ihr habt die Hölle gesehen, wohin die Seelen der armen Sünder kommen. Um sie zu retten, will Gott die Andacht zu meinem Unbefleckten Herzen in der Welt begründen« (13. Juli 1917). Die Botschaft von Fatima wiederholt denselben Ernst und dieselbe Frohe Botschaft, die im Evangelium zu vernehmen sind. Kreuz und Erlösung, Hölle und Rettung. Und wieder ergeht der Ruf an jeden Einzelnen von uns: Siehe, deine Mutter. Und die Mutter wartet darauf, daß wir sie in unser Innerstes aufnehmen – wie Papst Franziskus, der sein Pontifikat Unserer Lieben Frau von Fatima weihte.
Oder in den Worten einer großem Mystikerin des 20. Jahrhunderts – Marthe Robin –, welche die Weisung Jesu radikal beherzigte:
»Gehen wir also zu Maria, denn sie ist unsere Mutter, die Mutter eines jeden von uns! Gehen wir zu ihr, denn sie ist die universelle Mittlerin zwischen Gott und uns. Ach, wüßten wir uns doch ganz klein zu machen! Würden wir doch unsere Blicke und unsere Herzen ihr zuwenden, die uns so sehr liebt!«