Mittwoch, 5. Oktober 2016

Das Leben feiern

In der Enzyklika Evangelium vitae (1995) schreibt Johannes Paul II.:
»Das Evangelium vom Leben feiern heißt: den Gott des Lebens, den Gott, der das Leben schenkt, feiern (Nr. 84).«

Das Leben feiern? – Ja, der Papst meint genau das!

Natürlich weiß auch der Papst, daß es vieles in unserem Alltag gibt, welches die Feier des Lebens verblassen, wenn nicht sogar vergessen machen könnte. Und doch betont der Papst unbeirrt dieses Feiern. Warum? Weil das Leben unverlierbar göttliches Geschenk ist: »Wir müssen das ewige Leben feiern, von dem jedes andere Leben herrührt. (…) Dieses göttliche Leben, das über jedem Leben steht, belebt und bewahrt das Leben.«

Vielleicht denkt jetzt einer: Na ja, das ist halt pastorale Rede, fromme Sonntagspredigt.

Tatsächlich?

Man sollte dann mal wieder den großen Dichtern zuhören. Den Sängern des Lebens. Zum Beispiel Goethe. Der Olympier, wie man ihn gerne verklärend auf den hohen Sockel stellte, hat den gar nicht olympischen, sondern sehr menschlichen Schmerz zur Genüge gekannt. Man denke nur an das Motto zur späten Marienbader Elegie (1823), welches er seinem klassichen Tasso (1790) entnahm und welches da lautet:

Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide.

Doch derselbe Goethe, und das kennzeichnet ihn, preist unverdrossen das Leben: im Schmerz wie im Jubel, im Ausatmen wie im Einatmen, im Herbst wie im Winter. Unvergeßlich, unter vielen, diese seine kristallenen Zeilen:

Ist’s möglich, daß ich, Liebchen, dich kose,
Vernehme der göttlichen Stimme Schall!
Unmöglich scheint immer die Rose,
Unbegreiflich die Nachtigall.

Goethe, Westöstlicher Divan

Grafik:   Johannes Westermann / pixelio.de