Samstag, 15. Mai 2021

»Und Petrus stieg aus dem Schiffe.«

Von Schiller stammt das bekannte Wort: »Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen und das Erhabene in den Staub zu ziehen.«

Ich kenne Kirchgänger, die ohne viel Federlesens den Herrn anschwärzen, wenn es darum geht, die eigenen kleinlichen Glaubenszweifel zu rechtfertigen. Dann heißt es, Jesus selbst habe schließlich am Kreuz ausgerufen: »Mein Gott mein Gott, warum hast Du mich verlassen?« Danach die banale Schlußfolgerung: Was der Herr kann, kann auch der Knecht, und schon ist der eigene faktische Unglauben absolviert.

Die Heiligen müssen gleichfalls herhalten.

Zum Beispiel der heilige Petrus.

Fragt man einen halbwegs Gebildeten nach dem Apostelfürsten, so kann man nahezu sicher sein, daß ein Kennzeichen (meist das einzige) des Profils des ersten Papstes todsicher hervorgekehrt wird: Petrus ist derjenige, der verleugnet hat. Und das gleich dreimal. Das war's.

Es ist nicht schwer, die Motive des Schillerschen Schwärzens zu ermitteln. Zumeist artikuliert sich darin die Absicht, das Große, das man sich selbst nicht zutraut, herunterzuziehen auf das Mittelmaß. Auf das Gewöhnliche. Da man, warum auch immer, in der Mühe des Alltags nach etlichen Niederlagen kapituliert hat (auch wenn man diese Kapitulation sich nicht eingesteht), versucht man nun, das wirklich Hohe und Unbesiegte zu diskreditieren, um ein für allemal den Uneinsichtigen zu übertölpeln: Siehst du, das Hohe ist eine Fiktion. Machen wir uns nichts vor, wir sitzen alle im selben Boot.

Um beim letzten Bild zu bleiben: Nein, wir sitzen nicht alle im selben Boot. Und um beim Boot und bei Petrus zu bleiben: Petrus ist derjenige, der aus dem Boot steigt. Darüber sollten wir Kleinmütigen mal nachdenken.

Reinhold Schneider hat dies getan. Er widmet ein paar Seiten diesem Petrus, dem Großherzigen. Schneider nennt seine kurzen Bemerkungen: Und Petrus stieg aus dem Schiffe.

Es zeichnet Schneider, der selbst zu den Großherzigen gehört, aus, daß er in seiner Meditation die Macht und die Herrlichkeit und die Schwäche des Petrus ineins aufstrahlen läßt. Er vermag die einfachen, herrlichen Sätze zu schreiben: »Und da nun Jesus das einfache Wort spricht: Komm!, so geschieht das Größte: Und Petrus stieg aus dem Schiffe...« 

Und Schneider - anders als die modernen Vorwitzigen - wahrt die ehrfürchtige Distanz zu dem großen Mann auf den Wellen:

»Aber wir können uns nicht denken, daß Petrus gezögert hat: Er ist augenblicklich auf die hochgeschwellten Wogen getreten und auf Christus zugeschritten. Dies muß mit völliger Sicherheit geschehen sein, nicht in einer Art magischer, traumwandlerischer Sicherheit, sondern in einer über das Irdische erhobenen Wirk­lichkeit: In der Gegenwart Christi. Wie lange diese Sicherheit währte, wie viele Schritte Petrus getan, wissen wir nicht; es ist einer der wunderbaren, in der Vorstellung kaum mehr vollziehbaren Au­genblicke, die sich so oft zwischen den Worten der Heiligen Schrift öffnen. Wir wagen kaum die Augen zu erheben, wir wagen es nicht, uns ein Bild zu machen; wir fühlen nur, im Sturm und Wogenschlag geschieht etwas Stilles, Ungeheures: Petrus schreitet über die Wellen.«
Und endlich: Schneider beläßt es nicht bei der Meditation des Vergangenen. Denn der Herr und die Tat des Petrus gehören nicht dem Vergangenen an, sondern sind Anspruch an das Heute und folglich an jeden von uns, der zu glauben bereit ist. Und daher sollten die weiteren Sätze Reinhold Schneiders unsere Herzen erreichen und erschüttern:

»Und wenn wir nun selbst im Schiffe wären im Sturm und zum anderen Ufer strebten, ohne es zu erreichen, und der Herr erschiene auf den Wellen, würden wir dann aus dem Schiffe steigen wie Petrus? Es müßte ja leichter für uns sein als für ihn, weil wir seine Geschichte kennen und wir besser wissen, als er damals wissen konnte, was der Herr erwartet und wie Er uns beistehen wird. Und vielleicht würden diejenigen, die mit uns im Schiffe sind, die Erscheinung wieder für einen Geist halten wie die Jünger, und von uns würde eine Tat verlangt, die unseren Glauben an die Macht des Herrn bezeugt. Unser Leben strebt vom Ufer unseres Ausgangs zum Ufer des Todes über die Geschichte hinweg, die aufgewühlt wird vom Sturm. Sind wir bereit, auf die Wellen zu treten, wenn die heilige Gestalt über ihnen erscheint? Wenn wir uns nur ein wenig besinnen, so wissen wir: Darum ward dem Sturme die Macht gegeben, damit wir ein Zeugnis ablegen. Alles ist in des Herrn Hand, Sturm und Wellen, das Schiff und die Gefährten und wir. Nicht darum geht es, daß das Schiff gerettet wird; – wir können es dem Herrn anvertrauen, Er kann es retten zu einer jeden Stunde, und es wäre doch eine törichte Antwort am Tage des Gerichtes, daß wir für das Schiff hätten sorgen müssen und daß wir es nicht verlassen konnten. Es geht vielmehr um das Zwiegespräch, das einst Petrus mit Christus geführt hat, um des Apostels gläubige Frage und um das einfache, mächtige Wort Komm!«