Freitag, 8. Januar 2021

Die Freiheit

Man macht immer wieder unvermutete, grandiose Entdeckungen.

Zum Beispiel: Peter Roseggers Roman aus der Zeit der Tiroler Freiheitskämpfe mit dem Titel Peter Mayr. Der Wirt an der Mahr.

Mayr zählt, ebenso wie Andreas Hofer, zu den berühmten Tiroler Gestalten, die sich der Invasion der Napoleonischen Truppen und derer Verbündeten seinerzeit kämpferisch entgegenstellten. Und ebenso wie Hofer bezahlte Mayr diesen Kampf mit seinem Leben.

Rosegger stellt den Kampf des bäuerlichen Wirten derart dar, daß er – trotz künstlerischer Freiheiten, die er sich nimmt – den Schwerpunkt seiner Erzählung historisch exakt in Mayrs Lebenseinstellung verankert, welche leitmotivisch im Titel des letzten Romankapitels gipfelt: »Ich will nicht mein Leben durch eine Lüge erkaufen!«

Denn als Mayr, der geradlinige, gleichwohl schuldig gewordene Mann als Rebell gefangen und schließlich vom Kriegsgericht zum Tode verurteilt wird, bietet man ihm, nach der Intervention seiner Frau beim zuständigen General, die Revision des Verfahrens sowie die damit in Aussicht gestellte Freisprechung an – allerdings um den Preis, daß er öffentlich, ein paar Worte würden genügen, erklärt, von dem voraufgegangenen Friedensschluß der Kriegsparteien nichts gewußt zu haben. Mit anderen Worten: Mayr soll seine Rettung mit einer Lüge erkaufen.

Ein fünftklassiger Autor hätte die finale Gewissensprüfung des Helden als bombastisches Rührstück inszeniert. Mayr in der Arrestzelle, besucht von der Gattin samt Kindern, die ihren Ehemann umzustimmen sucht. Tränen, Ohnmacht, wieder Tränen, Haareraufen und das komplette Arsenal des Schmierentheaters.

Anders Rosegger. Er verbietet sich jeden Kitsch. Er schildert, ganz seinem Helden gemäß, geradlinig die Ereignisse, ohne die Tunke pathetischer Unerträglichkeit.

»Die paar Worte sagst halt«, so seine Frau. Darauf er: »Welche paar Worte?«

Gerade weil der zum Tode Verurteilte seine Frau und seine Kinder liebt, gibt er ihnen zu guter Letzt das Erbe mit auf den Weg, welches wahrhaft Erbe ist: »An den Waffen sind wir nicht zugrunde gegangen, an der Lüge sind wir zugrunde gegangen. Und ich soll sie jetzt anerkennen, mit Blut und Leben heiligen, vor Gott und Welt sagen: Seht, ich halte es mit der Lüge? - Nein, mein Weib, meine Kinder, ihr seid mein Alles, mein Alles auf Erden, aber um diesen Preis kann ich nicht bei euch bleiben. Ich sage es euch, ich will lieber mit der Wahrheit sterben, als mit der Lüge leben.«

Der so spricht, ist, in der Schilderung Roseggers, kein kalter Unangefochtener, kein auf den Wolken Schwebender, sondern der bodenständige, grundehrliche Bauer, zu dessen Lebensweg auch dies gehört: Das Wanken und das Zittern und der »Blick voll unendlicher Todesangst«, als er zum Richtplatz geführt wird und das Unausweichliche sieht.

Doch auch dies: Das Kruzifix, das ihm der begleitende Kapuzinerpater reicht: »Peter nahm das Kreuz, drückte es an den Mund. Dann nickte er, es wäre schon besser, und erhob sich.«

Es ist der 20. Feber 1810, als der Freiheitskämpfer Peter Mayr unter den Gewehrsalven zusammenbricht. Es ist um die Mittagszeit.

Grafik: Schützenkompanie Bozen