Samstag, 26. September 2020

Der schwarze Tag

Heuchelei: Laut dem deutschen Wörterbuch von Wahrig versteht man darunter: »Verstellung, Vortäuschung nicht vorhandener guter Eigenschaften oder von Gefühlen.«

Heinrich Heine spricht von der kalten, gleißenden Schlangenhaut der Heuchelei.

In Zeiten von Corona wird ein neues Kapitel der gleißenden Verstellung aufgeschlagen. Plötzlich entdeckt man die Alten. Und das heißt: Man entdeckt seine Gefühle oder auch Gefühlchen für die Alten. Nun heißt es mit Emphase, daß die Alten eine Risikogruppe sind, und diese Gruppe ist zu schützen, unbedingt zu schützen.

Am besten begegnet man den Alten, selbst im Familienkreis, zwischen Glasscheiben, derart, daß es vorkommt, daß Kinder ihre Eltern nicht länger zuhause besuchen, im Wohnzimmer, sondern lediglich distanziert an die Fensterscheibe klopfen und hallo sagen.

Alles, wie gesagt, zum Schutz der lieben Senioren, die über Nacht mehr gehätschelt werden als der liebste Schoßhund.

Nur merkwürdig.

Die Politiker, die sich in die Brust werfen und das Wohl der Alten beschwören, sind – bleiben wir mal in Deutschland – dieselben, die im selben Atemzug beschließen, daß ab sofort die geschäftsmäßige Tötung eben dieser lieben Alten per Gesetz erlaubt ist. Denn seit dem schwarzen Tag, dem 26. Februar 2020 (dem Aschermittwoch!), ist mit höchstrichterlichem Beschluß das bis dahin »normierte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung« in Deutschland verfassungswidrig und also nichtig.

Wem angesichts dieser schlangenhaften Verrenkungen die Augen nicht aufgehen, dem helfen auch keine Aufwachpillen. Oder in den Worten Dávilas: »Die Verwesung der modernen Welt nicht zu spüren, ist ein Indiz der Ansteckung.«

Grafik: Photo by Sven Mieke on Unsplash