Aus etlichen Augenzeugenberichten weiß man, daß der Heilige von San Giovanni Rotondo mit einer verzärtelten Seelsorge nichts anzufangen wußte. Pönitenten - was durchaus keine Seltenheit war – wurde von Pater Pio die Absolution verweigert, weil sie mangelhaft disponiert waren, fehlende Reue an den Tag legten oder aus Neugierde zum heiligen Pater gekommen waren. Schroffheit in der Wortwahl war an der Tagesordnung.
Selbst Mitbrüdern und Nahestehenden des Heiligen waren die harschen Ermahnungen, Schelten und Hinausschmisse des Padre bisweilen zu deftig oder zu wenig zartfühlend.
Ein Biograph schreibt diesbezüglich: »Oft waren P. Pios Stellungnahmen gegen die Überschreitung der göttlichen Gesetze so hart, daß seine Begleiter sich eine sanftere, verständnisvollere Linie gewünscht hätten.«
Aber was verstehen wir schon von der Leidenschaft des Heiligen, Seelen zu retten? Während wir von Achtsamkeit und attraktiver Kirche und Nettsein als den pastoralen Shibboleths plaudern, vergießt der Heilige sein Blut.
Als ein Mitbruder des Stigmatisierten sich einmal wundert »über die Strenge des Paters, anläßlich einer kompromißlosen Stellungnahme gegen die Sünde der Abtreibung«, entgegnet der Heilige im Blick auf das Volk Gottes, welches allzu oft von seinen Hirten im Stich gelassen wird:
»Weißt du, wo das Problem liegt? Unsere Kirchgänger, die keine Strafpredigt brauchen, verwöhnen wir mit guten Worten und überflüssigen Ratschlägen, und die, die etwas Licht bräuchten, lassen wir im Stich, ohne das Allernötigste für ihre Rettung. Die brüderliche Strenge ist mehr wert als alle Nettigkeit der Welt.«
Grafik: Pater Pio in jungen Jahren. wikicommons.
Lit.: Der Padre. Der hl. Pio von Pietrelcina. Die Mission, Seelen zu retten. Augenzeugenberichte I. San Giovanni Rotondo 2010.