Donnerstag, 21. März 2019

Veritas eius


In seiner Einführung in das liturgische Jahr schreibt Dom Prosper Guéranger OSB (1805 - 1875), wie die Kirche ihre Kinder in der Fastenzeit sieht; es heißt:

»Sie sieht sie als eine große Armee, die Tag und Nacht gegen die Feinde Gottes ankämpft. Daher nennt sie am Aschermittwoch die Fastenzeit die Zeit des Kampfes der Soldaten Christi. Um neue Menschen zu werden, die würdig sind, an dem himmlischen Gesang teilzunehmen, müssen wir in  der Tat erst über unsere Feinde triumphiert haben: Über den Teufel, das Fleisch und die Welt. Verbunden mit unserem Herrn, der auf dem Berg gegen den Satan und eine dreifache Versuchung erfolgreich ankämpfte, müssen wir gewappnet und wachsam sein. Um uns in unserer Siegeszuversicht zu stärken, weist uns die Kirche auf den Psalm 91 hin, den sie zu den Meßtexten des ersten Fastensonntags zählt und dem sie für das Stundengebet dieses Tages einige Verse entnimmt.« (St. Ottilien, EOS Editions, Studien zur monastischen Kultur, Bd. 8, Sankt Ottilien 2014, 112). 

Psalm 91 beginnt mit den bekannten Worten: Wer im Schutz des Allerhöchsten wohnt... Es ist der Psalm, der sonntags im Nachtgebet der Kirche, der Komplet, gebetet wird. Bevor der Tag zu Ende geht, gedenkt der Beter noch einmal der schützenden Hand Gottes, die ihn vor allen Gefahren behütet, und nicht nur das, die ihm auch die sichere Vollmacht gibt, selbst auf Löwen und Drachen und Nattern zu treten.

Zu Beginn dieses großen Gebets, im fünften Vers, stehen die Worte: Schild und Schutz ist dir Seine Treue, du brauchst dich vor dem Schrecken der Nacht nicht zu fürchten.

Die Vulgata, die lateinische Übersetzung der Bibel gemäß dem heiligen Kirchenvater Hieronymus, schreibt: Scuto circumdabit te veritas eius, non timebis a timore nocturno.

Wörtlich: Mit einem Schild wird dich Seine Wahrheit umgeben, du brauchst dich vor dem nächtlichen Schrecken nicht zu fürchten.

Der Beter des Psalms weiß, daß er tagein tagaus auf einem Kampfplatz sich befindet. Nicht nur nachts, sondern auch, wie ausdrücklich festgestellt wird, am Tag und zu Mittag. Es ist die Zeit der Dämonen und der dämonischen Angriffe.

Aber der Beter weiß auch dies: Daß er behütet ist, von Gott selbst und von Gottes Boten, den Engeln. Und was diesem Wissen das felsenfeste Fundament gibt, ist das, was der fünfte Vers benennt: Seine Wahrheit.

Weil Gott der Gott der Wahrheit ist, ist der Beter, der sich auf Ihn verläßt, nicht länger in der Gefahrenzone. Denn der Schild der Wahrheit beschützt vor dem eigentlich Abgründigen, vor dem, was jeden Anschlag zu einem potentiell tödlichen macht: der Abwesenheit der Wahrheit.

Der Gefährdete braucht nichts mehr als die Wahrheit. Er muß wissen, woran kann er sich wirklich festhalten, woran orientieren, was gilt wirklich, was ist Illusion, was Zuflucht und  Burg und Unterkunft? Vage Auskünfte helfen demjenigen, der von vergifteten Pfeilgeschossen umgeben ist, nicht weiter. Die Natter der Lüge wird nicht besiegt durch verharmlosende Allerweltsrhetorik. Der Soldat Christi braucht die Wahrheit. Die Wahrheit, die den Drachen zertritt. Die Wahrheit, die die Furcht nimmt, zumal nachts, wenn es finster ist und folglich die Angriffe am heimtückischsten sind.

Und daß es diese Wahrheit gibt, ist bereits Sieg. Denn für den Beter des Psalms ist es unhinterfragt, daß es die Wahrheit gibt. Der neumodische Zweifel, der heutzutage zu einer taumelnden Tugend hochgejubelt wird, wäre dem Beter von Psalm 91 ein Greuel. Seine Wahrheit wird mich bergen. Das ist ein Indikativ und also eine Wirklichkeitsaussage, keine kritische Anfrage oder Nachfrage oder Hinterfragung oder wie die modischen Attitüden lauten. Es ist schlicht und einfach die gläubige Zuversicht dessen, der betet.

Grafik: Photo by Thomas Tucker on Unsplash