Freitag, 17. November 2017

Was mir die Vögel erzählen


Von einem befreundeten Priester weiß ich das Folgende:

Seit geraumer Zeit lebt er in der denkbar größten Spannung. Einerseits weiß er, daß das Meßopfer, welches er täglich darbringt und welches ihm täglich zur unausdenkbaren Freude wird, das größe Geschenk ist, das er der Welt zu bringen hat.

Andererseits weiß er, daß er selbst, der Priester, zur Gänze unwürdig ist, eben dieses Meßopfer darzubringen, derart, daß es ihm vorkommt, es wäre das Angemessenste, aufgrund besagter Unwürdigkeit, eine geraume Zeit auf die Zelebration der heiligen Messe zu verzichten, um sich besser vorzubereiten auf das Geheimnis. Vergleichbar dem, was ein anderer getan hatte, nämlich der Gründer des Jesuitenordens, der nach seiner Priesterweihe nicht sogleich zum Altar geschritten sei, sondern nahezu ein Jahr lang sich auf die erste Feier der heiligen Messe vorbereitet habe.

Wenn ich diesen Priester betrachte, so scheint mir, vorausgesetzt mein Betrachten ist ein rechtes, daß er ein guter Hirte ist. Ich sehe in ihm das Wachsen des Kreuzes.

Das Kreuz ist ein blühender Baum, aber nicht sogleich. Zunächst ist das Kreuz ein Winziges, kaum merklich. Ein Trieb, ein fast Übersehbares. Und irgendwann, und man weiß nicht so genau, wann der Zeitpunkt der Sichtbarkeit kam, ist das Kreuz errichtet. Vielleicht nicht einmal hoch errichtet, vielleicht eher als ein klein errichtetes Kreuz (oder als eine Art Dornenkrone). Aber das macht nichts. Es ist jedenfalls sichtbar. Es ist errichtet. Und auf den Balken dieses Kreuzes oder auch in der Dornenkrone beginnen sich die Vögel des Himmels niederzulassen und zu zwitschern.

Wer ein gutes Gehör hat, vielleicht sogar ein absolutes Gehör, hört womöglich, was die Vögel singen. Wenn ich mich nicht täusche, habe ich einmal das Da pacem, Domine vernommen.

Grafik:    Photo by Andreas P. on Unsplash