Freitag, 10. November 2017

et – et


Das Wort Jesu ist bekannt: Eure Rede sei: Ja ja, nein nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen (Mt 5,37).

Hier geht es offensichtlich um ein glasklares entweder – oder. Denn dort, wo es sich zu entscheiden gilt zwischen wahr und falsch, gut und böse, Recht und Unrecht, dort kann es keine klebrigen Kompromisse geben, dort ist das eindeutige Wort gefordert.

Doch gibt es auch die Situationen, wo das andere Herrenwort anzuwenden ist: Man soll das Eine tun und das andere nicht lassen.

In diesen Situationen, in denen nicht die Wahl zwischen gut und böse zur Debatte steht, sondern der Fortschritt im Guten, wäre es geradezu fatal, wenn man aus einem rigorosen Schwarzweißdenken heraus, das Ganze aus den Augen verlieren und krampfhaft die Erlebnisfülle auf ein nichts als reduzieren würde.

Das hört sich dann etwa so an: Im Glauben, so konstatiert ein Theologe kategorisch, gehe es nicht um das Fürwahrhalten von Sätzen, gar um das Fürwahrhalten von Aussagen des Katechismus, sondern um Erfahrungen. Oder, so ein Kollege des Vorgenannten: Im Glauben gehe es mitnichten um die Einhaltung von Geboten, sondern um das Erleben liebevoller Beziehungen, und exakt dies, und nur dies, sei das Wesen der Kirche.

Dieses Ausspielen des einen gegen das andere ist schlicht und ergreifend falsch. Natürlich geht es im Glauben auch um das Befolgen von Geboten, nicht umsonst sagt Jesus selbst im Johannesevangelium: Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt (14,21).

Diese Fülle des sowohl – als auch, zum Beispiel des Ineinander von Liebe und Gebot, faßt die katholische Theologie in die prägnante lateinische Formel des et – et.

Ob man selbst zu denjenigen gehört, die dazu neigen, die Wirklichkeit sträflich zu verkürzen, wobei, und das ist sehr bezeichnend, meist der Teil der Wirklichkeit unter den Tisch fällt, der als zu anspruchsvoll (»die Gebote«), zu streng (»der Katechismus«), zu präzise fordernd (»die Wahrheit«) gilt, das kann man an einem einfachen Exempel überprüfen.

Es stammt aus den Apophthegmata patrum, der klassischen Sammlung von Wüstenvätersprüchen. Berichtet wird in aller gebotenen Kürze vom Sündenfall und der anschließenden Buße zweier Mönche. Wen der zwei Büßenden, so können wir uns als Leser der Geschichte, die mehr als eine Geschichte ist, fragen, hätten wir selbst auf Anhieb als den echten, liebevollen Büßenden akzeptiert, während wir selbstredend den anderen als den ewig engstirnigen bedauert hätten?

Unsere Geschichte gibt – ganz gegen den simplifizierenden Trend – die überraschende Antwort.
Zwei Brüder, die von der Wollust angefochten wurden, gingen hin und nahmen sich Frauen. Hernach aber sagten sie zueinander: »Was haben wir nun eigentlich gewonnen, daß wir die Ordnung der Engel (gemeint ist: den Mönchsstand) verlassen haben und in diese Unreinheit gekommen sind? Und endlich werden wir in das Feuer und in die künftige Folter kommen? Kehren wir zurück in die Wüste und leisten wir wegen dem, was wir getan haben, Buße.«
Und sie kamen in die Wüste und baten die Väter, daß man ihnen eine Buße auferlege, und bekannten das, was sie getan hatten.
Die Altväter schlossen sie für ein Jahr ein, und beiden wurde die gleiche Menge an Brot gegeben und die gleiche Menge Wasser. Ihrem Äußeren nach glichen sie sich.
Als nun die Zeit ihrer Buße um war, kamen sie beide heraus.
Und die Väter sahen, daß der eine fahl und abgehärmt aussah, der andere aber kräftig und freundlich. Man wunderte sich darüber, hatten doch beide genau das gleiche an Speise und Trank erhalten. Und sie fragten den, der blaß und betrübt aussah: »Welche Gedanken hast du in deiner Zelle gehabt?« Er antwortete: »Ich habe mir die Strafen, die ich für meinen Fehltritt zu erwarten habe, vor Augen gehalten, und aus Furcht vor ihnen fiel mir das Fleisch von den Knochen.«
Sie fragten dann auch den anderen, was für Gedanken er in seiner Zelle gehabt habe, und er antwortete: »Ich habe Gott Dank gesagt, daß er mich aus dem Unrat dieser Welt und von den Strafen der künftigen Welt herausgenommen und mich zurückgerufen hat in diesen engelgleichen Stand. Und in der beständigen Erinnerung an meinen Gott wurde ich froh.«
Da sagten die Altväter: »Beider Buße gilt vor Gott gleich.«

Grafik:    Photo by Billy Pasco on Unsplash