Gott ist nicht »Jemand neben«.
So korrigiert Hans Urs von Balthasar in einem Interview aus den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts seinen Gesprächspartner.
Heute scheint die Fehldeutung, welche der Interviewer unbedacht nahelegte, eine allseits gängige. Der Mensch hantiert mehr schlecht als recht in seinen Angelegenheiten, und der Liebe Gott, wenn Er überhaupt noch eine Rolle spielt, ist irgendwo nebenan, meist weit weg, ein unbedeutender Statist in der Gleichung des Alltags.
Darauf die Korrektur des Theologen von Balthasar: Gott ist kein Neben, sondern Gott ist Alles in allem.
Doch dies zu beherzigen, würde bedeuten, daß der Mensch in sein Inneres hinabsteigt, denn dort, in der innersten Herzmitte, würde der Suchende eben den Gott finden, den er im belanglosen Nebenan aussiedelt.
Nun ist es kein Geheimnis, daß der Mensch der Jetztzeit überall mehr anzutreffen ist als bei sich zuhause. Und das heißt einschlußweise, daß der Mensch heute die meiste Zeit fern von Gott ist.
Dieses Fernsein ist eine Erfahrung, die in der Geistesgeschichte der Menschheit oft zur Sprache gebracht wurde. Ein berühmtes Beispiel: Augustinus. Im zu Herzen gehenden zehnten Buch, XXVII, 38, seiner Confessiones bekennt er wehmütig:
»Spät hab ich Dich geliebt, Du Schönheit, ewig alt und ewig neu, spät hab ich Dich geliebt. Und sieh, Du warst innen, ich aber außen. Dort suchte ich nach Dir, auf die schönen Gestalten, die Du schufst, warf ich mich Mißgestalt. Du warst bei mir, ich war nicht bei Dir. Sie hielten mich fern von Dir, die Dinge, die gar nicht wären, wären sie nicht in Dir. Du hast gerufen, geschrien, meine Taubheit zerrissen, hast geleuchtet, geblitzt und meine Blindheit verscheucht, hast geduftet, und ich atmete ein und lechze jetzt nach Dir, ich habe gekostet, nun hungre und dürste ich, Du hast mich berührt, und ich bin nach Deinem Frieden entbrannt.« (Übersetzung von Balthasar)Seit dem heiligen Kirchenvater sind 1600 Jahre vergangen, und jetzt, am Beginn des dritten Jahrtausends, schaut es so aus, als ob das Draußen, von dem Augustinus spricht, das Omnipräsente sei. Es drängt sich laut und gebieterisch in den Vordergrund. Es reklamiert jeden denkbaren Platz für sich. Online sollen wir sein, am besten permanent, von früh bis spät, denn nur wer online ist, so die Suggestion, ist up to date. Aber tatsächlich erkaufen wir das ständige äußerliche Vernetztsein mit dem Verlust der inneren Stille, in der das wahre Wort sich kundtut, welches niemals altert.
Von diesem Wort schreibt Paulus:
»Das Wort ist dir nahe, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen. Gemeint ist das Wort des Glaubens, das wir verkündigen; denn wenn du mit deinem Mund bekennst: Jesus ist der Herr und in deinem Herzen glaubst: Gott hat ihn von den Toten auferweckt, so wirst du gerettet werden. Wer mit dem Herzen glaubt und mit dem Mund bekennt, wird Gerechtigkeit und Heil erlangen«.Das Wort ist dir nahe.
(Römerbrief 10,8 ff)
Und wie gelangt man zu diesem verschütteten Wort?
Kierkegaard hat die Medizin, die der Patient, wenn er gesunden will, zuallererst zu schlucken hat, ohne jede Umschweife formuliert: »O, schaffe Schweigen!«
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