2008: Die Olympischen Spiele in Peking.
Im 400 Meterlauf der Damen erwartet man, daß die Athletin Sanya Richards die Goldmedaille gewinnen wird. Aber sie wird überraschenderweise nur Dritte. Allerdings gewinnt sie mit der Mannschaft die Goldmedaille in der 4 x 100 Meter Staffel. Sie steht also doch noch auf dem Siegertreppchen. Die Goldmedaille blitzt. Und vier Jahre später wird sie noch einmal Gold gewinnen, diesmal in London.
Doch da ist etwas anderes, kein Gold, kein Glamour, kein Glitzern. Etwas, das die Gewinnerin von einst erst jetzt der Öffentlichkeit mitteilte.
Einen Tag vor ihrem Abflug zu den Olympischen Spielen in Peking hat die Athletin eine Abtreibung. Das, wofür sie jahrelang gschuftet hat, scheint plötzlich in weite Ferne gerückt. Schwanger sein, ein Kind austragen, gerade jetzt, paßt nicht in ihre Karriere. Was werden ihre Sponsoren sagen, was ihre Familie, was ihre Fans?
Zudem: Sie kennt etliche andere weibliche Spitzensportlerinnen, die gleichfalls Abtreibungen hinter sich haben, denn die sportlichen Ziele dem Geschenk des Lebens überzuordnen, so Richards-Ross, ist quasi die Norm im Sportbusiness.
Per Telefon trifft sie schließlich mit ihrem damaligen Verlobten (ihrem jetzigen Ehemann), der gleichfalls Spitzensportler ist und gerade in einem Trainingslager weilt, die Entscheidung, das Kind abzutreiben. In die Abtreibungsklinik geht sie allein.
Danach, nach der Abtreibung, erkennt sie den Horror. Wörtlich: »Ich hatte eine Entscheidung getroffen, die mich zerbrach; zudem eine, von der ich nicht sogleich heilen würde. Die Abtreibung würde nun für immer ein Teil meines Lebens sein. Ein scharlachroter Buchstabe, von dem ich nie gedacht hatte, ihn einmal zu tragen. Ich war ein Champion – kein gewöhnlicher, sondern ein Weltklassechampion, ein Champion, der Rekorde brach. Von den Höhen dieser Realität stürzte ich in die Tiefe der Verzweiflung.«
Emotional wie spirituell gerät ihr Leben ins Wanken. Bereits während sie im Stadion die 400 Meter läuft, kreisen ihre Gedanken um die Abtreibung. In den Straßen Pekings, so sie, habe sie die härteste Zeit ihres Lebens erfahren. Und sie wäre daran kaputt gegangen, wenn Gott nicht dagewesen und ihr geholfen hätte.
Ihr Mann und sie sprechen jahrelang nicht über die Abtreibung. Als sie endlich das Vergangene anschauen, kommen ihre wahren Gefühle hoch. Er gesteht, ihr gemeinsames Kind sei ein Segen gewesen, den sie zurückwiesen, weil sie alles unter Kontrolle hatten haben wollen.
Und nun öffnen sich beide der Gnade, der Bekehrung, der Heilung, der Vergebung. Heute, so die Athletin, geht sie an die Öffentlichkeit, um anderen postabortiven Frauen zu helfen. Sie sei noch nicht ganz geheilt, noch immer breche sie bisweilen in Tränen aus, wenn sie an das Geschehene zurückdenke. Gleichwohl wisse sie, daß Gott ihr vergeben habe; jetzt müsse sie sich auch selbst vergeben.
Wie heißt es im Matthäusevangelium? Da spricht Jesus von den zwei Wegen: Geht durch das enge Tor! Denn das Tor ist weit, das ins Verderben führt, und der Weg dahin ist breit und viele gehen auf ihm. Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng und der Weg dahin ist schmal und nur wenige finden ihn.
Es ist die immerselbe Story. Der Broadway glitzert. Phantome glitzern. Gold lockt. Der enge Weg ist einfach und unaufdringlich, wie das Leben. Denn das Leben spricht für sich.
Zurzeit erwarten Sanya und ihr Ehemann Aaron ihr zweites Kind.
Grafiken:
Erik van Leeuwen, http://www.erki.nl/, GFDL, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8679087 und UpstateNYer, eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8138348.