Die Filmdoku Die Manns, eine Mischung aus dokumentarischem Material und nachgestellten Spielfilmszenen, aus dem Jahre 2001, hat etliche Preise bekommen. In drei Folgen wird das Leben von Thomas Mann und seiner Familie geschildert. Eingeblendet werden dabei immer wieder die Aussagen von Zeitzeugen, die während des Drehs noch lebten, vor allem die Kommentierungen von Elisabeth Mann Borgese, einer Tochter von Thomas Mann.
Wenn man die Superlative eines berühmten Kritikers weiland liest: »Ich glaube, daß es in Deutschland in diesem Jahrhundert keine bedeutendere, originellere und interessantere Familie gegeben hat als die Manns«, könnte man zum Gedanken verleitet sein, diese so gerühmte Familie habe gleichsam Vorbildcharakter oder sei eine Art intellektuelles Modell dessen, was Familie ausmacht.
Doch was zeigt die Filmdoku? Einige Daten aus dem Leben der Familie sollen für sich sprechen.
Die Tochter Erika Mann stirbt mit 64 Jahren. Vorausgegangen ist ein unstetes Lebn in jeder Hinsicht. Mit 20 Jahren heiratet sie, die lesbische Neigungen pflegt, den homosexuellen Schauspielkollegen Gustav Gründgens. Die Ehe wird bereits drei Jahre später geschieden. Drogenabusus gehört zum Lebensexperiment. Wechselnde Beziehungen ebenso. Ihre Schwester Elisabeth resümiert in der dreiteiligen Filmreihe: »Aber sie hat sich eben ihr Leben sehr zerstört, und ist doch eigentlich sehr traurig verendet. Und man fragt sich immer: warum, wieso?«
Klaus, der Bruder, mit dem Erika eine gleichsam symbiotische Beziehung lebt, ist bereits als junger Mann morphinsüchtig und taumelt von einem männlichen Liebhaber zum nächsten. Daß er unglücklich ist, ein Entwurzelter, ist eine offene Tatsache. Durch das Öffnen seiner Pulsadern versucht er eines Tages, sein Leben zu beenden. Der Versuch scheitert. Die Mutter Katia, so die kommentierende Schwester Elisabeth, habe daraufhin gesagt: »Also ich versteh’ nicht, wenn man sich umbringt, wie man das so schlecht machen kann« - und die Schwester lacht über diesen Satz der Mutter.
1949 ein neuerlicher Suizidversuch von Klaus in Cannes, diesmal tödlich. Der Vater Thomas, als er von der Nachricht erfährt (so die Doku): »Und das drucken sie morgen von Los Angeles bis Berlin.« Bei der Beerdigung von Kaus ist nur der jüngste Bruder Michael anwesend, der am Grab auf der Bratsche ein Abschiedslied spielt.
Derselbe Michael wird sich Jahrzehnte später, 1977, in den USA durch eine Überdosis an Alkohol und Drogen das Leben nehmen. Er ist 57 Jahre alt. In den Tagebüchern seines Vaters, die er zwecks Veröffentlichung redigierte, hatte er unter anderem erfahren, daß er ein unerwünschtes Kind war und, wegen des prekären Gesundheitszustandes seiner Mutter, eigentlich hätte abgetrieben werden sollen. Eine Dokumentation des Bayrischen Rundfunks über Michael Mann stellt fest: »Diese Tagebücher seines Vaters haben ihn verrückt gemacht.«
Golo, ein weiteres der Mann’schen Kinder, ist der Ungeliebte von früh auf. Es spricht mehr als viele Worte, wenn man bedenkt, daß, nach Golos Ableben, er zwar auf dem Friedhof, wo auch die Eltern Thomas und Katia Mann begraben sind, zur letzten Ruhe beigesetzt wird, aber auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin nicht im Familiengrab, sondern an der am weitesten entfernten Stelle von diesem Grab.
Und auch dies gehört in die Familienchronik der Manns. Im amerikanischen Exil lebt der Nobelpreisträger Seite an Seite mit seinem Bruder Heinrich. Das brüderliche Verhältnis ist seit eh und je ein gespanntes. Heinrich lebt zusammen mit Nelly Kröger, die er spät heiratet und die aufgrund ihrer einfachen, derben Herkunft in der großbürgerlichen Familie des Nobelpreisträgers als »die Krögersche«, die »unmögliche Person«, nicht comme il faut ist, die Ehe Heinrichs dementsprechend eine mehr als peinliche mesalliance. Nelly, seit vielen Jahren psychisch labil und alkoholabhängig, bekommt die Ablehnung des berühmten Schriftstellers und seiner Frau mehr als einmal zu spüren, sie flüchtet zunehmend in Alkoholexzesse. Und dann ist es auch für sie zu spät – sie setzt ihrem Leben ein Ende.
Und was macht all die Zeit der »Zauberer«, wie ihn die Nächsten titulieren?
Thomas Mann sitzt am Schreibtisch, die fein polierte güldene Schreibfeder griffbereit, und ziseliert hochartifizielle Wortgebilde. Die notorische Villa gehört selbstverständlich dazu, gleich ob in Deutschland oder im Exil. Die Zigarre ebenso. Nobelpreis verpflichtet. Während die Familie auseinanderbricht, muß das Image des olympischen Schriftstellers intakt bleiben. Es muß unbeirrt ironisch gezaubert werden: Der Zauberberg, Doktor Faustus, Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull.
»Keine bedeutendere, originellere und interessantere Familie«?
1929 hat Thomas Mann den Nobelpreis verliehen bekommen. Ausgezeichnet wurde sein erster Roman Buddenbrooks. Im Untertitel hieß es da: Verfall einer Familie. Eben das dokumentiert der Fernsehdreiteiler Die Manns – den Verfall einer Familie. Interessant ist das nicht. Es ist erschreckend. Und das am meisten Erschütternde ist das gänzliche Fehlen einer übernatürlichen Blickrichtung als Gegengewicht zur Treibhausatmosphäre des Zauberers.
Am Ende der Doku wird die überlebende Tochter vom Drehbuchautor gefragt, ob sie in der Vorstellung lebe, jemanden wiederzusehen von ihrer Familie. Ihre Antwort: »Nein... Nein. Ich glaub’ nicht dran.« Auch das wird mit Lachen gesagt.
O mein Gott!