Für diejenigen, die sich in Literatur auskennen, gehört er zu den französischen Begründern der naturalistischen Schule. Man denke nur an sein Werk Der Bauch von Paris aus dem 20bändigen Rougon-Macquart Zyklus, in dem er seitenlang schwelgt in den genüßlich ausgebreiteten Käsegerüchen der Pariser Markthallen.
Die Rede ist von Émile Zola.
Für politisch Interessierte ist Zola zudem bekannt aufgrund seines Brandbriefs J’ accuse, mit dem er sich seinerzeit in die Dreyfus Affaire einschaltete und für gehörige Furore sorgte.
Weniger bekannt oder nahezu gänzlich unbekannt ist eine andere Seite von Zola – die spirituelle, genauer: Die Geschichte seiner Bekehrung. Das Erstaunliche daran: Bereits Jahre vor seiner Hinwendung zu Gott und der katholischen Kirche hatte er, der doch so detailversessen den naturalistischen Sensationen nachging, sehr wohl die Natur, nämlich die unwiderlegbare Wirkmacht des christlichen Gottes kennengelernt. Doch statt den frommen positiven Belegen, die sich vor seinen Augen ereigneten, ehrlich Rechnung zu tragen, machte Zola genau das Gegenteil.
Aber der Reihe nach.
1858 erscheint in dem kleinen Pyrenäendorf Lourdes achtzehnmal die Muttergottes dem vierzehjährigen Mädchen Bernadette. Das Ereignis spricht sich herum und ist schnell die Sensation, nicht nur in Farnkreich, sondern auch in den Nachbarländern. Lourdes wird von Jahr zu Jahr berühmter als Ort der Wunder und Gnaden. Tausende von Menschen pilgern in das kleine Dorf und suchen Trost bei der Trösterin der Betrübten, bei der Unbefleckten Empfängnis, wie sie sich die Erscheinung selbst nennt.
Dem laizistischen Frankreich ist Lourdes naturgemäß ein Greuel. Zola ist Lourdes gleichfalls ein Greuel. Überzeugter Gottesleugner und darüber hinaus Logenmeister der Freimaurer, ist es für den Schriftsteller eine Affaire der Selbstbehauptung, gegen den marianischen Wallfahrtsort anzuschreiben.
Als er daher 1892 nach Lourdes reist, kommt er nicht als frommer Pilger, sondern als fanatischer Positivist, der endlich dem klerikalen Betrug mit ätzenden schriftstellerischen Enthüllungen den Garaus machen will. An der Grotte erlebt Zola jedoch das Folgende: Zwei Frauen, sterbenskrank (Tuberkulose im Endstadium), werden vor seinen Augen wundersam geheilt.
Nun sollte man meinen, dieses erschütternde Erlebnis habe Zolas antiklerikales Weltbild zum Einsturz gebracht. Doch weit gefehlt. Er kehrt nach Paris zurück und veröffentlicht zwei Jahre später den Roman Lourdes, in dem der Protagonist Pierre, seines Zeichens katholischer Priester, nicht die Wunder der Gnadenstätte besingt, sondern die korrupten Machenschaften der Kleriker und Geschäftsleute, denen die armen Pilger machtlos ausgeliefert sind.
Und es kommt noch krasser. Zola lügt. Er gibt vor, eine der Geheilten sei gestorben, wiewohl er genau weiß, daß diese Geheilte in Paris lebt. Und noch perfider: Zola bietet dieser Frau eine beträchtliche Geldsumme an, damit sie Paris verläßt, um solcherart die potentielle Zeugin gegen ihn, Zola, außer Landes zu schaffen und also in die ungefährliche Ferne.
Wieder vergehen zwei Jahre. Es ist 1896. Zola leidet an einem offenen Beinbruch. Die Wunde verschlimmert sich von Tag zu Tag, derart, daß, wenn keine Besserung eintritt, die Amputation des Beines unumgänglich ist.
In dieser kritischen Situation träumt Émile Zola am Heiligabend, er sei in einer Kirche, wo er vor dem Bild der Madonna mit dem Kind ein Weihnachtslied singe. Als er aus seinem Traum erwacht, hört er seine Frau, die eben dieses Lied singt. Er bittet daraufhin seine Frau, in die Kirche zu gehen, dort eine Kerze anzuzünden und vor dem Bild der Madonna für ihn zu beten.
Und das Wunder geschieht. Zolas Bein wird geheilt. Und mehr noch: Der kranke Geist Zolas wird geheilt. Er bereut, er beichtet, er beginnt zu beten, er geht zur heiligen Messe, er versöhnt sich mit der Kirche. Und mehr: In einer Erklärung gesteht er seine langjährigen Irrtümer ein, er bricht mit der Freimaurerei, demaskiert deren Destruktivität und Termitenarbeit gegen die katholische Kirche. Und noch mehr: Émile Zola schreibt an Papst Leo XIII. und erbittet vom Pontifex die Vergebung für seine antikirchlichen Schriften und Aktivitäten.
Die Geschichte Zolas ist beglückend und erschreckend zugleich. Wie zementiert, so fragt man sich bestürzt, kann die Verblendung eines sogenannten Intellektuellen sein, daß er selbst Tatsachen leugnet, ja verfälscht, aus dem einzigen Grund, das eigene marode Kartenhaus nicht preiszugeben? Und die zweite, unfaßbare Frage: Wie groß ist die Geduld Gottes, der nicht müde wird, noch dem verstocktesten Verleumder, Verfälscher und Verführer nachzugehen, um ihn zu retten, tatsächlich zu retten?